Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Erstes Hauptstück.
cher Verträge zu nöthigen, als durch ihre Verträge mit
andern ihm wider seinen Willen Verbindlichkeiten aufzulegen.

§. 116.
Ausnahmen hievon in der Praxis.

Wie sehr auch diese Grundsätze von den Europäischen
Mächten in der Theorie anerkannt werden, so leiden sie
doch in der Praxis manche Abfälle. Nicht nur 1) sofern
es mehrere Beyspiele giebt, wo freye Mächte sich durch ihre
mit einer Macht eingegangenen Verträge in Ansehung der
mit andren zu schließenden die Hände gebunden haben a),
oder sofern nicht völlig unabhängige Staaten durch die Ge-
setze die sie über sich erkennen in ihrer Freyheit gewisse
Verträge zu schließen beschränkt sind b); sondern 2) viele
minder mächtige Staaten in Europa sehen sich durch poli-
tische Rücksichten verhindert sich ihrer natürlichen Freyheit
Verträge zu schließen in ihrer ganzen Ausdehnung zu bedie-
nen, und manche derselben sind bey aller ihnen zustehenden
förmlichen Unabhängigkeit, in einer sehr reellen Abhän-
gigkeit von ihren mächtigen Nachbaren. Endlich 3) fehlt
es nicht an Beyspielen neuerer Zeiten c), daß Mächte eine
andere wider ihren Willen genöthiget haben, einem von
ihnen geschloßenen Vertrage beyzutreten, und selbst zum vor-
aus sie unter die Zahl der Contrahenten mit aufgeführet
haben d).

a) Z. B. die indischen Fürsten welche ein oder andren europäischen
Macht das Recht des ausschließlichen Handels mit ihnen ein-
geräumt haben, oder Oesterreich das durch seine Verträge von
1731 zum Besten Großbritanniens und der verein. Nieder-
lande
dem Handel von Belgien aus nach Indien entsagte; oder
Polen das in der Allianz von 1793. art. 11. alle sein künftigen
Bündnisse der russischen Einwilligung unterwarf m. Recueil
T. V.
S. 222.
b) S. in Ansehung der teutschen Reichsstände W. Fr. art. 8. §. 2.
Wahl. Capit. art. 6. §. 5.
c) Z. B. die Partage Tractaten über die spanische Erbfolge, die
Quadruple-Allianz 1718. den Aachener Frieden 1748. Moser
Versuch
Th. VIII. S. 307.

d) von

Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
cher Vertraͤge zu noͤthigen, als durch ihre Vertraͤge mit
andern ihm wider ſeinen Willen Verbindlichkeiten aufzulegen.

§. 116.
Ausnahmen hievon in der Praxis.

Wie ſehr auch dieſe Grundſaͤtze von den Europaͤiſchen
Maͤchten in der Theorie anerkannt werden, ſo leiden ſie
doch in der Praxis manche Abfaͤlle. Nicht nur 1) ſofern
es mehrere Beyſpiele giebt, wo freye Maͤchte ſich durch ihre
mit einer Macht eingegangenen Vertraͤge in Anſehung der
mit andren zu ſchließenden die Haͤnde gebunden haben a),
oder ſofern nicht voͤllig unabhaͤngige Staaten durch die Ge-
ſetze die ſie uͤber ſich erkennen in ihrer Freyheit gewiſſe
Vertraͤge zu ſchließen beſchraͤnkt ſind b); ſondern 2) viele
minder maͤchtige Staaten in Europa ſehen ſich durch poli-
tiſche Ruͤckſichten verhindert ſich ihrer natuͤrlichen Freyheit
Vertraͤge zu ſchließen in ihrer ganzen Ausdehnung zu bedie-
nen, und manche derſelben ſind bey aller ihnen zuſtehenden
foͤrmlichen Unabhaͤngigkeit, in einer ſehr reellen Abhaͤn-
gigkeit von ihren maͤchtigen Nachbaren. Endlich 3) fehlt
es nicht an Beyſpielen neuerer Zeiten c), daß Maͤchte eine
andere wider ihren Willen genoͤthiget haben, einem von
ihnen geſchloßenen Vertrage beyzutreten, und ſelbſt zum vor-
aus ſie unter die Zahl der Contrahenten mit aufgefuͤhret
haben d).

