Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
erworbener Rechte der Völker gegen einander.

Der Vertrag erlischt wenn die resolutorische Bedingung
eintritt, oder die bestimmte Zeit abgelaufen ist, dafern nicht
derselbe entweder ausdrücklich, oder stillschweigend erneuert
oder verlängert wird.

Eine gänzliche Veränderung derjenigen Umstände, welche
den Grund des Vertrags enthalten, macht den Vertrag
unverbindlich, obwohl wenn sie durch Schuld des einen Theils
sich zugetragen, dafür oft von dem andern Entschädigung
gefordert werden kann. Eben dieß tritt ein, wenn der Ge-
genstand des Vertrags aufhöret zu seyn, oder verändert wird.
Daß auch eine Verbindlichkeit durch Erfüllung derselben er-
löschen könne leidet keinen Zweifel.

Mit gegenseitigen Willen der Contrahenten, er sey
ausdrücklich oder stillschweigend erkläret, kann zwar jeder
Vertrag aufgehoben werden, aber einseitig hat der Regel
nach kein Theil das Recht von einem gültigen und verbind-
lichen Vertrage abzugehn. Nur dann kann er es, wenn
entweder seine Selbsterhaltung es erfordert, oder der Gegen-
theil zuerst von dem Vertrage abging. Nicht jede Ver-
letzung eines Artikels a) eines Vertrages berechtiget den
Gegentheil sofort von dem Vertrage abzugehn, sie giebt ihm
nur zunächst das Recht auf die Erfüllung des Vertrags zu
dringen, oder ihn in so weit zu verletzen, als es zu seiner
Genugthuung nothwendig ist. Da aber alle Hauptartikel
eines Vertrags in einer natürlichen Verbindung stehn, nach
welcher unabhängig von ihrem Inhalt jeder die Erfüllung
der übrigen zur Bedingung hat, so kann der Verletzte stuffen-
weise bis zur Aufkündigung des ganzen Vertrags gehn, falls
er nicht auf dieses Recht Verzicht geleistet hat (§. 260. c).

Wird von mehreren Verträgen einer verletzt, so hören
zwar dadurch die übrigen nicht sofort auf verbindlich zu seyn,
es ist auch weit nicht immer zwischen ihnen eben die Verbin-
dung, die zwischen mehreren Artikeln ein und desselben Ver-
trags besteht. Da aber der beleidigte Theil das Recht hat
dem andren so viel vollkommene Rechte zu kränken als seine
Genugthuung erheischt, so kann eine Macht wegen der Ver-

letzung
A a 5
erworbener Rechte der Voͤlker gegen einander.

Der Vertrag erliſcht wenn die reſolutoriſche Bedingung
eintritt, oder die beſtimmte Zeit abgelaufen iſt, dafern nicht
derſelbe entweder ausdruͤcklich, oder ſtillſchweigend erneuert
oder verlaͤngert wird.

Eine gaͤnzliche Veraͤnderung derjenigen Umſtaͤnde, welche
den Grund des Vertrags enthalten, macht den Vertrag
unverbindlich, obwohl wenn ſie durch Schuld des einen Theils
ſich zugetragen, dafuͤr oft von dem andern Entſchaͤdigung
gefordert werden kann. Eben dieß tritt ein, wenn der Ge-
genſtand des Vertrags aufhoͤret zu ſeyn, oder veraͤndert wird.
Daß auch eine Verbindlichkeit durch Erfuͤllung derſelben er-
loͤſchen koͤnne leidet keinen Zweifel.

