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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Anhang etc. Vierter Abschnitt. Zur Berichtigung
lichen Unterrichts im Generalbaß, als Heinichen und andere
haben in dergleichen Fällen den Terzquartenaccord genommen,
und auch nach dem Unterricht des Hrn. Kirnberger (Kunst etc.
Seite 127, ingleichen 55) sollte wohl dieser Accord genom-
men werden, wenn man sich nicht mit dem simpeln Sexten-
accord begnügen will.

§. 288.

Erste Fortsetzung des Sulzerschen Artikels vom
Fundamentalbaß.
"Dieser Baß ist also nicht zum Spie-
"len, wird auch selten, und in Deutschland fast niemals ge-
"schrieben. Jn zweifelhaften Fällen, wo man anstehen könn-
"te, auf welcher Grundharmonie gewisse Accorde beruhen, kann
"er sogleich die Zweifel heben, wie aus dem Beyspiel bey Fig.
"58. zu ersehen ist. Man könnte hier den Septimenaccord
"auf dem Ton g für den wesentlichen Septimenaccord auf der
"Dominante des Haupttons halten, und sich wundern, warum
"nach denselben nicht ein Schluß nach c erfolgte. Der dar-
"unter geschriebne Fundamentalbaß zeiget, daß dieses ein ver-
"wechselter Septnonenaccord auf dem Grundton e sey, auf
"welchem der Schluß nach a geschehen muß."

Anmerkung. 1) Es ist ein altes musikalisches Axiom:
Compositum harmonicum in ea resolvitur simplicia, ex qui-
bus componitur,
(Kircher in seiner Musurgie, Tom. I.
Seite 81.) das ist, daß alle zusammengesetzte Harmonien auf
einfache zurückgeführet werden müssen. Der Herr Verfasser
des vorhergehenden Artikels verfährt umgekehrt, und führet
einfache Harmonien auf zusammengesetzte, oder wenn man will,
weniger zusammengesetzte Harmonien auf mehr zusammenge-
setzte zurück, indem er einen Septimenaccord auf einen Septi-
mennonenaccord reduciret. 2) Wenn der Baß eine Terz auf-
wärts geht, so ist es nicht möglich, weder eine Septime noch
None zu präpariren, und bey dieser Unmöglichkeit werden
denn auch weder Septimen noch Nonen, vielweniger Septi-
men noch Nonen zugleich gebrauchet. Das würde zuviel Gutes
auf einmal seyn. Der Hr. Verfasser hat sich von dieser Gewohn-
heit anderer Harmonisten entfernet, welcher Fehler von dem
Hrn. Kirnberger gerüget zu werden verdiente. Gewißlich kann
man die Grundbaßfolge bey Fig. 58. (b) nicht ohne Schaudern

ansehen.

Anhang ꝛc. Vierter Abſchnitt. Zur Berichtigung
lichen Unterrichts im Generalbaß, als Heinichen und andere
haben in dergleichen Faͤllen den Terzquartenaccord genommen,
und auch nach dem Unterricht des Hrn. Kirnberger (Kunſt ꝛc.
Seite 127, ingleichen 55) ſollte wohl dieſer Accord genom-
men werden, wenn man ſich nicht mit dem ſimpeln Sexten-
accord begnuͤgen will.

§. 288.

Erſte Fortſetzung des Sulzerſchen Artikels vom
Fundamentalbaß.
„Dieſer Baß iſt alſo nicht zum Spie-
„len, wird auch ſelten, und in Deutſchland faſt niemals ge-
„ſchrieben. Jn zweifelhaften Faͤllen, wo man anſtehen koͤnn-
„te, auf welcher Grundharmonie gewiſſe Accorde beruhen, kann
„er ſogleich die Zweifel heben, wie aus dem Beyſpiel bey Fig.
„58. zu erſehen iſt. Man koͤnnte hier den Septimenaccord
„auf dem Ton g fuͤr den weſentlichen Septimenaccord auf der
„Dominante des Haupttons halten, und ſich wundern, warum
„nach denſelben nicht ein Schluß nach c erfolgte. Der dar-
„unter geſchriebne Fundamentalbaß zeiget, daß dieſes ein ver-
„wechſelter Septnonenaccord auf dem Grundton e ſey, auf
„welchem der Schluß nach a geſchehen muß.‟

