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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Von der Priorität der Septime vor der Secunde.
stand von der Einheit oder von dem Verhältniß der Gleichheit
zueignet. Wenn dieses in der That so seyn sollte, so wünschte
ich, daß dem Hrn. S. zum Anfange seines Artikels nicht ge-
wisse verführerische Wendungen entwischet wären. Denn da-
wider, daß z. E. ein Verhältniß 100:99, schärfer dissoni-
ret, als ein Verhältniß 100:98, ist ohne Zweifel nicht das
geringste einzuwenden, und der Hr. S. hat diese Meinung in
den Artikeln Consonanz und Dissonanz auf das gründlichste
erwiesen. Zu Folge dieser Meinung ist auch in der That die
kleine Secunde die allerschärfste Dissonanz, NB. von
allen in unserm System gebräuchlichen würklichen Se-
cunden,
aber nicht von allen Jntervallen unsers Systems, indem,
der verschiedenen Commatum nicht zu gedenken, das Jntervall
der übermäßigen Prime 25:24 der Einheit, (in dem Verstande,
als Hr. S. diesen Ausdruck nimmt,) um 128:125 näher ist
als die kleine Secunde 16:15. Jch sage, in dem Ver-
stande, als etc.
weil der Abstand von der Einheit, oder von
dem Verhältniß der Gleichheit, wie im §. 24. gezeiget wor-
den, in der Musik in einem andern Verstande genommen wird.
Nach diesem ist nemlich das Jntervall 16:15 der Einheit nä-
her, als 25:24, so wie 15:8 derselben näher ist, als 48:
25. Jn eben demselben Verstande ist das der Einheit am
nächsten kommende Jntervall, die vollkommne Octave 2:1,
und das davon entfernteste die verminderte Octave 48:25,
NB. unter unsern musikalischen Jntervallen. Jn der Bedeu-
tung hingegen, da der Hr. S. diese Redensart nimmt, ist
das Verhältniß 2:1 das von der Einheit entfernteste, und
25:24 das derselben am nächsten kommende Jntervall in un-
serm System.

§. 58.

Jch habe in meiner Antwort auf das erste Argument des
Hrn. S. mir viele Mühe gegeben, zu zeigen, daß das Ver-
hältniß 7:6, welches derselbe eine verminderte Terz nennet,
ein dissonirendes Verhältniß ist. Da der Hr. S. in seinem
zweyten Argument (§. 56. allhier) schreibet:

"daß zwey Töne, die um weniger als eine kleine Terz
"von einander liegen, nothwendig dissoniren;"

so
D 3

Von der Prioritaͤt der Septime vor der Secunde.
ſtand von der Einheit oder von dem Verhaͤltniß der Gleichheit
zueignet. Wenn dieſes in der That ſo ſeyn ſollte, ſo wuͤnſchte
ich, daß dem Hrn. S. zum Anfange ſeines Artikels nicht ge-
wiſſe verfuͤhreriſche Wendungen entwiſchet waͤren. Denn da-
wider, daß z. E. ein Verhaͤltniß 100:99, ſchaͤrfer diſſoni-
ret, als ein Verhaͤltniß 100:98, iſt ohne Zweifel nicht das
geringſte einzuwenden, und der Hr. S. hat dieſe Meinung in
den Artikeln Conſonanz und Diſſonanz auf das gruͤndlichſte
erwieſen. Zu Folge dieſer Meinung iſt auch in der That die
kleine Secunde die allerſchaͤrfſte Diſſonanz, NB. von
allen in unſerm Syſtem gebraͤuchlichen wuͤrklichen Se-
cunden,
aber nicht von allen Jntervallen unſers Syſtems, indem,
der verſchiedenen Commatum nicht zu gedenken, das Jntervall
der uͤbermaͤßigen Prime 25:24 der Einheit, (in dem Verſtande,
als Hr. S. dieſen Ausdruck nimmt,) um 128:125 naͤher iſt
als die kleine Secunde 16:15. Jch ſage, in dem Ver-
ſtande, als ꝛc.
weil der Abſtand von der Einheit, oder von
dem Verhaͤltniß der Gleichheit, wie im §. 24. gezeiget wor-
den, in der Muſik in einem andern Verſtande genommen wird.
Nach dieſem iſt nemlich das Jntervall 16:15 der Einheit naͤ-
her, als 25:24, ſo wie 15:8 derſelben naͤher iſt, als 48:
25. Jn eben demſelben Verſtande iſt das der Einheit am
naͤchſten kommende Jntervall, die vollkommne Octave 2:1,
und das davon entfernteſte die verminderte Octave 48:25,
NB. unter unſern muſikaliſchen Jntervallen. Jn der Bedeu-
tung hingegen, da der Hr. S. dieſe Redensart nimmt, iſt
das Verhaͤltniß 2:1 das von der Einheit entfernteſte, und
25:24 das derſelben am naͤchſten kommende Jntervall in un-
ſerm Syſtem.

