Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.Einleitung. den stoischen Weltweisen mit dem allgemeinen Nahmenius gentium belegten Naturrechts zu behandeln a). Unter den Trümmern des occidentalischen Kayserthums mit begra- ben, litt diese Wissenschaft noch lange unter dem Drucke der glaubenpredigenden Kirchenväter b), unter dem Dunst scholastischer Spitzfindigkeiten und unter dem Unfug des rechtverschmähenden Faustrechts; bis, nachdem in manchen Landen Landfriede und Gerichte dem Unterthan das Schwert aus den Händen gewunden, und die Reformation die Fesseln des Geistes zerbrochen, auch für diesen Zweig der proktischen Philosophie eine neue Morgenröthe dämmerte. Schwach waren im 16ten Jahrhunderte die ersten Versuche eines Oldendorp c), Hemming d) u. a., tieferdringender die nur zu oft durch römische und canonische Rechtssätze mißleiteten Forschungen des Albericus Gentilis e); doch erst Hugo Grotius f) erwarb sich durch sein unsterbliches Werk de iure belli et pacis g), das, um die Rechte der Völ- ker zu entwickeln, tief bis zu den Rechten der einzelnen Menschen herunter geht, den Nahmen des Vaters der Wissenschaft beydes des Natur- und Völkerrechts; selbst das positive Völkerrecht erkennt ihn als seinen ersten Lehrer, obwohl er es fast nur durch Beyspiele älterer Völker erläuterte. Seinem Ruhm sich anzuschließen bemüht, brachten einzelne sein Werk unter sehr verschiedenen Formen wieder hervor h), und überhaupt wuchs nun sichtbar der Geschmack an dem Studium des natürlichen Rechts. Hob- besens i) übertriebene, oft auch mißverstandene Grundsätze würden der Wissenschaft Gefahr gedrohet haben, hätte er nicht an Locke k) und Cumberland l) ihm gewach- sene Gegner gefunden. Puffendorf m), Gribner n), Wolf o), unter den Teutschen, Ruthenforth p) und Burlamaqui q) u. a. unter den Ausländern, leisteten für das Studium des allgemeinen Völkerrechts wichtige Dienste; aber seit Puffendorf die Existenz eines allgemeinen positi- ven Völkerrechts bestritten, und Wolf sich zu weit in abstrackte Speculationen verloren, schien das Studium des A 5
Einleitung. den ſtoiſchen Weltweiſen mit dem allgemeinen Nahmenius gentium belegten Naturrechts zu behandeln a). Unter den Truͤmmern des occidentaliſchen Kayſerthums mit begra- ben, litt dieſe Wiſſenſchaft noch lange unter dem Drucke der glaubenpredigenden Kirchenvaͤter b), unter dem Dunſt ſcholaſtiſcher Spitzfindigkeiten und unter dem Unfug des rechtverſchmaͤhenden Fauſtrechts; bis, nachdem in manchen Landen Landfriede und Gerichte dem Unterthan das Schwert aus den Haͤnden gewunden, und die Reformation die Feſſeln des Geiſtes zerbrochen, auch fuͤr dieſen Zweig der proktiſchen Philoſophie eine neue Morgenroͤthe daͤmmerte. Schwach waren im 16ten Jahrhunderte die erſten Verſuche eines Oldendorp c), Hemming d) u. a., tieferdringender die nur zu oft durch roͤmiſche und canoniſche Rechtsſaͤtze mißleiteten Forſchungen des Albericus Gentilis e); doch erſt Hugo Grotius f) erwarb ſich durch ſein unſterbliches Werk de iure belli et pacis g), das, um die Rechte der Voͤl- ker zu entwickeln, tief bis zu den Rechten der einzelnen Menſchen herunter