a) Z. B. die indiſchen Fuͤrſten welche ein oder andren europaͤiſchen
Macht das Recht des ausſchließlichen Handels mit ihnen ein-
geraͤumt haben, oder Oeſterreich das durch ſeine Vertraͤge von
1731 zum Beſten Großbritanniens und der verein. Nieder-
lande
dem Handel von Belgien aus nach Indien entſagte; oder
Polen das in der Allianz von 1793. art. 11. alle ſein kuͤnftigen
Buͤndniſſe der ruſſiſchen Einwilligung unterwarf m. Recueil
T. V.
S. 222.
b) S. in Anſehung der teutſchen Reichsſtaͤnde W. Fr. art. 8. §. 2.
Wahl. Capit. art. 6. §. 5.
c) Z. B. die Partage Tractaten uͤber die ſpaniſche Erbfolge, die
Quadruple-Allianz 1718. den Aachener Frieden 1748. Moſer
Verſuch
Th. VIII. S. 307.

d) von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0168" n="140"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</fw><lb/>
cher Vertra&#x0364;ge zu no&#x0364;thigen, als durch ihre Vertra&#x0364;ge mit<lb/>
andern ihm wider &#x017F;einen Willen Verbindlichkeiten aufzulegen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 116.<lb/><hi rendition="#fr">Ausnahmen hievon in der Praxis</hi>.</head><lb/>
            <p>Wie &#x017F;ehr auch die&#x017F;e Grund&#x017F;a&#x0364;tze von den Europa&#x0364;i&#x017F;chen<lb/>
Ma&#x0364;chten in der Theorie anerkannt werden, &#x017F;o leiden &#x017F;ie<lb/>
doch in der Praxis manche Abfa&#x0364;lle. Nicht nur 1) &#x017F;ofern<lb/>
es mehrere Bey&#x017F;piele giebt, wo freye Ma&#x0364;chte &#x017F;ich durch ihre<lb/>
mit einer Macht eingegangenen Vertra&#x0364;ge in An&#x017F;ehung der<lb/>
mit andren zu &#x017F;chließenden die Ha&#x0364;nde gebunden haben <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>),<lb/>
oder &#x017F;ofern nicht vo&#x0364;llig unabha&#x0364;ngige Staaten durch die Ge-<lb/>
&#x017F;etze die &#x017F;ie u&#x0364;ber &#x017F;ich erkennen in ihrer Freyheit gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Vertra&#x0364;ge zu &#x017F;chließen be&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ind <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>); &#x017F;ondern 2) viele<lb/>
minder ma&#x0364;chtige Staaten in Europa &#x017F;ehen &#x017F;ich durch poli-<lb/>
ti&#x017F;che Ru&#x0364;ck&#x017F;ichten verhindert &#x017F;ich ihrer natu&#x0364;rlichen Freyheit<lb/>
Vertra&#x0364;ge zu &#x017F;chließen in ihrer ganzen Ausdehnung zu bedie-<lb/>
nen, und manche der&#x017F;elben &#x017F;ind bey aller ihnen zu&#x017F;tehenden<lb/>
fo&#x0364;rmlichen Unabha&#x0364;ngigkeit, in einer &#x017F;ehr reellen Abha&#x0364;n-<lb/>
gigkeit von ihren ma&#x0364;chtigen Nachbaren. Endlich 3) fehlt<lb/>
es nicht an Bey&#x017F;pielen neuerer Zeiten <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">c</hi></hi>), daß Ma&#x0364;chte eine<lb/>
andere wider ihren Willen geno&#x0364;thiget haben, einem von<lb/>
ihnen ge&#x017F;chloßenen Vertrage beyzutreten, und &#x017F;elb&#x017F;t zum vor-<lb/>
aus &#x017F;ie unter die Zahl der Contrahenten mit aufgefu&#x0364;hret<lb/>
haben <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">d</hi></hi>).</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">Z. B. die indi&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten welche ein oder andren europa&#x0364;i&#x017F;chen<lb/>
Macht das Recht des aus&#x017F;chließlichen Handels mit ihnen ein-<lb/>
gera&#x0364;umt haben, oder <hi rendition="#fr">Oe&#x017F;terreich</hi> das durch &#x017F;eine Vertra&#x0364;ge von<lb/>