§. 58.

Jch habe in meiner Antwort auf das erſte Argument des
Hrn. S. mir viele Muͤhe gegeben, zu zeigen, daß das Ver-
haͤltniß 7:6, welches derſelbe eine verminderte Terz nennet,
ein diſſonirendes Verhaͤltniß iſt. Da der Hr. S. in ſeinem
zweyten Argument (§. 56. allhier) ſchreibet:

„daß zwey Toͤne, die um weniger als eine kleine Terz
„von einander liegen, nothwendig diſſoniren;‟

ſo
D 3
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[53/0073] Von der Prioritaͤt der Septime vor der Secunde. ſtand von der Einheit oder von dem Verhaͤltniß der Gleichheit zueignet. Wenn dieſes in der That ſo ſeyn ſollte, ſo wuͤnſchte ich, daß dem Hrn. S. zum Anfange ſeines Artikels nicht ge- wiſſe verfuͤhreriſche Wendungen entwiſchet waͤren. Denn da- wider, daß z. E. ein Verhaͤltniß 100:99, ſchaͤrfer diſſoni- ret, als ein Verhaͤltniß 100:98, iſt ohne Zweifel nicht das geringſte einzuwenden, und der Hr. S. hat dieſe Meinung in den Artikeln Conſonanz und Diſſonanz auf das gruͤndlichſte erwieſen. Zu Folge dieſer Meinung iſt auch in der That die kleine Secunde die allerſchaͤrfſte Diſſonanz, NB. von allen in unſerm Syſtem gebraͤuchlichen wuͤrklichen Se- cunden, aber nicht von allen Jntervallen unſers Syſtems, indem, der verſchiedenen Commatum nicht zu gedenken, das Jntervall der uͤbermaͤßigen Prime 25:24 der Einheit, (in dem Verſtande, als Hr. S. dieſen Ausdruck nimmt,) um 128:125 naͤher iſt als die kleine Secunde 16:15. Jch ſage, in dem Ver- ſtande, als ꝛc. weil der Abſtand von der Einheit, oder von dem Verhaͤltniß der Gleichheit, wie im §. 24. gezeiget wor- den, in der Muſik in einem andern Verſtande genommen wird. Nach dieſem iſt nemlich das Jntervall 16:15 der Einheit naͤ- her, als 25:24, ſo wie 15:8 derſelben naͤher iſt, als 48: 25. Jn eben demſelben Verſtande iſt das der Einheit am naͤchſten kommende Jntervall, die vollkommne Octave 2:1, und das davon entfernteſte die verminderte Octave 48:25, NB. unter unſern muſikaliſchen Jntervallen. Jn der Bedeu- tung hingegen, da der Hr. S. dieſe Redensart nimmt, iſt das Verhaͤltniß 2:1 das von der Einheit entfernteſte, und 25:24 das derſelben am naͤchſten kommende Jntervall in un- ſerm Syſtem. §. 58. Jch habe in meiner Antwort auf das erſte Argument des Hrn. S. mir viele Muͤhe gegeben, zu zeigen, daß das Ver- haͤltniß 7:6, welches derſelbe eine verminderte Terz nennet, ein diſſonirendes Verhaͤltniß iſt. Da der Hr. S. in ſeinem zweyten Argument (§. 56. allhier) ſchreibet: „daß zwey Toͤne, die um weniger als eine kleine Terz „von einander liegen, nothwendig diſſoniren;‟ ſo D 3

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/73>, abgerufen am 24.11.2024.