Wie einer jeden Nation das ausschließliche Recht zu- steht, sich einen Regenten zu wählen, so hat jeder Staat auch das Recht sich seine Verfassung zu wählen und ab- zuändern. So lange der Regent und das Volk über solche Abänderungen einig sind, so lange kann eine auswärtige Macht sich diesen selbst dann nicht widersetzen, wenn sie Garant der vorigen Verfassung geworden wäre a). Auch der Vorwand, daß der Staat durch die neue Verfassung zu mächtig werde, ist kein Rechtfertigungsgrund, um ihn an seiner inneren Vervollkommnung zu verhindern b).
Noch weniger darf eine auswärtige Macht sich es erlauben, einem Staat wider seinen Willen eine neue Ver- fassung aufzudringen, oder zwischen ruhig lebenden Bürgern den Saamen der Empörung, durch Freyheitsprediger u. s. f. auszustreuen c), oder alte Zwistigkeiten zwischen Haupt und Glieder wieder aufzuwecken d).
Gesetzt es entstehn aber in dem Staat selbst Strei- tigkeiten über die Abänderung der bisherigen Verfassung, ohne daß noch weder von Absetzung des Regenten, noch von einer gänzlichen Staatsumwälzung die Rede wäre, so hat zwar auch der Regel nach kein auswärtiger Staat das Recht sich in diese einheimische Angelegenheiten zu mischen e). Doch können ihm 1) Freundschaft und Nachbarschaft die Veranlassung geben seine guten Dienste oder seine Ver- mittelung anzubieten; 2) er kann selbst durch Garantie f) oder andere Verträge g) ein Recht erlangt haben sich derer anzunehmen, deren Rechte in Gefahr sind unterdrückt zu werden, und die seine Hülfe aufzufordern berechtiget sind h) und auffordern; es ist endlich 4) gedenkbar, daß die Ge- fahr welche der eigenen Sicherheit des Nachbaren drohet, diesen berechtige, sich in solche Händel zu mischen i).
a) S. die §. 69. not. f) angeführten Verträge.
b) S. jedoch die russische Erklärung gegen Schweden von 1749 in Adelung Staatshistorie B.VII. S. 46. u. f. und die Däni- sche e. d. S. 51.
c) S.
Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
§. 71. Innere Verfaſſung uͤberhaupt.
Wie einer jeden Nation das ausſchließliche Recht zu- ſteht, ſich einen Regenten zu waͤhlen, ſo hat jeder Staat auch das Recht ſich ſeine Verfaſſung zu waͤhlen und ab- zuaͤndern. So lange der Regent und das Volk uͤber ſolche Abaͤnderungen einig ſind, ſo lange kann eine auswaͤrtige Macht ſich dieſen ſelbſt dann nicht widerſetzen, wenn ſie Garant der vorigen Verfaſſung geworden waͤre a). Auch der Vorwand, daß der Staat durch die neue Verfaſſung zu maͤchtig werde, iſt kein Rechtfertigungsgrund, um ihn an ſeiner inneren Vervollkommnung zu verhindern b).
Noch weniger darf eine auswaͤrtige Macht ſich es erlauben, einem Staat wider ſeinen Willen eine neue Ver- faſſung aufzudringen, oder zwiſchen ruhig lebenden Buͤrgern den Saamen der Empoͤrung, durch Freyheitsprediger u. ſ. f. auszuſtreuen c), oder alte Zwiſtigkeiten zwiſchen Haupt und Glieder wieder aufzuwecken d).
