Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Zweytes Hauptstück.
dies auswärtige Völker nicht vollkommen verpflichten, ihm
eben diese Würde und Vorzüge einzuräumen; diese können
sie ihm daher ganz verweigern, oder nur unter gewissen
Bedingungen und Beschränkungen anerkennen.

Doch kann der Wunsch in freundschaftlichem Verkehr
mit einer Nation zu treten, oder zu bleiben, das Verlan-
gen, daß auch sie gegen unseren Regenten ein gleiches thue,
eine dringende Veranlassung werden, solche Würden, und
sofern das Herkommen mit diesen Würden und mit dem
Besitz der Unabhängigkeit noch andere Ehrenbezeugungen
verbunden hat, auch diese Ehrenbezeugungen einer anderen
Nation einzuräumen.

Eben so hat zwar ursprünglich kein Staat irgend ein
Recht vor einem andren den Vorrang oder andere Vor-
züge zu begehren. Doch können schwächere Staaten sich
leicht veranlasset sehn, mächtigeren, deren Freundschaft sie
bedürfen, und deren Feindschaft sie zu fürchten haben, gut-
willig den Rang und andere vorzügliche Rechte einzuräu-
men, zumahl sie nicht verhindern können, daß dritte Staa-
ten, da wo dies von ihrer Willkühr abhängt, sie den
mächtigeren nachsetzen.

§. 123.
Europäisches Völker-Ceremoniel.

Durch diese Veranlassung sind auch in Europa in
Hinsicht der Würden, des Rangs und anderer Ehrenbezeu-
gungen der Staaten, ihrer Regenten und Representanten,
so mannigfaltige Bestimmungen eingeführet, daß daraus
eine eigene Wissenschaft des Völker-Ceremoniels a), im
Gegensatz des inneren Staats-Ceremoniels, gebildet wer-
den kann, die wenn sie gleich mehrentheils auf bloßes Her-
kommen sich stützt, gleichwohl in dem Völkerrecht eine
Stelle verdient; zumahl die angenommenen Grundsätze der-
selben oft heiliger, als die feyerlichsten Verträge erfüllet
werden. Dieses Völker-Ceremoniel zerfällt wiederum in
verschiedene Theile, nach der Verschiedenheit der Gegenstände

wobey

Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
dies auswaͤrtige Voͤlker nicht vollkommen verpflichten, ihm
eben dieſe Wuͤrde und Vorzuͤge einzuraͤumen; dieſe koͤnnen
ſie ihm daher ganz verweigern, oder nur unter gewiſſen
Bedingungen und Beſchraͤnkungen anerkennen.

Doch kann der Wunſch in freundſchaftlichem Verkehr
mit einer Nation zu treten, oder zu bleiben, das Verlan-
gen, daß auch ſie gegen unſeren Regenten ein gleiches thue,
eine dringende Veranlaſſung werden, ſolche Wuͤrden, und
ſofern das Herkommen mit dieſen Wuͤrden und mit dem
Beſitz der Unabhaͤngigkeit noch andere Ehrenbezeugungen
verbunden hat, auch dieſe Ehrenbezeugungen einer anderen
Nation einzuraͤumen.

Eben ſo hat zwar urſpruͤnglich kein Staat irgend ein
Recht vor einem andren den Vorrang oder andere Vor-
zuͤge zu begehren. Doch koͤnnen ſchwaͤchere Staaten ſich
leicht veranlaſſet ſehn, maͤchtigeren, deren Freundſchaft ſie
beduͤrfen, und deren Feindſchaft ſie zu fuͤrchten haben, gut-
willig den Rang und andere vorzuͤgliche Rechte einzuraͤu-
men, zumahl ſie nicht verhindern koͤnnen, daß dritte Staa-
ten, da wo dies von ihrer Willkuͤhr abhaͤngt, ſie den
maͤchtigeren nachſetzen.

§. 123.
Europaͤiſches Voͤlker-Ceremoniel.

Durch dieſe Veranlaſſung ſind auch in Europa in
Hinſicht der Wuͤrden, des Rangs und anderer Ehrenbezeu-
gungen der Staaten, ihrer Regenten und Repreſentanten,
ſo mannigfaltige Beſtimmungen eingefuͤhret, daß daraus
eine eigene Wiſſenſchaft des Voͤlker-Ceremoniels a), im
Gegenſatz des inneren Staats-Ceremoniels, gebildet wer-
den kann, die wenn ſie gleich mehrentheils auf bloßes Her-
kommen ſich ſtuͤtzt, gleichwohl in dem Voͤlkerrecht eine
Stelle verdient; zumahl die angenommenen Grundſaͤtze der-
ſelben oft heiliger, als die feyerlichſten Vertraͤge erfuͤllet
werden. Dieſes Voͤlker-Ceremoniel zerfaͤllt wiederum in
verſchiedene Theile, nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde

