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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der Anmerk. über die Kirnberg. Grundsätze etc.
Fragen,) was hat die Fortschreitungsart des Basses mit der
Natur der Accorde, wovon in der Lehre vom Grundbaß die
Rede ist, gemein? Machen die Töne g h d nicht allezeit einen
harten Dreyklang, und die Töne g h d f einen aus der großen
Terz, vollkommnen Quinte und kleinen Septime bestehenden
Septimenaccord, der Baß nehme seinen Gang wohin er
wolle? Warum wird, (jedoch von dem Hrn. Kirnberger nur
allein,) der Septimenaccord g h d f ein wesentlicher Septi-
menaccord genennet, wenn der Baß vier Stuffen über, oder
fünf Stuffen unter sich steiget *), und warum soll er nur als-
denn allein sein eigener Grundaccord seyn, ohne von einem an-
dern Septimen- oder Septimennonenaccord hergeleitet zu wer-
den? Warum soll ebenderselbe Septimenaccord g h d f ein zu-
fälliger
Septimenaccord **) heissen, wenn der Baß stille steht,
und die Dissonanz auf eben demselben Tone resolviret wird?
Warum soll alsdenn der harte Dreyklang c e g sein Grundac-
cord, und der Septimenaccord g h d f nicht sein eigener Grund-
accord seyn? Warum soll eben dieser Septimenaccord g h d f,
oder der äquivalente d fis a c ein uneigentlicher Septimenac-
cord seyn, wenn der Baß um zwey Stuffen steiget, wie vor-
hin bey Fig. 126? Warum soll er in diesem Falle von einem
andern Septimenaccord, oder von einem Septimennonenac-
cord hergeleitet werden, und die Unterterz des Baßtons sein
Grundbaß seyn? Wenn nach diesem Unterricht der Septimen-
accord g h d f nicht sein eigener Grundaccord ist, sondern bald
von dem Dreyklang c e g, oder dem Septimenaccord e g h d,
oder dem Septimennonenaccord e g h d f abstammet, soll er
nicht etwann auch aus dem Dreyklang c e g oder dem Septi-
menaccord e g h d seine Verdoppelung erhalten, wenn er
mehr als vierstimmig ausgeübet werden soll? Himmel, was
für neue Lehren! Jch nehme mir die Freiheit weiter zu fragen:
ob, da die Natur der Septimenaccorde und der Grundbaß
durch die Fortschreitungsart des Basses bestimmet werden soll,
ob wir auch wesentliche oder selbstständige, zufällige und un-
eigentliche Fortschreitungen haben? Ob etwann die Quarten-

fort-
*) Kunst des Satzes etc. Seite 63.
**) Grundsätze, Seite 9. auf der untersten Tabelle, wo | dieser Septi-
menaccord auf den Quartsextenaccord g c e herabsteiget.

der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze ꝛc.
Fragen,) was hat die Fortſchreitungsart des Baſſes mit der
Natur der Accorde, wovon in der Lehre vom Grundbaß die
Rede iſt, gemein? Machen die Toͤne g h d nicht allezeit einen
harten Dreyklang, und die Toͤne g h d f einen aus der großen
Terz, vollkommnen Quinte und kleinen Septime beſtehenden
Septimenaccord, der Baß nehme ſeinen Gang wohin er
wolle? Warum wird, (jedoch von dem Hrn. Kirnberger nur
allein,) der Septimenaccord g h d f ein weſentlicher Septi-
menaccord genennet, wenn der Baß vier Stuffen uͤber, oder
fuͤnf Stuffen unter ſich ſteiget *), und warum ſoll er nur als-
denn allein ſein eigener Grundaccord ſeyn, ohne von einem an-
dern Septimen- oder Septimennonenaccord hergeleitet zu wer-
den? Warum ſoll ebenderſelbe Septimenaccord g h d f ein zu-
faͤlliger
Septimenaccord **) heiſſen, wenn der Baß ſtille ſteht,
und die Diſſonanz auf eben demſelben Tone reſolviret wird?
Warum ſoll alsdenn der harte Dreyklang c e g ſein Grundac-
cord, und der Septimenaccord g h d f nicht ſein eigener Grund-
accord ſeyn? Warum ſoll eben dieſer Septimenaccord g h d f,
oder der aͤquivalente d fis a c ein uneigentlicher Septimenac-
cord ſeyn, wenn der Baß um zwey Stuffen ſteiget, wie vor-
hin bey Fig. 126? Warum ſoll er in dieſem Falle von einem
andern Septimenaccord, oder von einem Septimennonenac-
cord hergeleitet werden, und die Unterterz des Baßtons ſein
Grundbaß ſeyn? Wenn nach dieſem Unterricht der Septimen-
accord g h d f nicht ſein eigener Grundaccord iſt, ſondern bald
von dem Dreyklang c e g, oder dem Septimenaccord e g h d,
oder dem Septimennonenaccord e g h d f abſtammet, ſoll er
nicht etwann auch aus dem Dreyklang c e g oder dem Septi-
menaccord e g h d ſeine Verdoppelung erhalten, wenn er
mehr als vierſtimmig ausgeuͤbet werden ſoll? Himmel, was
fuͤr neue Lehren! Jch nehme mir die Freiheit weiter zu fragen:
ob, da die Natur der Septimenaccorde und der Grundbaß
durch die Fortſchreitungsart des Baſſes beſtimmet werden ſoll,
ob wir auch weſentliche oder ſelbſtſtaͤndige, zufaͤllige und un-
eigentliche Fortſchreitungen haben? Ob etwann die Quarten-

