Gleichwohl fieng er an, als der Abdruck seines Werks geendiget war, in einem etwas nachgebendern Ton über diese Materie mit mir zu sprechen, und er gestand, ich muß es zu seinem Ruhm bekennen, daß er in selbigem hin und wieder Meinungen gewaget hätte, die vielleicht bestritten werden könnten. Es kamen bey dieser Gelegenheit unter an- dern seine sogenannte wesentliche und zufällige Dissonanzen, ingleichen seine Herleitungen gewisser Septimenaccorde von Septnonen- oder andern Septimenaccorden, ingleichen seine Verwandlungen der Consonanzen in Dissonanzen und umgekehrt, aufs Tapet, und ich bemerkte in seinen Augen eine rühmliche Verwirrung. Jch erklärte ihm, daß, da ich nichts vernünftiger fände als das System des Hrn. Rameau, und verschiedne Lehrsätze daraus adoptiret hätte, wie ihm bekannt wäre, er es sich gefallen lassen würde, wenn ich solche gegen seine etwas zu lebhaften Angriffe zu verthei- digen mir die Freiheit nähme. Er ersuchte mich, um den Verkauf seiner Grundsätze etc. nicht zu stören, meine Ant- wort annoch eine Zeitlang zurücke zu halten. Jch stellte ihm dagegen vor, daß der Abgang mancher Werke durch die Kritik befördert würde. -- Jndessen versprach ich ihm zu thun was er verlangte.
Jch habe redlich mein Wort gehalten; glaube aber, daß, nachdem ich aus Achtung für den Hrn. Kirnberger als einen schätzbaren Freund ein paar Jahre lang geschwiegen, ich nunmehr zur Rettung der Wahrheit zu reden verbunden bin. Sollte derselbe finden, daß meine Argumente nicht überall Stich halten, oder daß ich sowohl als der Hr. Ra- meau ganz und gar niedergeschrieben werden könne: so wird es lediglich von ihm abhängen, meine Argumente aufs bündigste zu widerlegen, und die Ehre seines Glau- bensbekänntnisses zu retten. -- Es stehet dabey seiner Kri- tik alles was ich jemals geschrieben habe zu Dienst, in so- fern die Wahrheit dadurch befördert, und aller möglicher Jrthum ausgerottet werden kann.
Jn
Vorbericht.
Gleichwohl fieng er an, als der Abdruck ſeines Werks geendiget war, in einem etwas nachgebendern Ton uͤber dieſe Materie mit mir zu ſprechen, und er geſtand, ich muß es zu ſeinem Ruhm bekennen, daß er in ſelbigem hin und wieder Meinungen gewaget haͤtte, die vielleicht beſtritten werden koͤnnten. Es kamen bey dieſer Gelegenheit unter an- dern ſeine ſogenannte weſentliche und zufaͤllige Diſſonanzen, ingleichen ſeine Herleitungen gewiſſer Septimenaccorde von Septnonen- oder andern Septimenaccorden, ingleichen ſeine Verwandlungen der Conſonanzen in Diſſonanzen und umgekehrt, aufs Tapet, und ich bemerkte in ſeinen Augen eine ruͤhmliche Verwirrung. Jch erklaͤrte ihm, daß, da ich nichts vernuͤnftiger faͤnde als das Syſtem des Hrn. Rameau, und verſchiedne Lehrſaͤtze daraus adoptiret haͤtte, wie ihm bekannt waͤre, er es ſich gefallen laſſen wuͤrde, wenn ich ſolche gegen ſeine etwas zu lebhaften Angriffe zu verthei- digen mir die Freiheit naͤhme. Er erſuchte mich, um den Verkauf ſeiner Grundſaͤtze ꝛc. nicht zu ſtoͤren, meine Ant- wort annoch eine Zeitlang zuruͤcke zu halten. Jch ſtellte ihm dagegen vor, daß der Abgang mancher Werke durch die Kritik befoͤrdert wuͤrde. — Jndeſſen verſprach ich ihm zu thun was er verlangte.
Jch habe redlich mein Wort gehalten; glaube aber, daß, nachdem ich aus Achtung fuͤr den Hrn. Kirnberger als einen ſchaͤtzbaren Freund ein paar Jahre lang geſchwiegen, ich nunmehr zur Rettung der Wahrheit zu reden verbunden bin. Sollte derſelbe finden, daß meine Argumente nicht uͤberall Stich halten, oder daß ich ſowohl als der Hr. Ra- meau ganz und gar niedergeſchrieben werden koͤnne: ſo wird es lediglich von ihm abhaͤngen, meine Argumente aufs buͤndigſte zu widerlegen, und die Ehre ſeines Glau- bensbekaͤnntniſſes zu retten. — Es ſtehet dabey ſeiner Kri- tik alles was ich jemals geſchrieben habe zu Dienſt, in ſo- fern die Wahrheit dadurch befoͤrdert, und aller moͤglicher Jrthum ausgerottet werden kann.
Jn
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[IV/0008]
Vorbericht.
Gleichwohl fieng er an, als der Abdruck ſeines Werks
geendiget war, in einem etwas nachgebendern Ton uͤber
dieſe Materie mit mir zu ſprechen, und er geſtand, ich muß
es zu ſeinem Ruhm bekennen, daß er in ſelbigem hin und
wieder Meinungen gewaget haͤtte, die vielleicht beſtritten
werden koͤnnten. Es kamen bey dieſer Gelegenheit unter an-
dern ſeine ſogenannte weſentliche und zufaͤllige Diſſonanzen,
ingleichen ſeine Herleitungen gewiſſer Septimenaccorde von
Septnonen- oder andern Septimenaccorden, ingleichen
ſeine Verwandlungen der Conſonanzen in Diſſonanzen
und umgekehrt, aufs Tapet, und ich bemerkte in ſeinen
Augen eine ruͤhmliche Verwirrung. Jch erklaͤrte ihm, daß,
da ich nichts vernuͤnftiger faͤnde als das Syſtem des Hrn.
Rameau, und verſchiedne Lehrſaͤtze daraus adoptiret haͤtte,
wie ihm bekannt waͤre, er es ſich gefallen laſſen wuͤrde, wenn
ich ſolche gegen ſeine etwas zu lebhaften Angriffe zu verthei-
digen mir die Freiheit naͤhme. Er erſuchte mich, um den
Verkauf ſeiner Grundſaͤtze ꝛc. nicht zu ſtoͤren, meine Ant-
wort annoch eine Zeitlang zuruͤcke zu halten. Jch ſtellte
ihm dagegen vor, daß der Abgang mancher Werke durch
die Kritik befoͤrdert wuͤrde. — Jndeſſen verſprach ich ihm
zu thun was er verlangte.
Jch habe redlich mein Wort gehalten; glaube aber,
daß, nachdem ich aus Achtung fuͤr den Hrn. Kirnberger als
einen ſchaͤtzbaren Freund ein paar Jahre lang geſchwiegen,
ich nunmehr zur Rettung der Wahrheit zu reden verbunden
bin. Sollte derſelbe finden, daß meine Argumente nicht
uͤberall Stich halten, oder daß ich ſowohl als der Hr. Ra-
meau ganz und gar niedergeſchrieben werden koͤnne: ſo
wird es lediglich von ihm abhaͤngen, meine Argumente
aufs buͤndigſte zu widerlegen, und die Ehre ſeines Glau-
bensbekaͤnntniſſes zu retten. — Es ſtehet dabey ſeiner Kri-
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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/8>, abgerufen am 21.11.2024.
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