Zu meinem Versuch über die Temperatur hat mir eine gewisse Entdeckung des Königl. Oberbauraths und Pro- fessoris Herrn Lambert Gelegenheit gegeben. Einer sei- ner Freunde, der Hr. Agricola erzählte mir eines Tages wie dieser große Geometer eine Methode erfunden, die gleichschwebende Temperatur, ohne Zuziehung eines Mo- nochords, dem Clavier aufs gewisseste mitzutheilen, wie diese Methode so sinnreich als simpel wäre, und wie nach selbiger sieben reine Quinten und eine reine große Terz ge- brauchet würden, um eine um Commat. pyth. unter sich schwebende Quinte hervorzubringen. Die Nachricht von dieser vortreflichen Entdeckung reitzte meine Curiosität. Jch fieng an zu rechnen, und fand, daß nichts gewisser war. Da ich schon längst gewünschet hatte, mit dem Herrn Lambert bekannt zu seyn, so gab mir dieser Vorfall Gelegenheit, meines Wunsches gewähret zu werden. Jch zeigte ihm meine ganze Ausarbeitung über diesen Gegenstand, so wie sie in diesem Buche zu finden ist. Sie erhielte seinen völ- ligen Beyfall, und ich bat mir die Erlaubniß aus, sie be- kannt zu machen, wofern er nicht selbst entschlossen wäre, seine so nützliche Erfindung selber zuerst dem Publico mit- zutheilen. Der Herr Lambert nahm um so weniger An- stand, in mein Begehren zu willigen, da derjenige Theil der Memoir es & c. für welchen er sein Problem bestimmet hat, erst im künftigen Jahre erscheinen, und seine ge- lehrte analytische Auflösung desselben über dieses nicht für alle Leser, besonders diejenigen, welche der Temperatur am meisten bedürfen, seyn wird. Weil indessen die Behand- lung dieses Gegenstandes nur ein paar fliegende Bogen ausgemachet haben würde, so nahm ich mir vor, dersel- ben einige Capitel aus dem harmonischen Calcul, und über- haupt aus der Theorie der Musik, die wie ich glaube allen denen deutlich seyn werden, welche nur mit den ersten Grün- den der Arithmetik bekannt sind, zur Begleitung zu geben.
Jch hatte in diesem Versuch über die Temperatur be- reits den zehnten Abschnitt von den Berechnungen der
Töne
)( 3
Vorbericht.
Zu meinem Verſuch uͤber die Temperatur hat mir eine gewiſſe Entdeckung des Koͤnigl. Oberbauraths und Pro- feſſoris Herrn Lambert Gelegenheit gegeben. Einer ſei- ner Freunde, der Hr. Agricola erzaͤhlte mir eines Tages wie dieſer große Geometer eine Methode erfunden, die gleichſchwebende Temperatur, ohne Zuziehung eines Mo- nochords, dem Clavier aufs gewiſſeſte mitzutheilen, wie dieſe Methode ſo ſinnreich als ſimpel waͤre, und wie nach ſelbiger ſieben reine Quinten und eine reine große Terz ge- brauchet wuͤrden, um eine um Commat. pyth. unter ſich ſchwebende Quinte hervorzubringen. Die Nachricht von dieſer vortreflichen Entdeckung reitzte meine Curioſitaͤt. Jch fieng an zu rechnen, und fand, daß nichts gewiſſer war. Da ich ſchon laͤngſt gewuͤnſchet hatte, mit dem Herrn Lambert bekannt zu ſeyn, ſo gab mir dieſer Vorfall Gelegenheit, meines Wunſches gewaͤhret zu werden. Jch zeigte ihm meine ganze Ausarbeitung uͤber dieſen Gegenſtand, ſo wie ſie in dieſem Buche zu finden iſt. Sie erhielte ſeinen voͤl- ligen Beyfall, und ich bat mir die Erlaubniß aus, ſie be- kannt zu machen, wofern er nicht ſelbſt entſchloſſen waͤre, ſeine ſo nuͤtzliche Erfindung ſelber zuerſt dem Publico mit- zutheilen. Der Herr Lambert nahm um ſo weniger An- ſtand, in mein Begehren zu willigen, da derjenige Theil der Memoir es & c. fuͤr welchen er ſein Problem beſtimmet hat, erſt im kuͤnftigen Jahre erſcheinen, und ſeine ge- lehrte analytiſche Aufloͤſung deſſelben uͤber dieſes nicht fuͤr alle Leſer, beſonders diejenigen, welche der Temperatur am meiſten beduͤrfen, ſeyn wird. Weil indeſſen die Behand- lung dieſes Gegenſtandes nur ein paar fliegende Bogen ausgemachet haben wuͤrde, ſo nahm ich mir vor, derſel- ben einige Capitel aus dem harmoniſchen Calcul, und uͤber- haupt aus der Theorie der Muſik, die wie ich glaube allen denen deutlich ſeyn werden, welche nur mit den erſten Gruͤn- den der Arithmetik bekannt ſind, zur Begleitung zu geben.
