Wenn man die positiven Staatsrechte mehrerer Staa- ten, z. E. der einzelnen sieben Provinzen der vereinigten Niederlande, der teutschen Territorien, der europäischen Reiche mit einander vergleicht; so kann man durch Abstrac- tion der darin ähnlichen Puncte, ein generelleres Staats- recht dieser Staaten wissenschaftlich bilden, welches aber von einem Staatsrecht der Union der vereinigten Nieder- lande, von einem teutschen Reichsstaatsrecht und von der Idee eines europäischen Staatsrecht sehr verschieden seyn würde.
Auf diese Art läßt sich ein teutsches oder europäisches Privat Fürstenrecht entwerfen, welches, sofern es auf Grundgesetze und Grundherkommen beruhet, einen Theil dieses Staatsrecht ausmacht.
Die Rechte und Verbindlichkeiten der Völker und Staaten gegen Auswärtige, werden allgemein mit dem Nahmen des Völkerrechts belegt. Dieses ist entweder ein natürliches oder positives Recht. Völker und Staa- ten sind im Verhältniß gegen andere als moralische, in dem Naturstande gegen einander fortlebende Personen zu betrachten. Das natürliche Völkerrecht ist daher nichts anders, als das Naturrecht der einzelnen Menschen zweck- mäßig auf Völker angewendet. Aber die Verschieden- heiten welche aus dieser Anwendung entspringen, erhe- ben das Völkerrecht zu einer eigenen, von dem Naturrecht der einzelnen Menschen noch zu unterscheidenden, Wissen- schafta). Man nennt es das allgemeine, weil es alle Völker, das nothwendige, weil es sie auch ohne ihren Willen bindet; und wie im Naturrecht das Zwangsrecht von der Moral verschieden ist, so ist auch das äußere, vollkommene oder Zwangs-Völkerrecht von der Völker- moral zu unterscheiden.
a) S. wider Puffendorffelem. iur. vniv. L. I. §. 24-26. und ins naturae et gentium L. II. c. III. §. 23. Racheliusde iure naturae et gentium dissertationes. Kilon. 1676. 4. J. W. Textorsynopsis iuris gentium 1680. cap. I. u. a. Vergl. v. Ompteda Litte- ratur des Völkerrechts Th.I. §. 69 u. f.
§. 2.
Einleitung.
Wenn man die poſitiven Staatsrechte mehrerer Staa- ten, z. E. der einzelnen ſieben Provinzen der vereinigten Niederlande, der teutſchen Territorien, der europaͤiſchen Reiche mit einander vergleicht; ſo kann man durch Abſtrac- tion der darin aͤhnlichen Puncte, ein generelleres Staats- recht dieſer Staaten wiſſenſchaftlich bilden, welches aber von einem Staatsrecht der Union der vereinigten Nieder- lande, von einem teutſchen Reichsſtaatsrecht und von der Idee eines europaͤiſchen Staatsrecht ſehr verſchieden ſeyn wuͤrde.
Auf dieſe Art laͤßt ſich ein teutſches oder europaͤiſches Privat Fuͤrſtenrecht entwerfen, welches, ſofern es auf Grundgeſetze und Grundherkommen beruhet, einen Theil dieſes Staatsrecht ausmacht.
Die Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker und Staaten gegen Auswaͤrtige, werden allgemein mit dem Nahmen des Voͤlkerrechts belegt. Dieſes iſt entweder ein natuͤrliches oder poſitives Recht. Voͤlker und Staa- ten ſind im Verhaͤltniß gegen andere als moraliſche, in dem Naturſtande gegen einander fortlebende Perſonen zu betrachten. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt daher nichts anders, als das Naturrecht der einzelnen Menſchen zweck- maͤßig auf Voͤlker angewendet. Aber die Verſchieden- heiten welche aus dieſer Anwendung entſpringen, erhe- ben das Voͤlkerrecht zu einer eigenen, von dem Naturrecht der einzelnen Menſchen noch zu unterſcheidenden, Wiſſen- ſchafta). Man nennt es das allgemeine, weil es alle Voͤlker, das nothwendige, weil es ſie auch ohne ihren Willen bindet; und wie im Naturrecht das Zwangsrecht von der Moral verſchieden iſt, ſo iſt auch das aͤußere, vollkommene oder Zwangs-Voͤlkerrecht von der Voͤlker- moral zu unterſcheiden.
a) S. wider Puffendorffelem. iur. vniv. L. I. §. 24‒26. und ins naturae et gentium L. II. c. III. §. 23. Racheliusde iure naturae et gentium diſſertationes. Kilon. 1676. 4. J. W. Textorſynopſis iuris gentium 1680. cap. I. u. a. Vergl. v. Ompteda Litte- ratur des Voͤlkerrechts Th.I. §. 69 u. f.
§. 2.
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Einleitung.
Wenn man die poſitiven Staatsrechte mehrerer Staa-
ten, z. E. der einzelnen ſieben Provinzen der vereinigten
Niederlande, der teutſchen Territorien, der europaͤiſchen
Reiche mit einander vergleicht; ſo kann man durch Abſtrac-
tion der darin aͤhnlichen Puncte, ein generelleres Staats-
recht dieſer Staaten wiſſenſchaftlich bilden, welches aber
von einem Staatsrecht der Union der vereinigten Nieder-
lande, von einem teutſchen Reichsſtaatsrecht und von der Idee
eines europaͤiſchen Staatsrecht ſehr verſchieden ſeyn wuͤrde.
Auf dieſe Art laͤßt ſich ein teutſches oder europaͤiſches
Privat Fuͤrſtenrecht entwerfen, welches, ſofern es auf
Grundgeſetze und Grundherkommen beruhet, einen Theil
dieſes Staatsrecht ausmacht.
Die Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker und
Staaten gegen Auswaͤrtige, werden allgemein mit dem
Nahmen des Voͤlkerrechts belegt. Dieſes iſt entweder
ein natuͤrliches oder poſitives Recht. Voͤlker und Staa-
ten ſind im Verhaͤltniß gegen andere als moraliſche, in
dem Naturſtande gegen einander fortlebende Perſonen zu
betrachten. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt daher nichts
anders, als das Naturrecht der einzelnen Menſchen zweck-
maͤßig auf Voͤlker angewendet. Aber die Verſchieden-
heiten welche aus dieſer Anwendung entſpringen, erhe-
ben das Voͤlkerrecht zu einer eigenen, von dem Naturrecht
der einzelnen Menſchen noch zu unterſcheidenden, Wiſſen-
ſchaft a). Man nennt es das allgemeine, weil es alle
Voͤlker, das nothwendige, weil es ſie auch ohne ihren
Willen bindet; und wie im Naturrecht das Zwangsrecht
von der Moral verſchieden iſt, ſo iſt auch das aͤußere,
vollkommene oder Zwangs-Voͤlkerrecht von der Voͤlker-
moral zu unterſcheiden.
a⁾ S. wider Puffendorff elem. iur. vniv. L. I. §. 24‒26. und ins
naturae et gentium L. II. c. III. §. 23. Rachelius de iure naturae
et gentium diſſertationes. Kilon. 1676. 4. J. W. Textor ſynopſis
iuris gentium 1680. cap. I. u. a. Vergl. v. Ompteda Litte-
ratur des Voͤlkerrechts Th. I. §. 69 u. f.
§. 2.
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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/30>, abgerufen am 16.02.2025.
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