Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Erstes Hauptstück.
ger Ausdehnung es in Gefahr setzen könne 3) daß auch
Bündnisse mächtiger Staaten das Gleichgewicht zerrütten
können a) 4) daß die innere Schwächung oder Zerstücke-
lung eines Staats dem Gleichgewicht oft eben so gefähr-
lich werden könne, als die Vergrößerung eines andern b).

Unter den Mitteln c) läßt sich zwar die Rechtmäßig-
keit gütlicher, von einzelnen oder von mehreren vereinigten
Staaten gemeinschaftlich versuchter Vorstellungen, Abmah-
nungen u. s. f. d) nicht bezweifeln, wo aber diese nicht
hinreichen, können auch Bündnisse, es sey mit dem Staat
auf dessen Kosten ein anderer sich vergrößern will, oder
mit anderen Mächten, und in Gemäßheit deren, die Gewalt
der Waffen nicht als unrechtmäßig angesehn werden. Nur
die Rechtmäßigkeit des in neueren Zeiten so beliebten sy-
steme copartageant,
nach welchem ein Staat die Ver-
größerung eines anderen nur unter der Bedingung zugiebt,
daß auch er sich verhältnißmäßig vergrößern dürfe, läßt
sich billig dann bezweifeln, wenn diese Vergrößerungen auf
Kosten eines dritten schuldlosen Staats vorgenommen wer-
den sollen.

Eben so läßt sich zwar die Sorge eines jeden Staats
durch Erweiterung seines Handels und seiner Schiffarth
einer andren Nation das Gleichgewicht zur See zu halten
nicht verwerfen, auch können mehrere Seemächte in Bünd-
nissen ihre Sicherheit wider den gegenwärtigen Mißbrauch
der Gewalt einer hervorragenden Seemacht suchen e), aber
nie kann das System des Gleichgewichts einen Rechtferti-
gungsgrund abgeben, eine Nation wegen ihres zu ausgebrei-
teten Handels zu bekriegen, oder sie zu nöthigen ihre See-
macht einzuschränken.

a) Z. B. die Oesterreich-Russische Allianz, das Familienpact u. s. f.
b) Würde Polen getheilt seyn, wenn Frankreich nicht durch innere
Zerrüttung unwirksam geworden wäre?
c) Günther Th. I. S. 362.
d) Davon giebt die vor dem Frieden zu Jassy zwischen Rußland
und der Pforte hergegangene Brittisch-Preußische Negotiation
ein treffendes Beyspiel in m. Recueil T. V. S. 53.

e) Von

Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
ger Ausdehnung es in Gefahr ſetzen koͤnne 3) daß auch
Buͤndniſſe maͤchtiger Staaten das Gleichgewicht zerruͤtten
koͤnnen a) 4) daß die innere Schwaͤchung oder Zerſtuͤcke-
lung eines Staats dem Gleichgewicht oft eben ſo gefaͤhr-
lich werden koͤnne, als die Vergroͤßerung eines andern b).

Unter den Mitteln c) laͤßt ſich zwar die Rechtmaͤßig-
keit guͤtlicher, von einzelnen oder von mehreren vereinigten
Staaten gemeinſchaftlich verſuchter Vorſtellungen, Abmah-
nungen u. ſ. f. d) nicht bezweifeln, wo aber dieſe nicht
hinreichen, koͤnnen auch Buͤndniſſe, es ſey mit dem Staat
auf deſſen Koſten ein anderer ſich vergroͤßern will, oder
mit anderen Maͤchten, und in Gemaͤßheit deren, die Gewalt
der Waffen nicht als unrechtmaͤßig angeſehn werden. Nur
die Rechtmaͤßigkeit des in neueren Zeiten ſo beliebten ſy-
ſteme copartageant,
nach welchem ein Staat die Ver-
groͤßerung eines anderen nur unter der Bedingung zugiebt,
daß auch er ſich verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßern duͤrfe, laͤßt
ſich billig dann bezweifeln, wenn dieſe Vergroͤßerungen auf
Koſten eines dritten ſchuldloſen Staats vorgenommen wer-
den ſollen.