Mit gegenſeitigen Willen der Contrahenten, er ſey
ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend erklaͤret, kann zwar jeder
Vertrag aufgehoben werden, aber einſeitig hat der Regel
nach kein Theil das Recht von einem guͤltigen und verbind-
lichen Vertrage abzugehn. Nur dann kann er es, wenn
entweder ſeine Selbſterhaltung es erfordert, oder der Gegen-
theil zuerſt von dem Vertrage abging. Nicht jede Ver-
letzung eines Artikels a) eines Vertrages berechtiget den
Gegentheil ſofort von dem Vertrage abzugehn, ſie giebt ihm
nur zunaͤchſt das Recht auf die Erfuͤllung des Vertrags zu
dringen, oder ihn in ſo weit zu verletzen, als es zu ſeiner
Genugthuung nothwendig iſt. Da aber alle Hauptartikel
eines Vertrags in einer natuͤrlichen Verbindung ſtehn, nach
welcher unabhaͤngig von ihrem Inhalt jeder die Erfuͤllung
der uͤbrigen zur Bedingung hat, ſo kann der Verletzte ſtuffen-
weiſe bis zur Aufkuͤndigung des ganzen Vertrags gehn, falls
er nicht auf dieſes Recht Verzicht geleiſtet hat (§. 260. c).

Wird von mehreren Vertraͤgen einer verletzt, ſo hoͤren
zwar dadurch die uͤbrigen nicht ſofort auf verbindlich zu ſeyn,
es iſt auch weit nicht immer zwiſchen ihnen eben die Verbin-
dung, die zwiſchen mehreren Artikeln ein und deſſelben Ver-
trags beſteht. Da aber der beleidigte Theil das Recht hat
dem andren ſo viel vollkommene Rechte zu kraͤnken als ſeine
Genugthuung erheiſcht, ſo kann eine Macht wegen der Ver-