Geſetzt es entſtehn aber in dem Staat ſelbſt Strei- tigkeiten uͤber die Abaͤnderung der bisherigen Verfaſſung, ohne daß noch weder von Abſetzung des Regenten, noch von einer gaͤnzlichen Staatsumwaͤlzung die Rede waͤre, ſo hat zwar auch der Regel nach kein auswaͤrtiger Staat das Recht ſich in dieſe einheimiſche Angelegenheiten zu miſchen e). Doch koͤnnen ihm 1) Freundſchaft und Nachbarſchaft die Veranlaſſung geben ſeine guten Dienſte oder ſeine Ver- mittelung anzubieten; 2) er kann ſelbſt durch Garantie f) oder andere Vertraͤge g) ein Recht erlangt haben ſich derer anzunehmen, deren Rechte in Gefahr ſind unterdruͤckt zu werden, und die ſeine Huͤlfe aufzufordern berechtiget ſind h) und auffordern; es iſt endlich 4) gedenkbar, daß die Ge- fahr welche der eigenen Sicherheit des Nachbaren drohet, dieſen berechtige, ſich in ſolche Haͤndel zu miſchen i).
a) S. die §. 69. not. f) angefuͤhrten Vertraͤge.
b) S. jedoch die ruſſiſche Erklaͤrung gegen Schweden von 1749 in Adelung Staatshiſtorie B.VII. S. 46. u. f. und die Daͤni- ſche e. d. S. 51.
c) S.
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Drittes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
§. 71.
Innere Verfaſſung uͤberhaupt.
Wie einer jeden Nation das ausſchließliche Recht zu-
ſteht, ſich einen Regenten zu waͤhlen, ſo hat jeder Staat
auch das Recht ſich ſeine Verfaſſung zu waͤhlen und ab-
zuaͤndern. So lange der Regent und das Volk uͤber ſolche
Abaͤnderungen einig ſind, ſo lange kann eine auswaͤrtige
Macht ſich dieſen ſelbſt dann nicht widerſetzen, wenn ſie
Garant der vorigen Verfaſſung geworden waͤre a). Auch
der Vorwand, daß der Staat durch die neue Verfaſſung zu
maͤchtig werde, iſt kein Rechtfertigungsgrund, um ihn an
ſeiner inneren Vervollkommnung zu verhindern b).
Noch weniger darf eine auswaͤrtige Macht ſich es
erlauben, einem Staat wider ſeinen Willen eine neue Ver-
faſſung aufzudringen, oder zwiſchen ruhig lebenden Buͤrgern
den Saamen der Empoͤrung, durch Freyheitsprediger u. ſ. f.
auszuſtreuen c), oder alte Zwiſtigkeiten zwiſchen Haupt und
Glieder wieder aufzuwecken d).
Geſetzt es entſtehn aber in dem Staat ſelbſt Strei-
tigkeiten uͤber die Abaͤnderung der bisherigen Verfaſſung,
ohne daß noch weder von Abſetzung des Regenten, noch
von einer gaͤnzlichen Staatsumwaͤlzung die Rede waͤre, ſo
hat zwar auch der Regel nach kein auswaͤrtiger Staat das
Recht ſich in dieſe einheimiſche Angelegenheiten zu miſchen e).
Doch koͤnnen ihm 1) Freundſchaft und Nachbarſchaft die
Veranlaſſung geben ſeine guten Dienſte oder ſeine Ver-
mittelung anzubieten; 2) er kann ſelbſt durch Garantie f)
oder andere Vertraͤge g) ein Recht erlangt haben ſich derer
anzunehmen, deren Rechte in Gefahr ſind unterdruͤckt zu
werden, und die ſeine Huͤlfe aufzufordern berechtiget ſind h)
und auffordern; es iſt endlich 4) gedenkbar, daß die Ge-
fahr welche der eigenen Sicherheit des Nachbaren drohet,
dieſen berechtige, ſich in ſolche Haͤndel zu miſchen i).
a⁾ S. die §. 69. not. f) angefuͤhrten Vertraͤge.
b⁾ S. jedoch die ruſſiſche Erklaͤrung gegen Schweden von 1749 in
Adelung Staatshiſtorie B. VII. S. 46. u. f. und die Daͤni-
ſche e. d. S. 51.
c) S.
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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/116>, abgerufen am 01.03.2025.
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