Eben ſo laͤßt ſich zwar die Sorge eines jeden Staats
durch Erweiterung ſeines Handels und ſeiner Schiffarth
einer andren Nation das Gleichgewicht zur See zu halten
nicht verwerfen, auch koͤnnen mehrere Seemaͤchte in Buͤnd-
niſſen ihre Sicherheit wider den gegenwaͤrtigen Mißbrauch
der Gewalt einer hervorragenden Seemacht ſuchen e), aber
nie kann das Syſtem des Gleichgewichts einen Rechtferti-
gungsgrund abgeben, eine Nation wegen ihres zu ausgebrei-
teten Handels zu bekriegen, oder ſie zu noͤthigen ihre See-
macht einzuſchraͤnken.

a) Z. B. die Oeſterreich-Ruſſiſche Allianz, das Familienpact u. ſ. f.
b) Wuͤrde Polen getheilt ſeyn, wenn Frankreich nicht durch innere
Zerruͤttung unwirkſam geworden waͤre?
c) Guͤnther Th. I. S. 362.
d) Davon giebt die vor dem Frieden zu Jaſſy zwiſchen Rußland
und der Pforte hergegangene Brittiſch-Preußiſche Negotiation
ein treffendes Beyſpiel in m. Recueil T. V. S. 53.