fort-
*) Kunſt des Satzes ꝛc. Seite 63.
**) Grundſaͤtze, Seite 9. auf der unterſten Tabelle, wo | dieſer Septi-
menaccord auf den Quartſextenaccord g c e herabſteiget.
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[315/0335] der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze ꝛc. Fragen,) was hat die Fortſchreitungsart des Baſſes mit der Natur der Accorde, wovon in der Lehre vom Grundbaß die Rede iſt, gemein? Machen die Toͤne g h d nicht allezeit einen harten Dreyklang, und die Toͤne g h d f einen aus der großen Terz, vollkommnen Quinte und kleinen Septime beſtehenden Septimenaccord, der Baß nehme ſeinen Gang wohin er wolle? Warum wird, (jedoch von dem Hrn. Kirnberger nur allein,) der Septimenaccord g h d f ein weſentlicher Septi- menaccord genennet, wenn der Baß vier Stuffen uͤber, oder fuͤnf Stuffen unter ſich ſteiget *), und warum ſoll er nur als- denn allein ſein eigener Grundaccord ſeyn, ohne von einem an- dern Septimen- oder Septimennonenaccord hergeleitet zu wer- den? Warum ſoll ebenderſelbe Septimenaccord g h d f ein zu- faͤlliger Septimenaccord **) heiſſen, wenn der Baß ſtille ſteht, und die Diſſonanz auf eben demſelben Tone reſolviret wird? Warum ſoll alsdenn der harte Dreyklang c e g ſein Grundac- cord, und der Septimenaccord g h d f nicht ſein eigener Grund- accord ſeyn? Warum ſoll eben dieſer Septimenaccord g h d f, oder der aͤquivalente d fis a c ein uneigentlicher Septimenac- cord ſeyn, wenn der Baß um zwey Stuffen ſteiget, wie vor- hin bey Fig. 126? Warum ſoll er in dieſem Falle von einem andern Septimenaccord, oder von einem Septimennonenac- cord hergeleitet werden, und die Unterterz des Baßtons ſein Grundbaß ſeyn? Wenn nach dieſem Unterricht der Septimen- accord g h d f nicht ſein eigener Grundaccord iſt, ſondern bald von dem Dreyklang c e g, oder dem Septimenaccord e g h d, oder dem Septimennonenaccord e g h d f abſtammet, ſoll er nicht etwann auch aus dem Dreyklang c e g oder dem Septi- menaccord e g h d ſeine Verdoppelung erhalten, wenn er mehr als vierſtimmig ausgeuͤbet werden ſoll? Himmel, was fuͤr neue Lehren! Jch nehme mir die Freiheit weiter zu fragen: ob, da die Natur der Septimenaccorde und der Grundbaß durch die Fortſchreitungsart des Baſſes beſtimmet werden ſoll, ob wir auch weſentliche oder ſelbſtſtaͤndige, zufaͤllige und un- eigentliche Fortſchreitungen haben? Ob etwann die Quarten- fort- *) Kunſt des Satzes ꝛc. Seite 63. **) Grundſaͤtze, Seite 9. auf der unterſten Tabelle, wo | dieſer Septi- menaccord auf den Quartſextenaccord g c e herabſteiget.

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/335>, abgerufen am 26.11.2024.