Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

stirbet nimmer zu frühe/ wann man ehrlich
gelebt hat.

XXXIII.

Ein Mensch verlieret das Leben nicht/ ob
schon der Todt eher ankompt/ als er meinet;
dann derjenige/ welcher sagt/ er verliehre
dasjenige/ was er schuldig ist/ läugnet die
Schuld/ indem er sie bezahlet. Wir gehen
ein in die Welt durch die Pforte des Lebens
mit diesem Beding/ daß wir durch die Pfor-
te des Todes sollen aus demselben herauß
gehen.

XXXIV.

Wir sollen nicht so sehr den Todt fürch-
ten/ weil wir alle Tage sterben. Wann ein
Mensch stirbt/ so höret er nur auff zu leben:
Wann jemand in die Welt kompt/ so fängt
er an zu sterben. Wann wir sagen/ wir
werden einmal sterben/ ist nicht gewisser/ als
wann wir sagen/ wir sterben alle Augen-
blick des Lebens. Würde ein Mann vor
vernünfftig gehalten werden/ welcher sich
weigerte/ nur einmahl zu thun/ was er ohne
unterlaß thut? So fürchte dann nicht zu
sterben. Wann dich der Todt übereylet in
der Blüte deines Alters/ so wird er eine
Million Laster mit dir begraben; Wann

er

ſtirbet nimmer zu fruͤhe/ wann man ehrlich
gelebt hat.

XXXIII.

Ein Menſch verlieret das Leben nicht/ ob
ſchon der Todt eher ankompt/ als er meinet;
dann derjenige/ welcher ſagt/ er verliehre
dasjenige/ was er ſchuldig iſt/ laͤugnet die
Schuld/ indem er ſie bezahlet. Wir gehen
ein in die Welt durch die Pforte des Lebens
mit dieſem Beding/ daß wir durch die Pfor-
te des Todes ſollen aus demſelben herauß
gehen.

XXXIV.

Wir ſollen nicht ſo ſehr den Todt fuͤrch-
ten/ weil wir alle Tage ſterben. Wann ein
Menſch ſtirbt/ ſo hoͤret er nur auff zu leben:
Wann jemand in die Welt kompt/ ſo faͤngt
er an zu ſterben. Wann wir ſagen/ wir
werden einmal ſterben/ iſt nicht gewiſſer/ als
wann wir ſagen/ wir ſterben alle Augen-
blick des Lebens. Wuͤrde ein Mann vor
vernuͤnfftig gehalten werden/ welcher ſich
weigerte/ nur einmahl zu thun/ was er ohne
unterlaß thut? So fuͤrchte dann nicht zu
ſterben. Wann dich der Todt uͤbereylet in
der Bluͤte deines Alters/ ſo wird er eine
Million Laſter mit dir begraben; Wann

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="122[112]"/>
&#x017F;tirbet nimmer zu fru&#x0364;he/ wann man ehrlich<lb/>
gelebt hat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XXXIII.</hi> </head><lb/>
          <p>Ein Men&#x017F;ch verlieret das Leben nicht/ ob<lb/>
&#x017F;chon der Todt eher ankompt/ als er meinet;<lb/>
dann derjenige/ welcher &#x017F;agt/ er verliehre<lb/>
dasjenige/ was er &#x017F;chuldig i&#x017F;t/ la&#x0364;ugnet die<lb/>
Schuld/ indem er &#x017F;ie bezahlet. Wir gehen<lb/>
ein in die Welt durch die Pforte des Lebens<lb/>
mit die&#x017F;em Beding/ daß wir durch die Pfor-<lb/>
te des Todes &#x017F;ollen aus dem&#x017F;elben herauß<lb/>
gehen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XXXIV.</hi> </head><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ollen nicht &#x017F;o &#x017F;ehr den Todt fu&#x0364;rch-<lb/>
ten/ weil wir alle Tage &#x017F;terben. Wann ein<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;tirbt/ &#x017F;o ho&#x0364;ret er nur auff zu leben:<lb/>
Wann jemand in die Welt kompt/ &#x017F;o fa&#x0364;ngt<lb/>
er an zu &#x017F;terben. Wann wir &#x017F;agen/ wir<lb/>
werden einmal &#x017F;terben/ i&#x017F;t nicht gewi&#x017F;&#x017F;er/ als<lb/>
wann wir &#x017F;agen/ wir &#x017F;terben alle Augen-<lb/>
blick des Lebens. Wu&#x0364;rde ein Mann vor<lb/>
vernu&#x0364;nfftig gehalten werden/ welcher &#x017F;ich<lb/>
weigerte/ nur einmahl zu thun/ was er ohne<lb/>
unterlaß thut? So fu&#x0364;rchte dann nicht zu<lb/>
&#x017F;terben. Wann dich der Todt u&#x0364;bereylet in<lb/>
der Blu&#x0364;te deines Alters/ &#x017F;o wird er eine<lb/>
Million La&#x017F;ter mit dir begraben; Wann<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122[112]/0123] ſtirbet nimmer zu fruͤhe/ wann man ehrlich gelebt hat. XXXIII. Ein Menſch verlieret das Leben nicht/ ob ſchon der Todt eher ankompt/ als er meinet; dann derjenige/ welcher ſagt/ er verliehre dasjenige/ was er ſchuldig iſt/ laͤugnet die Schuld/ indem er ſie bezahlet. Wir gehen ein in die Welt durch die Pforte des Lebens mit dieſem Beding/ daß wir durch die Pfor- te des Todes ſollen aus demſelben herauß gehen. XXXIV. Wir ſollen nicht ſo ſehr den Todt fuͤrch- ten/ weil wir alle Tage ſterben. Wann ein Menſch ſtirbt/ ſo hoͤret er nur auff zu leben: Wann jemand in die Welt kompt/ ſo faͤngt er an zu ſterben. Wann wir ſagen/ wir werden einmal ſterben/ iſt nicht gewiſſer/ als wann wir ſagen/ wir ſterben alle Augen- blick des Lebens. Wuͤrde ein Mann vor vernuͤnfftig gehalten werden/ welcher ſich weigerte/ nur einmahl zu thun/ was er ohne unterlaß thut? So fuͤrchte dann nicht zu ſterben. Wann dich der Todt uͤbereylet in der Bluͤte deines Alters/ ſo wird er eine Million Laſter mit dir begraben; Wann er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/123
Zitationshilfe: [N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692, S. 122[112]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/123>, abgerufen am 18.12.2024.