1731 zum Be&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Großbritanniens</hi> und der verein. <hi rendition="#fr">Nieder-<lb/>
lande</hi> dem Handel von Belgien aus nach Indien ent&#x017F;agte; oder<lb/><hi rendition="#fr">Polen</hi> das in der Allianz von 1793. <hi rendition="#aq">art. 11.</hi> alle &#x017F;ein ku&#x0364;nftigen<lb/>
Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Einwilligung unterwarf m. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Recueil</hi><lb/>
T. V.</hi> S. 222.</note><lb/>
            <note place="end" n="b)">S. in An&#x017F;ehung der teut&#x017F;chen Reichs&#x017F;ta&#x0364;nde W. Fr. <hi rendition="#aq">art. 8.</hi> §. 2.<lb/>
Wahl. Capit. <hi rendition="#aq">art. 6.</hi> §. 5.</note><lb/>
            <note place="end" n="c)">Z. B. die Partage Tractaten u&#x0364;ber die &#x017F;pani&#x017F;che Erbfolge, die<lb/>
Quadruple-Allianz 1718. den Aachener Frieden 1748. <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Mo&#x017F;er</hi><lb/>
Ver&#x017F;uch</hi> Th. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> S. 307.</note><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">d</hi></hi>) <hi rendition="#fr">von</hi></fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0168] Viertes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck. cher Vertraͤge zu noͤthigen, als durch ihre Vertraͤge mit andern ihm wider ſeinen Willen Verbindlichkeiten aufzulegen. §. 116. Ausnahmen hievon in der Praxis. Wie ſehr auch dieſe Grundſaͤtze von den Europaͤiſchen Maͤchten in der Theorie anerkannt werden, ſo leiden ſie doch in der Praxis manche Abfaͤlle. Nicht nur 1) ſofern es mehrere Beyſpiele giebt, wo freye Maͤchte ſich durch ihre mit einer Macht eingegangenen Vertraͤge in Anſehung der mit andren zu ſchließenden die Haͤnde gebunden haben a), oder ſofern nicht voͤllig unabhaͤngige Staaten durch die Ge- ſetze die ſie uͤber ſich erkennen in ihrer Freyheit gewiſſe Vertraͤge zu ſchließen beſchraͤnkt ſind b); ſondern 2) viele minder maͤchtige Staaten in Europa ſehen ſich durch poli- tiſche Ruͤckſichten verhindert ſich ihrer natuͤrlichen Freyheit Vertraͤge zu ſchließen in ihrer ganzen Ausdehnung zu bedie- nen, und manche derſelben ſind bey aller ihnen zuſtehenden foͤrmlichen Unabhaͤngigkeit, in einer ſehr reellen Abhaͤn- gigkeit von ihren maͤchtigen Nachbaren. Endlich 3) fehlt es nicht an Beyſpielen neuerer Zeiten c), daß Maͤchte eine andere wider ihren Willen genoͤthiget haben, einem von ihnen geſchloßenen Vertrage beyzutreten, und ſelbſt zum vor- aus ſie unter die Zahl der Contrahenten mit aufgefuͤhret haben d). a⁾ Z. B. die indiſchen Fuͤrſten welche ein oder andren europaͤiſchen Macht das Recht des ausſchließlichen Handels mit ihnen ein- geraͤumt haben, oder Oeſterreich das durch ſeine Vertraͤge von 1731 zum Beſten Großbritanniens und der verein. Nieder- lande dem Handel von Belgien aus nach Indien entſagte; oder Polen das in der Allianz von 1793. art. 11. alle ſein kuͤnftigen Buͤndniſſe der ruſſiſchen Einwilligung unterwarf m. Recueil T. V. S. 222. b⁾ S. in Anſehung der teutſchen Reichsſtaͤnde W. Fr. art. 8. §. 2. Wahl. Capit. art. 6. §. 5. c⁾ Z. B. die Partage Tractaten uͤber die ſpaniſche Erbfolge, die Quadruple-Allianz 1718. den Aachener Frieden 1748. Moſer Verſuch Th. VIII. S. 307. d) von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/168
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/168>, abgerufen am 22.12.2024.