Anmerkung. 1) Es iſt ein altes muſikaliſches Axiom:
Compoſitum harmonicum in ea reſolvitur ſimplicia, ex qui-
bus componitur,
(Kircher in ſeiner Muſurgie, Tom. I.
Seite 81.) das iſt, daß alle zuſammengeſetzte Harmonien auf
einfache zuruͤckgefuͤhret werden muͤſſen. Der Herr Verfaſſer
des vorhergehenden Artikels verfaͤhrt umgekehrt, und fuͤhret
einfache Harmonien auf zuſammengeſetzte, oder wenn man will,
weniger zuſammengeſetzte Harmonien auf mehr zuſammenge-
ſetzte zuruͤck, indem er einen Septimenaccord auf einen Septi-
mennonenaccord reduciret. 2) Wenn der Baß eine Terz auf-
waͤrts geht, ſo iſt es nicht moͤglich, weder eine Septime noch
None zu praͤpariren, und bey dieſer Unmoͤglichkeit werden
denn auch weder Septimen noch Nonen, vielweniger Septi-
men noch Nonen zugleich gebrauchet. Das wuͤrde zuviel Gutes
auf einmal ſeyn. Der Hr. Verfaſſer hat ſich von dieſer Gewohn-
heit anderer Harmoniſten entfernet, welcher Fehler von dem
Hrn. Kirnberger geruͤget zu werden verdiente. Gewißlich kann
man die Grundbaßfolge bey Fig. 58. (b) nicht ohne Schaudern

anſehen.
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[266/0286] Anhang ꝛc. Vierter Abſchnitt. Zur Berichtigung lichen Unterrichts im Generalbaß, als Heinichen und andere haben in dergleichen Faͤllen den Terzquartenaccord genommen, und auch nach dem Unterricht des Hrn. Kirnberger (Kunſt ꝛc. Seite 127, ingleichen 55) ſollte wohl dieſer Accord genom- men werden, wenn man ſich nicht mit dem ſimpeln Sexten- accord begnuͤgen will. §. 288. Erſte Fortſetzung des Sulzerſchen Artikels vom Fundamentalbaß. „Dieſer Baß iſt alſo nicht zum Spie- „len, wird auch ſelten, und in Deutſchland faſt niemals ge- „ſchrieben. Jn zweifelhaften Faͤllen, wo man anſtehen koͤnn- „te, auf welcher Grundharmonie gewiſſe Accorde beruhen, kann „er ſogleich die Zweifel heben, wie aus dem Beyſpiel bey Fig. „58. zu erſehen iſt. Man koͤnnte hier den Septimenaccord „auf dem Ton g fuͤr den weſentlichen Septimenaccord auf der „Dominante des Haupttons halten, und ſich wundern, warum „nach denſelben nicht ein Schluß nach c erfolgte. Der dar- „unter geſchriebne Fundamentalbaß zeiget, daß dieſes ein ver- „wechſelter Septnonenaccord auf dem Grundton e ſey, auf „welchem der Schluß nach a geſchehen muß.‟ Anmerkung. 1) Es iſt ein altes muſikaliſches Axiom: Compoſitum harmonicum in ea reſolvitur ſimplicia, ex qui- bus componitur, (Kircher in ſeiner Muſurgie, Tom. I. Seite 81.) das iſt, daß alle zuſammengeſetzte Harmonien auf einfache zuruͤckgefuͤhret werden muͤſſen. Der Herr Verfaſſer des vorhergehenden Artikels verfaͤhrt umgekehrt, und fuͤhret einfache Harmonien auf zuſammengeſetzte, oder wenn man will, weniger zuſammengeſetzte Harmonien auf mehr zuſammenge- ſetzte zuruͤck, indem er einen Septimenaccord auf einen Septi- mennonenaccord reduciret. 2) Wenn der Baß eine Terz auf- waͤrts geht, ſo iſt es nicht moͤglich, weder eine Septime noch None zu praͤpariren, und bey dieſer Unmoͤglichkeit werden denn auch weder Septimen noch Nonen, vielweniger Septi- men noch Nonen zugleich gebrauchet. Das wuͤrde zuviel Gutes auf einmal ſeyn. Der Hr. Verfaſſer hat ſich von dieſer Gewohn- heit anderer Harmoniſten entfernet, welcher Fehler von dem Hrn. Kirnberger geruͤget zu werden verdiente. Gewißlich kann man die Grundbaßfolge bey Fig. 58. (b) nicht ohne Schaudern anſehen.

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/286>, abgerufen am 22.11.2024.