e) Von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0174" n="146"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</fw><lb/>
ger Ausdehnung es in Gefahr &#x017F;etzen ko&#x0364;nne 3) daß auch<lb/>
Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e ma&#x0364;chtiger Staaten das Gleichgewicht zerru&#x0364;tten<lb/>
ko&#x0364;nnen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>) 4) daß die innere Schwa&#x0364;chung oder Zer&#x017F;tu&#x0364;cke-<lb/>
lung eines Staats dem Gleichgewicht oft eben &#x017F;o gefa&#x0364;hr-<lb/>
lich werden ko&#x0364;nne, als die Vergro&#x0364;ßerung eines andern <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>).</p><lb/>
            <p>Unter den Mitteln <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">c</hi></hi>) la&#x0364;ßt &#x017F;ich zwar die Rechtma&#x0364;ßig-<lb/>
keit gu&#x0364;tlicher, von einzelnen oder von mehreren vereinigten<lb/>
Staaten gemein&#x017F;chaftlich ver&#x017F;uchter Vor&#x017F;tellungen, Abmah-<lb/>
nungen u. &#x017F;. f. <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">d</hi></hi>) nicht bezweifeln, wo aber die&#x017F;e nicht<lb/>
hinreichen, ko&#x0364;nnen auch Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e, es &#x017F;ey mit dem Staat<lb/>
auf de&#x017F;&#x017F;en Ko&#x017F;ten ein anderer &#x017F;ich vergro&#x0364;ßern will, oder<lb/>
mit anderen Ma&#x0364;chten, und in Gema&#x0364;ßheit deren, die Gewalt<lb/>
der Waffen nicht als unrechtma&#x0364;ßig ange&#x017F;ehn werden. Nur<lb/>
die Rechtma&#x0364;ßigkeit des in neueren Zeiten &#x017F;o beliebten <hi rendition="#aq">&#x017F;y-<lb/>
&#x017F;teme copartageant,</hi> nach welchem ein Staat die Ver-<lb/>
gro&#x0364;ßerung eines anderen nur unter der Bedingung zugiebt,<lb/>
daß auch er &#x017F;ich verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßig vergro&#x0364;ßern du&#x0364;rfe, la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich billig dann bezweifeln, wenn die&#x017F;e Vergro&#x0364;ßerungen auf<lb/>
Ko&#x017F;ten eines dritten &#x017F;chuldlo&#x017F;en Staats vorgenommen wer-<lb/>
den &#x017F;ollen.</p><lb/>
            <p>Eben &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich zwar die Sorge eines jeden Staats<lb/>
durch Erweiterung &#x017F;eines Handels und &#x017F;einer Schiffarth<lb/>
einer andren Nation das Gleichgewicht zur <hi rendition="#fr">See</hi> zu halten<lb/>
nicht verwerfen, auch ko&#x0364;nnen mehrere Seema&#x0364;chte in Bu&#x0364;nd-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en ihre Sicherheit wider den gegenwa&#x0364;rtigen Mißbrauch<lb/>
der Gewalt einer hervorragenden Seemacht &#x017F;uchen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">e</hi></hi>), aber<lb/>
nie kann das Sy&#x017F;tem des Gleichgewichts einen Rechtferti-<lb/>
gungsgrund abgeben, eine Nation wegen ihres zu ausgebrei-<lb/>
teten Handels zu bekriegen, oder &#x017F;ie zu no&#x0364;thigen ihre See-<lb/>
macht einzu&#x017F;chra&#x0364;nken.</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">Z. B. die Oe&#x017F;terreich-Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Allianz, das Familienpact u. &#x017F;. f.</note><lb/>
            <note place="end" n="b)">Wu&#x0364;rde <hi rendition="#fr">Polen</hi> getheilt &#x017F;eyn, wenn <hi rendition="#fr">Frankreich</hi> nicht durch innere<lb/>
Zerru&#x0364;ttung unwirk&#x017F;am geworden wa&#x0364;re?</note><lb/>
            <note place="end" n="c)"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gu&#x0364;nther</hi></hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 362.</note><lb/>
            <note place="end" n="d)">Davon giebt die vor dem Frieden zu Ja&#x017F;&#x017F;y zwi&#x017F;chen Rußland<lb/>
und der Pforte hergegangene Britti&#x017F;ch-Preußi&#x017F;che Negotiation<lb/>
ein treffendes Bey&#x017F;piel in m. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Recueil</hi> T. V.</hi> S. 53.</note><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">e</hi></hi>) Von</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0174] Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck. ger Ausdehnung es in Gefahr ſetzen koͤnne 3) daß auch Buͤndniſſe maͤchtiger Staaten das Gleichgewicht zerruͤtten koͤnnen a) 4) daß die innere Schwaͤchung oder Zerſtuͤcke- lung eines Staats dem Gleichgewicht oft eben ſo gefaͤhr- lich werden koͤnne, als die Vergroͤßerung eines andern b). Unter den Mitteln c) laͤßt ſich zwar die Rechtmaͤßig- keit guͤtlicher, von einzelnen oder von mehreren vereinigten Staaten gemeinſchaftlich verſuchter Vorſtellungen, Abmah- nungen u. ſ. f. d) nicht bezweifeln, wo aber dieſe nicht hinreichen, koͤnnen auch Buͤndniſſe, es ſey mit dem Staat auf deſſen Koſten ein anderer ſich vergroͤßern will, oder mit anderen Maͤchten, und in Gemaͤßheit deren, die Gewalt der Waffen nicht als unrechtmaͤßig angeſehn werden. Nur die Rechtmaͤßigkeit des in neueren Zeiten ſo beliebten ſy- ſteme copartageant, nach welchem ein Staat die Ver- groͤßerung eines anderen nur unter der Bedingung zugiebt, daß auch er ſich verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßern duͤrfe, laͤßt ſich billig dann bezweifeln, wenn dieſe Vergroͤßerungen auf Koſten eines dritten ſchuldloſen Staats vorgenommen wer- den ſollen. Eben ſo laͤßt ſich zwar die Sorge eines jeden Staats durch Erweiterung ſeines Handels und ſeiner Schiffarth einer andren Nation das Gleichgewicht zur See zu halten nicht verwerfen, auch koͤnnen mehrere Seemaͤchte in Buͤnd- niſſen ihre Sicherheit wider den gegenwaͤrtigen Mißbrauch der Gewalt einer hervorragenden Seemacht ſuchen e), aber nie kann das Syſtem des Gleichgewichts einen Rechtferti- gungsgrund abgeben, eine Nation wegen ihres zu ausgebrei- teten Handels zu bekriegen, oder ſie zu noͤthigen ihre See- macht einzuſchraͤnken. a⁾ Z. B. die Oeſterreich-Ruſſiſche Allianz, das Familienpact u. ſ. f. b⁾ Wuͤrde Polen getheilt ſeyn, wenn Frankreich nicht durch innere Zerruͤttung unwirkſam geworden waͤre? c⁾ Guͤnther Th. I. S. 362. d⁾ Davon giebt die vor dem Frieden zu Jaſſy zwiſchen Rußland und der Pforte hergegangene Brittiſch-Preußiſche Negotiation ein treffendes Beyſpiel in m. Recueil T. V. S. 53. e) Von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/174
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/174>, abgerufen am 05.12.2024.