letzung
A a 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0405" n="377"/>
            <fw place="top" type="header">erworbener Rechte der Vo&#x0364;lker gegen einander.</fw><lb/>
            <p>Der Vertrag erli&#x017F;cht wenn die re&#x017F;olutori&#x017F;che Bedingung<lb/>
eintritt, oder die be&#x017F;timmte Zeit abgelaufen i&#x017F;t, dafern nicht<lb/>
der&#x017F;elbe entweder ausdru&#x0364;cklich, oder &#x017F;till&#x017F;chweigend erneuert<lb/>
oder verla&#x0364;ngert wird.</p><lb/>
            <p>Eine ga&#x0364;nzliche Vera&#x0364;nderung derjenigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde, welche<lb/>
den Grund des Vertrags enthalten, macht den Vertrag<lb/>
unverbindlich, obwohl wenn &#x017F;ie durch Schuld des einen Theils<lb/>
&#x017F;ich zugetragen, dafu&#x0364;r oft von dem andern Ent&#x017F;cha&#x0364;digung<lb/>
gefordert werden kann. Eben dieß tritt ein, wenn der Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand des Vertrags aufho&#x0364;ret zu &#x017F;eyn, oder vera&#x0364;ndert wird.<lb/>
Daß auch eine Verbindlichkeit durch Erfu&#x0364;llung der&#x017F;elben er-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;chen ko&#x0364;nne leidet keinen Zweifel.</p><lb/>
            <p>Mit gegen&#x017F;eitigen Willen der Contrahenten, er &#x017F;ey<lb/>
ausdru&#x0364;cklich oder &#x017F;till&#x017F;chweigend erkla&#x0364;ret, kann zwar jeder<lb/>
Vertrag aufgehoben werden, aber ein&#x017F;eitig hat der Regel<lb/>
nach kein Theil das Recht von einem gu&#x0364;ltigen und verbind-<lb/>
lichen Vertrage abzugehn. Nur dann kann er es, wenn<lb/>
entweder &#x017F;eine Selb&#x017F;terhaltung es erfordert, oder der Gegen-<lb/>
theil zuer&#x017F;t von dem Vertrage abging. Nicht jede Ver-<lb/>
letzung eines Artikels <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>) eines Vertrages berechtiget den<lb/>
Gegentheil &#x017F;ofort von dem Vertrage abzugehn, &#x017F;ie giebt ihm<lb/>
nur zuna&#x0364;ch&#x017F;t das Recht auf die Erfu&#x0364;llung des Vertrags zu<lb/>
dringen, oder ihn in &#x017F;o weit zu verletzen, als es zu &#x017F;einer<lb/>
Genugthuung nothwendig i&#x017F;t. Da aber alle Hauptartikel<lb/>
eines Vertrags in einer natu&#x0364;rlichen Verbindung &#x017F;tehn, nach<lb/>
welcher unabha&#x0364;ngig von ihrem Inhalt jeder die Erfu&#x0364;llung<lb/>
der u&#x0364;brigen zur Bedingung hat, &#x017F;o kann der Verletzte &#x017F;tuffen-<lb/>
wei&#x017F;e bis zur Aufku&#x0364;ndigung des ganzen Vertrags gehn, falls<lb/>
er nicht auf die&#x017F;es Recht Verzicht gelei&#x017F;tet hat (§. 260. <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">c</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Wird von mehreren Vertra&#x0364;gen einer verletzt, &#x017F;o ho&#x0364;ren<lb/>
zwar dadurch die u&#x0364;brigen nicht &#x017F;ofort auf verbindlich zu &#x017F;eyn,<lb/>
es i&#x017F;t auch weit nicht immer zwi&#x017F;chen ihnen eben die Verbin-<lb/>
dung, die zwi&#x017F;chen mehreren Artikeln ein und de&#x017F;&#x017F;elben Ver-<lb/>
trags be&#x017F;teht. Da aber der beleidigte Theil das Recht hat<lb/>
dem andren &#x017F;o viel vollkommene Rechte zu kra&#x0364;nken als &#x017F;eine<lb/>
Genugthuung erhei&#x017F;cht, &#x017F;o kann eine Macht wegen der Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 5</fw><fw place="bottom" type="catch">letzung</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0405] erworbener Rechte der Voͤlker gegen einander. Der Vertrag erliſcht wenn die reſolutoriſche Bedingung eintritt, oder die beſtimmte Zeit abgelaufen iſt, dafern nicht derſelbe entweder ausdruͤcklich, oder ſtillſchweigend erneuert oder verlaͤngert wird. Eine gaͤnzliche Veraͤnderung derjenigen Umſtaͤnde, welche den Grund des Vertrags enthalten, macht den Vertrag unverbindlich, obwohl wenn ſie durch Schuld des einen Theils ſich zugetragen, dafuͤr oft von dem andern Entſchaͤdigung gefordert werden kann. Eben dieß tritt ein, wenn der Ge- genſtand des Vertrags aufhoͤret zu ſeyn, oder veraͤndert wird. Daß auch eine Verbindlichkeit durch Erfuͤllung derſelben er- loͤſchen koͤnne leidet keinen Zweifel. Mit gegenſeitigen Willen der Contrahenten, er ſey ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend erklaͤret, kann zwar jeder Vertrag aufgehoben werden, aber einſeitig hat der Regel nach kein Theil das Recht von einem guͤltigen und verbind- lichen Vertrage abzugehn. Nur dann kann er es, wenn entweder ſeine Selbſterhaltung es erfordert, oder der Gegen- theil zuerſt von dem Vertrage abging. Nicht jede Ver- letzung eines Artikels a) eines Vertrages berechtiget den Gegentheil ſofort von dem Vertrage abzugehn, ſie giebt ihm nur zunaͤchſt das Recht auf die Erfuͤllung des Vertrags zu dringen, oder ihn in ſo weit zu verletzen, als es zu ſeiner Genugthuung nothwendig iſt. Da aber alle Hauptartikel eines Vertrags in einer natuͤrlichen Verbindung ſtehn, nach welcher unabhaͤngig von ihrem Inhalt jeder die Erfuͤllung der uͤbrigen zur Bedingung hat, ſo kann der Verletzte ſtuffen- weiſe bis zur Aufkuͤndigung des ganzen Vertrags gehn, falls er nicht auf dieſes Recht Verzicht geleiſtet hat (§. 260. c). Wird von mehreren Vertraͤgen einer verletzt, ſo hoͤren zwar dadurch die uͤbrigen nicht ſofort auf verbindlich zu ſeyn, es iſt auch weit nicht immer zwiſchen ihnen eben die Verbin- dung, die zwiſchen mehreren Artikeln ein und deſſelben Ver- trags beſteht. Da aber der beleidigte Theil das Recht hat dem andren ſo viel vollkommene Rechte zu kraͤnken als ſeine Genugthuung erheiſcht, ſo kann eine Macht wegen der Ver- letzung A a 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/405
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/405>, abgerufen am 23.11.2024.