Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Anhang etc. Achter Abschnitt. Erste Fortsetzung

Antecedens. "Weil die große Septime einer Tonica
"bey liegendem Baße in die Octave über sich aufgelöset wer-
"den kann, die kleine Septime aber bey liegendem Baße
"niemals in die Octave, sondern in die Sexte resolviret:

Consequens. "So muß man bey jedem Septimenac-
"cord darauf Acht geben, ob nicht die Septime bey liegen-
"dem Baße in die Sexte resolviret worden sey, oder resol-
"viret werden könne. Denn, wenn sie in die Sexte resol-
"viret werden kann, *) so ist die Septime zufällig, und wird
"in Ansehung des Grundaccords für eine Sexte angesehen;
"wo dieses aber nicht angehet, ist sie wesentlich."

Anmerkungen. 1) Jch möchte gerne wissen, da die
kleine Septime bey liegendem Baße nirgends anders als in
die Sexte resolviret werden kann, wie man sie in diesem Falle
anders auflösen wolle. Jn die Quinte oder Terz kann solches
ja bey liegendem Baße nicht geschehen. Jch finde also, daß
der Hr. Kirnberger kein neues Unterscheidungszeichen sei-
ner zufälligen und wesentlichen Dissonanzen angegeben hat. Es
ist ja schon Seite 11 und 13 der Grundsätze etc. alles dieses
gesaget worden. Uebrigens mag die kleine Septime bey liegen-
bleibenden oder verändertem Baße resolviret werden, so blei-
bet sie überall, so wie vorhin die große Septime, eine wesent-
liche Dissonanz, da sie sowohl der Harmonie als Melodie we-
gen da ist; und eben dieselbe Beschaffenheit hat es mit allen
Exempeln, die man in den Grundsätzen, in den drey un-
tersten Systemen auf Seite 16, und den drey obersten
auf Seite 17. findet. Es sind lauter wesentliche Dissonan-
zen, und es ist nicht eine einzige zufällige darunter. -- 2) Es
seyn die Septimenaccorde c e g h, h d f a, und a c e g. bey Fig.
119. Wenn wir den ersten §. der Grundsatze Seite 5. hier-
über nachschlagen, so lehret uns der Auctor, daß diese Septi-
menaccorde wesentlich sind. Lesen wir aber weiter, z. E. bis
zum neunten §. so hören wir, daß sie zufällig sind, und zwar
warum? "weil die Sexte nach der Septime nachge-
"schlagen wird, und die Septimen in diesem Falle
für
"Sexten angesehen werden." Jch frage, ob die Art wie

eine
*) Man wird bemerken, daß ich die Passage des Hrn. Auctors durch meine
Uebersetzüng etwas verständlicher zu machen suche.
Anhang ꝛc. Achter Abſchnitt. Erſte Fortſetzung

Antecedens. „Weil die große Septime einer Tonica
„bey liegendem Baße in die Octave uͤber ſich aufgeloͤſet wer-
„den kann, die kleine Septime aber bey liegendem Baße
„niemals in die Octave, ſondern in die Sexte reſolviret:

Conſequens. „So muß man bey jedem Septimenac-
„cord darauf Acht geben, ob nicht die Septime bey liegen-
„dem Baße in die Sexte reſolviret worden ſey, oder reſol-
„viret werden koͤnne. Denn, wenn ſie in die Sexte reſol-
„viret werden kann, *) ſo iſt die Septime zufaͤllig, und wird
„in Anſehung des Grundaccords fuͤr eine Sexte angeſehen;
„wo dieſes aber nicht angehet, iſt ſie weſentlich.‟

Anmerkungen. 1) Jch moͤchte gerne wiſſen, da die
kleine Septime bey liegendem Baße nirgends anders als in
die Sexte reſolviret werden kann, wie man ſie in dieſem Falle
anders aufloͤſen wolle. Jn die Quinte oder Terz kann ſolches
ja bey liegendem Baße nicht geſchehen. Jch finde alſo, daß
der Hr. Kirnberger kein neues Unterſcheidungszeichen ſei-
ner zufaͤlligen und weſentlichen Diſſonanzen angegeben hat. Es
iſt ja ſchon Seite 11 und 13 der Grundſaͤtze ꝛc. alles dieſes
geſaget worden. Uebrigens mag die kleine Septime bey liegen-
bleibenden oder veraͤndertem Baße reſolviret werden, ſo blei-
bet ſie uͤberall, ſo wie vorhin die große Septime, eine weſent-
liche Diſſonanz, da ſie ſowohl der Harmonie als Melodie we-
gen da iſt; und eben dieſelbe Beſchaffenheit hat es mit allen
Exempeln, die man in den Grundſaͤtzen, in den drey un-
terſten Syſtemen auf Seite 16, und den drey oberſten
auf Seite 17. findet. Es ſind lauter weſentliche Diſſonan-
zen, und es iſt nicht eine einzige zufaͤllige darunter. — 2) Es
ſeyn die Septimenaccorde c e g h, h d f a, und a c e g. bey Fig.
119. Wenn wir den erſten §. der Grundſatze Seite 5. hier-
uͤber nachſchlagen, ſo lehret uns der Auctor, daß dieſe Septi-
menaccorde weſentlich ſind. Leſen wir aber weiter, z. E. bis
zum neunten §. ſo hoͤren wir, daß ſie zufaͤllig ſind, und zwar
warum? „weil die Sexte nach der Septime nachge-
„ſchlagen wird, und die Septimen in dieſem Falle
fuͤr
„Sexten angeſehen werden.‟ Jch frage, ob die Art wie