geht, den Nahmen des Vaters der Wiſſenſchaft beydes des Natur- und Voͤlkerrechts; ſelbſt das poſitive Voͤlkerrecht erkennt ihn als ſeinen erſten Lehrer, obwohl er es faſt nur durch Beyſpiele aͤlterer Voͤlker erlaͤuterte. Seinem Ruhm ſich anzuſchließen bemuͤht, brachten einzelne ſein Werk unter ſehr verſchiedenen Formen wieder hervor h), und uͤberhaupt wuchs nun ſichtbar der Geſchmack an dem Studium des natuͤrlichen Rechts. Hob- beſens i) uͤbertriebene, oft auch mißverſtandene Grundſaͤtze wuͤrden der Wiſſenſchaft Gefahr gedrohet haben, haͤtte er nicht an Locke k) und Cumberland l) ihm gewach- ſene Gegner gefunden. Puffendorf m), Gribner n), Wolf o), unter den Teutſchen, Ruthenforth p) und Burlamaqui q) u. a. unter den Auslaͤndern, leiſteten fuͤr das Studium des allgemeinen Voͤlkerrechts wichtige Dienſte; aber ſeit Puffendorf die Exiſtenz eines allgemeinen poſiti- ven Voͤlkerrechts beſtritten, und Wolf ſich zu weit in abſtrackte Speculationen verloren, ſchien das Studium des A 5
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Einleitung.
den ſtoiſchen Weltweiſen mit dem allgemeinen Nahmen
ius gentium belegten Naturrechts zu behandeln a). Unter
den Truͤmmern des occidentaliſchen Kayſerthums mit begra-
ben, litt dieſe Wiſſenſchaft noch lange unter dem Drucke
der glaubenpredigenden Kirchenvaͤter b), unter dem Dunſt
ſcholaſtiſcher Spitzfindigkeiten und unter dem Unfug des
rechtverſchmaͤhenden Fauſtrechts; bis, nachdem in manchen
Landen Landfriede und Gerichte dem Unterthan das Schwert
aus den Haͤnden gewunden, und die Reformation die Feſſeln
des Geiſtes zerbrochen, auch fuͤr dieſen Zweig der proktiſchen
Philoſophie eine neue Morgenroͤthe daͤmmerte. Schwach
waren im 16ten Jahrhunderte die erſten Verſuche eines
Oldendorp c), Hemming d) u. a., tieferdringender die nur
zu oft durch roͤmiſche und canoniſche Rechtsſaͤtze mißleiteten
Forſchungen des Albericus Gentilis e); doch erſt Hugo
Grotius f) erwarb ſich durch ſein unſterbliches Werk
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ker zu entwickeln, tief bis zu den Rechten der einzelnen
Menſchen herunter geht, den Nahmen des Vaters der
Wiſſenſchaft beydes des Natur- und Voͤlkerrechts; ſelbſt
das poſitive Voͤlkerrecht erkennt ihn als ſeinen erſten Lehrer,
obwohl er es faſt nur durch Beyſpiele aͤlterer Voͤlker
erlaͤuterte. Seinem Ruhm ſich anzuſchließen bemuͤht,
brachten einzelne ſein Werk unter ſehr verſchiedenen Formen
wieder hervor h), und uͤberhaupt wuchs nun ſichtbar der
Geſchmack an dem Studium des natuͤrlichen Rechts. Hob-
beſens i) uͤbertriebene, oft auch mißverſtandene Grundſaͤtze
wuͤrden der Wiſſenſchaft Gefahr gedrohet haben, haͤtte
er nicht an Locke k) und Cumberland l) ihm gewach-
ſene Gegner gefunden. Puffendorf m), Gribner n),
Wolf o), unter den Teutſchen, Ruthenforth p) und
Burlamaqui q) u. a. unter den Auslaͤndern, leiſteten fuͤr
das Studium des allgemeinen Voͤlkerrechts wichtige Dienſte;
aber ſeit Puffendorf die Exiſtenz eines allgemeinen poſiti-
ven Voͤlkerrechts beſtritten, und Wolf ſich zu weit in
abſtrackte Speculationen verloren, ſchien das Studium
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