wobey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0176" n="148"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch. Zweytes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</fw><lb/>
dies auswa&#x0364;rtige Vo&#x0364;lker nicht vollkommen verpflichten, ihm<lb/>
eben die&#x017F;e Wu&#x0364;rde und Vorzu&#x0364;ge einzura&#x0364;umen; die&#x017F;e ko&#x0364;nnen<lb/>
&#x017F;ie ihm daher ganz verweigern, oder nur unter gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Bedingungen und Be&#x017F;chra&#x0364;nkungen anerkennen.</p><lb/>
            <p>Doch kann der Wun&#x017F;ch in freund&#x017F;chaftlichem Verkehr<lb/>
mit einer Nation zu treten, oder zu bleiben, das Verlan-<lb/>
gen, daß auch &#x017F;ie gegen un&#x017F;eren Regenten ein gleiches thue,<lb/>
eine dringende Veranla&#x017F;&#x017F;ung werden, &#x017F;olche Wu&#x0364;rden, und<lb/>
&#x017F;ofern das Herkommen mit die&#x017F;en Wu&#x0364;rden und mit dem<lb/>
Be&#x017F;itz der Unabha&#x0364;ngigkeit noch andere Ehrenbezeugungen<lb/>
verbunden hat, auch die&#x017F;e Ehrenbezeugungen einer anderen<lb/>
Nation einzura&#x0364;umen.</p><lb/>
            <p>Eben &#x017F;o hat zwar ur&#x017F;pru&#x0364;nglich kein Staat irgend ein<lb/>
Recht vor einem andren den Vorrang oder andere Vor-<lb/>
zu&#x0364;ge zu begehren. Doch ko&#x0364;nnen &#x017F;chwa&#x0364;chere Staaten &#x017F;ich<lb/>
leicht veranla&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ehn, ma&#x0364;chtigeren, deren Freund&#x017F;chaft &#x017F;ie<lb/>
bedu&#x0364;rfen, und deren Feind&#x017F;chaft &#x017F;ie zu fu&#x0364;rchten haben, gut-<lb/>
willig den Rang und andere vorzu&#x0364;gliche Rechte einzura&#x0364;u-<lb/>
men, zumahl &#x017F;ie nicht verhindern ko&#x0364;nnen, daß dritte Staa-<lb/>
ten, da wo dies von ihrer Willku&#x0364;hr abha&#x0364;ngt, &#x017F;ie den<lb/>
ma&#x0364;chtigeren nach&#x017F;etzen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 123.<lb/><hi rendition="#fr">Europa&#x0364;i&#x017F;ches Vo&#x0364;lker-Ceremoniel</hi>.</head><lb/>
            <p>Durch die&#x017F;e Veranla&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ind auch in Europa in<lb/>
Hin&#x017F;icht der Wu&#x0364;rden, des Rangs und anderer Ehrenbezeu-<lb/>
gungen der Staaten, ihrer Regenten und Repre&#x017F;entanten,<lb/>
&#x017F;o mannigfaltige Be&#x017F;timmungen eingefu&#x0364;hret, daß daraus<lb/>
eine eigene Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft des <hi rendition="#fr">Vo&#x0364;lker-Ceremoniels</hi> <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>), im<lb/>
Gegen&#x017F;atz des inneren Staats-Ceremoniels, gebildet wer-<lb/>
den kann, die wenn &#x017F;ie gleich mehrentheils auf bloßes Her-<lb/>
kommen &#x017F;ich &#x017F;tu&#x0364;tzt, gleichwohl in dem Vo&#x0364;lkerrecht eine<lb/>
Stelle verdient; zumahl die angenommenen Grund&#x017F;a&#x0364;tze der-<lb/>
&#x017F;elben oft heiliger, als die feyerlich&#x017F;ten Vertra&#x0364;ge erfu&#x0364;llet<lb/>
werden. Die&#x017F;es Vo&#x0364;lker-Ceremoniel zerfa&#x0364;llt wiederum in<lb/>
ver&#x017F;chiedene Theile, nach der Ver&#x017F;chiedenheit der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wobey</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0176] Viertes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck. dies auswaͤrtige Voͤlker nicht vollkommen verpflichten, ihm eben dieſe Wuͤrde und Vorzuͤge einzuraͤumen; dieſe koͤnnen ſie ihm daher ganz verweigern, oder nur unter gewiſſen Bedingungen und Beſchraͤnkungen anerkennen. Doch kann der Wunſch in freundſchaftlichem Verkehr mit einer Nation zu treten, oder zu bleiben, das Verlan- gen, daß auch ſie gegen unſeren Regenten ein gleiches thue, eine dringende Veranlaſſung werden, ſolche Wuͤrden, und ſofern das Herkommen mit dieſen Wuͤrden und mit dem Beſitz der Unabhaͤngigkeit noch andere Ehrenbezeugungen verbunden hat, auch dieſe Ehrenbezeugungen einer anderen Nation einzuraͤumen. Eben ſo hat zwar urſpruͤnglich kein Staat irgend ein Recht vor einem andren den Vorrang oder andere Vor- zuͤge zu begehren. Doch koͤnnen ſchwaͤchere Staaten ſich leicht veranlaſſet ſehn, maͤchtigeren, deren Freundſchaft ſie beduͤrfen, und deren Feindſchaft ſie zu fuͤrchten haben, gut- willig den Rang und andere vorzuͤgliche Rechte einzuraͤu- men, zumahl ſie nicht verhindern koͤnnen, daß dritte Staa- ten, da wo dies von ihrer Willkuͤhr abhaͤngt, ſie den maͤchtigeren nachſetzen. §. 123. Europaͤiſches Voͤlker-Ceremoniel. Durch dieſe Veranlaſſung ſind auch in Europa in Hinſicht der Wuͤrden, des Rangs und anderer Ehrenbezeu- gungen der Staaten, ihrer Regenten und Repreſentanten, ſo mannigfaltige Beſtimmungen eingefuͤhret, daß daraus eine eigene Wiſſenſchaft des Voͤlker-Ceremoniels a), im Gegenſatz des inneren Staats-Ceremoniels, gebildet wer- den kann, die wenn ſie gleich mehrentheils auf bloßes Her- kommen ſich ſtuͤtzt, gleichwohl in dem Voͤlkerrecht eine Stelle verdient; zumahl die angenommenen Grundſaͤtze der- ſelben oft heiliger, als die feyerlichſten Vertraͤge erfuͤllet werden. Dieſes Voͤlker-Ceremoniel zerfaͤllt wiederum in verſchiedene Theile, nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde wobey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/176
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/176>, abgerufen am 22.12.2024.