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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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Das Ziel

Was bedeutet die Frauenbewegung? Sie bedeutet, daß
wir Frauen uns des Irrtums bewußt geworden sind, der
unsre Erziehung, unsre Bildung leitete, als ob man unsre be-
glückenden Naturanlagen dadurch rein und unverwirrt und
kräftig halten könne, daß man sie nicht der geistigen Zucht
unterwerfe, durch die die männlichen Anlagen sich zu bewußter
Kraft entfalten sollen. Und sie bedeutet die Forderung, daß
für unsre Bildung das Maß in uns und nicht im Manne
gesucht werde, daß man die Entwickelung unsrer Anlagen für
die Aufgaben des Lebens bestimme aus uns selbst, aus un-
serem Wesen,
und nicht nach den bequemen Wünschen einer
eitlen Gesellschaft. Warum fordern wir das? Nicht nur für
uns -- denn wir sind nicht um unsertwillen auf der Welt --
sondern für unsre Männer, für unsre Söhne, für unser Volk,
dem unsre vollentfalteten Frauenkräfte hoch nötig sind, wenn
es die Gefahren der Unmäßigkeit, der Unsittlichkeit, der Gott-
entfremdung und des Umsturzes überwinden soll, die wie böse
Dünste aufsteigen aus einer Gesellschaft, der die Harmonie
verloren ging. Wodurch haben wir endlich den Irrtum er-
kannt, dem unsre besten Kräfte zum Opfer fallen? Durch die
steigende Berufsnot der Frau. Denn das Ideal von Frauen-
bildung, das man so künstlich zurechtgezimmert hatte, weil
es für die übrige Kulturentwickelung zunächst das bequemste
war, das hielt nur so lange notdürftig stand, als man sich
weismachen konnte, es finde auch wirklich jede Frau den be-
glückenden natürlichen Beruf, dem ihre Instinkte entgegen
treiben, ohne daß sie theoretisch und geistig vorgebildet sei.
Daß da gesunde Frauennaturen oft reiche Kräfte entfalten

Das Ziel

Was bedeutet die Frauenbewegung? Sie bedeutet, daß
wir Frauen uns des Irrtums bewußt geworden sind, der
unsre Erziehung, unsre Bildung leitete, als ob man unsre be-
glückenden Naturanlagen dadurch rein und unverwirrt und
kräftig halten könne, daß man sie nicht der geistigen Zucht
unterwerfe, durch die die männlichen Anlagen sich zu bewußter
Kraft entfalten sollen. Und sie bedeutet die Forderung, daß
für unsre Bildung das Maß in uns und nicht im Manne
gesucht werde, daß man die Entwickelung unsrer Anlagen für
die Aufgaben des Lebens bestimme aus uns selbst, aus un-
serem Wesen,
und nicht nach den bequemen Wünschen einer
eitlen Gesellschaft. Warum fordern wir das? Nicht nur für
uns — denn wir sind nicht um unsertwillen auf der Welt —
sondern für unsre Männer, für unsre Söhne, für unser Volk,
dem unsre vollentfalteten Frauenkräfte hoch nötig sind, wenn
es die Gefahren der Unmäßigkeit, der Unsittlichkeit, der Gott-
entfremdung und des Umsturzes überwinden soll, die wie böse
Dünste aufsteigen aus einer Gesellschaft, der die Harmonie
verloren ging. Wodurch haben wir endlich den Irrtum er-
kannt, dem unsre besten Kräfte zum Opfer fallen? Durch die
steigende Berufsnot der Frau. Denn das Ideal von Frauen-
bildung, das man so künstlich zurechtgezimmert hatte, weil
es für die übrige Kulturentwickelung zunächst das bequemste
war, das hielt nur so lange notdürftig stand, als man sich
weismachen konnte, es finde auch wirklich jede Frau den be-
glückenden natürlichen Beruf, dem ihre Instinkte entgegen
treiben, ohne daß sie theoretisch und geistig vorgebildet sei.
Daß da gesunde Frauennaturen oft reiche Kräfte entfalten

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[28/0031] Das Ziel Was bedeutet die Frauenbewegung? Sie bedeutet, daß wir Frauen uns des Irrtums bewußt geworden sind, der unsre Erziehung, unsre Bildung leitete, als ob man unsre be- glückenden Naturanlagen dadurch rein und unverwirrt und kräftig halten könne, daß man sie nicht der geistigen Zucht unterwerfe, durch die die männlichen Anlagen sich zu bewußter Kraft entfalten sollen. Und sie bedeutet die Forderung, daß für unsre Bildung das Maß in uns und nicht im Manne gesucht werde, daß man die Entwickelung unsrer Anlagen für die Aufgaben des Lebens bestimme aus uns selbst, aus un- serem Wesen, und nicht nach den bequemen Wünschen einer eitlen Gesellschaft. Warum fordern wir das? Nicht nur für uns — denn wir sind nicht um unsertwillen auf der Welt — sondern für unsre Männer, für unsre Söhne, für unser Volk, dem unsre vollentfalteten Frauenkräfte hoch nötig sind, wenn es die Gefahren der Unmäßigkeit, der Unsittlichkeit, der Gott- entfremdung und des Umsturzes überwinden soll, die wie böse Dünste aufsteigen aus einer Gesellschaft, der die Harmonie verloren ging. Wodurch haben wir endlich den Irrtum er- kannt, dem unsre besten Kräfte zum Opfer fallen? Durch die steigende Berufsnot der Frau. Denn das Ideal von Frauen- bildung, das man so künstlich zurechtgezimmert hatte, weil es für die übrige Kulturentwickelung zunächst das bequemste war, das hielt nur so lange notdürftig stand, als man sich weismachen konnte, es finde auch wirklich jede Frau den be- glückenden natürlichen Beruf, dem ihre Instinkte entgegen treiben, ohne daß sie theoretisch und geistig vorgebildet sei. Daß da gesunde Frauennaturen oft reiche Kräfte entfalten

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/31>, abgerufen am 24.11.2024.