eine
*) Man wird bemerken, daß ich die Paſſage des Hrn. Auctors durch meine
Ueberſetzuͤng etwas verſtaͤndlicher zu machen ſuche.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0324" n="304"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Anhang &#xA75B;c. Achter Ab&#x017F;chnitt. Er&#x017F;te Fort&#x017F;etzung</hi> </fw><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Antecedens.</hi> &#x201E;Weil die große Septime einer Tonica<lb/>
&#x201E;bey liegendem Baße in die Octave u&#x0364;ber &#x017F;ich aufgelo&#x0364;&#x017F;et wer-<lb/>
&#x201E;den kann, die kleine Septime aber bey liegendem Baße<lb/>
&#x201E;niemals in die Octave, &#x017F;ondern in die Sexte re&#x017F;olviret:</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Con&#x017F;equens.</hi> &#x201E;So muß man bey jedem Septimenac-<lb/>
&#x201E;cord darauf Acht geben, ob nicht die Septime bey liegen-<lb/>
&#x201E;dem Baße in die Sexte re&#x017F;olviret worden &#x017F;ey, oder re&#x017F;ol-<lb/>
&#x201E;viret werden ko&#x0364;nne. Denn, wenn &#x017F;ie in die Sexte re&#x017F;ol-<lb/>
&#x201E;viret werden kann, <note place="foot" n="*)">Man wird bemerken, daß ich die Pa&#x017F;&#x017F;age des Hrn. Auctors durch meine<lb/>
Ueber&#x017F;etzu&#x0364;ng etwas ver&#x017F;ta&#x0364;ndlicher zu machen &#x017F;uche.</note> &#x017F;o i&#x017F;t die Septime zufa&#x0364;llig, und wird<lb/>
&#x201E;in An&#x017F;ehung des Grundaccords fu&#x0364;r eine Sexte ange&#x017F;ehen;<lb/>
&#x201E;wo die&#x017F;es aber nicht angehet, i&#x017F;t &#x017F;ie we&#x017F;entlich.&#x201F;</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Anmerkungen.</hi> 1) Jch mo&#x0364;chte gerne wi&#x017F;&#x017F;en, da die<lb/>
kleine Septime <hi rendition="#fr">bey liegendem Baße</hi> nirgends anders als in<lb/>
die Sexte re&#x017F;olviret werden kann, wie man &#x017F;ie in die&#x017F;em Falle<lb/>
anders auflo&#x0364;&#x017F;en wolle. Jn die Quinte oder Terz kann &#x017F;olches<lb/>
ja <hi rendition="#fr">bey liegendem Baße</hi> nicht ge&#x017F;chehen. Jch finde al&#x017F;o, daß<lb/>
der Hr. Kirnberger <hi rendition="#fr">kein neues Unter&#x017F;cheidungszeichen</hi> &#x017F;ei-<lb/>
ner zufa&#x0364;lligen und we&#x017F;entlichen Di&#x017F;&#x017F;onanzen angegeben hat. Es<lb/>
i&#x017F;t ja &#x017F;chon Seite 11 und 13 der <hi rendition="#fr">Grund&#x017F;a&#x0364;tze</hi> &#xA75B;c. alles die&#x017F;es<lb/>
ge&#x017F;aget worden. Uebrigens mag die kleine Septime bey liegen-<lb/>
bleibenden oder vera&#x0364;ndertem Baße re&#x017F;olviret werden, &#x017F;o blei-<lb/>
bet &#x017F;ie u&#x0364;berall, &#x017F;o wie vorhin die große Septime, eine we&#x017F;ent-<lb/>
liche Di&#x017F;&#x017F;onanz, da &#x017F;ie &#x017F;owohl der Harmonie als Melodie we-<lb/>
gen da i&#x017F;t; und eben die&#x017F;elbe Be&#x017F;chaffenheit hat es mit allen<lb/>
Exempeln, die man in den <hi rendition="#fr">Grund&#x017F;a&#x0364;tzen,</hi> in den drey un-<lb/>
ter&#x017F;ten Sy&#x017F;temen auf Seite 16, und den drey ober&#x017F;ten<lb/>
auf Seite 17. findet. Es &#x017F;ind lauter we&#x017F;entliche Di&#x017F;&#x017F;onan-<lb/>
zen, und es i&#x017F;t nicht eine einzige zufa&#x0364;llige darunter. &#x2014; 2) Es<lb/>