Jch hatte in dieſem Verſuch uͤber die Temperatur be- reits den zehnten Abſchnitt von den Berechnungen der
Toͤne
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[V/0009]
Vorbericht.
Zu meinem Verſuch uͤber die Temperatur hat mir eine
gewiſſe Entdeckung des Koͤnigl. Oberbauraths und Pro-
feſſoris Herrn Lambert Gelegenheit gegeben. Einer ſei-
ner Freunde, der Hr. Agricola erzaͤhlte mir eines Tages
wie dieſer große Geometer eine Methode erfunden, die
gleichſchwebende Temperatur, ohne Zuziehung eines Mo-
nochords, dem Clavier aufs gewiſſeſte mitzutheilen, wie
dieſe Methode ſo ſinnreich als ſimpel waͤre, und wie nach
ſelbiger ſieben reine Quinten und eine reine große Terz ge-
brauchet wuͤrden, um eine um [FORMEL] Commat. pyth. unter ſich
ſchwebende Quinte hervorzubringen. Die Nachricht von
dieſer vortreflichen Entdeckung reitzte meine Curioſitaͤt. Jch
fieng an zu rechnen, und fand, daß nichts gewiſſer war.
Da ich ſchon laͤngſt gewuͤnſchet hatte, mit dem Herrn Lambert
bekannt zu ſeyn, ſo gab mir dieſer Vorfall Gelegenheit,
meines Wunſches gewaͤhret zu werden. Jch zeigte ihm
meine ganze Ausarbeitung uͤber dieſen Gegenſtand, ſo wie
ſie in dieſem Buche zu finden iſt. Sie erhielte ſeinen voͤl-
ligen Beyfall, und ich bat mir die Erlaubniß aus, ſie be-
kannt zu machen, wofern er nicht ſelbſt entſchloſſen waͤre,
ſeine ſo nuͤtzliche Erfindung ſelber zuerſt dem Publico mit-
zutheilen. Der Herr Lambert nahm um ſo weniger An-
ſtand, in mein Begehren zu willigen, da derjenige Theil
der Memoir es & c. fuͤr welchen er ſein Problem beſtimmet
hat, erſt im kuͤnftigen Jahre erſcheinen, und ſeine ge-
lehrte analytiſche Aufloͤſung deſſelben uͤber dieſes nicht fuͤr
alle Leſer, beſonders diejenigen, welche der Temperatur am
meiſten beduͤrfen, ſeyn wird. Weil indeſſen die Behand-
lung dieſes Gegenſtandes nur ein paar fliegende Bogen
ausgemachet haben wuͤrde, ſo nahm ich mir vor, derſel-
ben einige Capitel aus dem harmoniſchen Calcul, und uͤber-
haupt aus der Theorie der Muſik, die wie ich glaube allen
denen deutlich ſeyn werden, welche nur mit den erſten Gruͤn-
den der Arithmetik bekannt ſind, zur Begleitung zu geben.
Jch hatte in dieſem Verſuch uͤber die Temperatur be-
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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/9>, abgerufen am 16.02.2025.
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