&#x017F;eyn die Septimenaccorde <hi rendition="#aq">c e g h, h d f a,</hi> und <hi rendition="#aq">a c e g.</hi> bey Fig.<lb/>
119. Wenn wir den er&#x017F;ten §. der <hi rendition="#fr">Grund&#x017F;atze</hi> Seite 5. hier-<lb/>
u&#x0364;ber nach&#x017F;chlagen, &#x017F;o lehret uns der Auctor, daß die&#x017F;e Septi-<lb/>
menaccorde we&#x017F;entlich &#x017F;ind. Le&#x017F;en wir aber weiter, z. E. bis<lb/>
zum neunten §. &#x017F;o ho&#x0364;ren wir, daß &#x017F;ie zufa&#x0364;llig &#x017F;ind, und zwar<lb/>
warum? <hi rendition="#fr">&#x201E;weil die Sexte nach der Septime nachge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chlagen wird, und die Septimen in die&#x017F;em Falle</hi> fu&#x0364;r<lb/><hi rendition="#fr">&#x201E;Sexten ange&#x017F;ehen werden.&#x201F;</hi> Jch frage, ob die Art wie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0324] Anhang ꝛc. Achter Abſchnitt. Erſte Fortſetzung Antecedens. „Weil die große Septime einer Tonica „bey liegendem Baße in die Octave uͤber ſich aufgeloͤſet wer- „den kann, die kleine Septime aber bey liegendem Baße „niemals in die Octave, ſondern in die Sexte reſolviret: Conſequens. „So muß man bey jedem Septimenac- „cord darauf Acht geben, ob nicht die Septime bey liegen- „dem Baße in die Sexte reſolviret worden ſey, oder reſol- „viret werden koͤnne. Denn, wenn ſie in die Sexte reſol- „viret werden kann, *) ſo iſt die Septime zufaͤllig, und wird „in Anſehung des Grundaccords fuͤr eine Sexte angeſehen; „wo dieſes aber nicht angehet, iſt ſie weſentlich.‟ Anmerkungen. 1) Jch moͤchte gerne wiſſen, da die kleine Septime bey liegendem Baße nirgends anders als in die Sexte reſolviret werden kann, wie man ſie in dieſem Falle anders aufloͤſen wolle. Jn die Quinte oder Terz kann ſolches ja bey liegendem Baße nicht geſchehen. Jch finde alſo, daß der Hr. Kirnberger kein neues Unterſcheidungszeichen ſei- ner zufaͤlligen und weſentlichen Diſſonanzen angegeben hat. Es iſt ja ſchon Seite 11 und 13 der Grundſaͤtze ꝛc. alles dieſes geſaget worden. Uebrigens mag die kleine Septime bey liegen- bleibenden oder veraͤndertem Baße reſolviret werden, ſo blei- bet ſie uͤberall, ſo wie vorhin die große Septime, eine weſent- liche Diſſonanz, da ſie ſowohl der Harmonie als Melodie we- gen da iſt; und eben dieſelbe Beſchaffenheit hat es mit allen Exempeln, die man in den Grundſaͤtzen, in den drey un- terſten Syſtemen auf Seite 16, und den drey oberſten auf Seite 17. findet. Es ſind lauter weſentliche Diſſonan- zen, und es iſt nicht eine einzige zufaͤllige darunter. — 2) Es ſeyn die Septimenaccorde c e g h, h d f a, und a c e g. bey Fig. 119. Wenn wir den erſten §. der Grundſatze Seite 5. hier- uͤber nachſchlagen, ſo lehret uns der Auctor, daß dieſe Septi- menaccorde weſentlich ſind. Leſen wir aber weiter, z. E. bis zum neunten §. ſo hoͤren wir, daß ſie zufaͤllig ſind, und zwar warum? „weil die Sexte nach der Septime nachge- „ſchlagen wird, und die Septimen in dieſem Falle fuͤr „Sexten angeſehen werden.‟ Jch frage, ob die Art wie eine *) Man wird bemerken, daß ich die Paſſage des Hrn. Auctors durch meine Ueberſetzuͤng etwas verſtaͤndlicher zu machen ſuche.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/324
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/324>, abgerufen am 25.11.2024.