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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichschw. etc.
welche die ungleichschwebende Stimmung darbietet, und wenn
in der That der Ausdruck von dem Stimmhammer abhängen
sollte, so würde der Stimmer zum Capellmeister werden.

§. 213.

Zweyte Fortsetzung der Anmerkung. über das zweyte
Argument.
Wenn die Tonarten vermittelst der Tempera-
tur auf verschiedne Art characterisiret werden sollten, so wäre
es doch wohl die erste Pflicht des Temperaturmeisters, uns den
auf jede Tonart haftenden eigenthümlichen Character aufs ge-
naueste zu zergliedern und zu beschreiben, "damit ein ge-
"schickter Tonsetzer den Ton aussuchen könnte, der sich
"am besten schickte.
" Jch wäre cüriös eine solche Beschrei-
bung zu lesen. Da wir aber nur vier und zwanzig Tonarten
oder Töne haben, wie man sie nennen will, so kann sich die
Anzahl der eigenthümlichen Charactere auch nicht mehr als auf
vier und zwanzig belauffen, wenn NB. der Ausdruck und die
Kraft der Composition von der Temperatur abhängen soll.
Es präsentiret sich itzo dem Tonsetzer ein in dieser Beschrei-
bung, oder ein in seiner Temperatur nicht befindlicher Cha-
racter. Wie soll dieser Character behandelt werden, da keine
Tonart dazu vorhanden ist? Soll das Clavier ungestimmt,
und eine andere Art von Temperatur in selbiges geleget wer-
den? Denn wenn zur Ausbildung dieses in der Beschrei-
bung fehlenden Characters eine voriger Tonarten genommen
werden soll, so hat ja nicht jede Tonart ihren eigenthümlichen
Character. Das verlangte Stück wird aus einem unrechten Ton
gesetzet werden. -- Man hat sonsten allezeit geglaubt, daß der
einem Tonstück eingeprägte wesentliche Character beständig
bliebe, man möchte es spielen nach welcher Temperatur man
wolle, nur daß, da die Reinigkeit der Töne, in so weit man
solche haben kann, die allererste Eigenschaft der schönen Aus-
übung ist, der Ausdruck des Characters durch diejenige Tem-
peratur, in welcher alle Töne ihrer natürlichen Reinigkeit am
nächsten kommen, besser befördert würde, als wenn das Ge-
gentheil geschicht. Jst dieses nun wahr, welche Temperatur
kömmt der Reinigkeit am nächsten, die gleich- oder ungleich-

schwe-
N 2

der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichſchw. ꝛc.
welche die ungleichſchwebende Stimmung darbietet, und wenn
in der That der Ausdruck von dem Stimmhammer abhaͤngen
ſollte, ſo wuͤrde der Stimmer zum Capellmeiſter werden.

§. 213.

Zweyte Fortſetzung der Anmerkung. uͤber das zweyte
Argument.
Wenn die Tonarten vermittelſt der Tempera-
tur auf verſchiedne Art characteriſiret werden ſollten, ſo waͤre
es doch wohl die erſte Pflicht des Temperaturmeiſters, uns den
auf jede Tonart haftenden eigenthuͤmlichen Character aufs ge-
naueſte zu zergliedern und zu beſchreiben, „damit ein ge-
„ſchickter Tonſetzer den Ton ausſuchen koͤnnte, der ſich
„am beſten ſchickte.
‟ Jch waͤre cuͤrioͤs eine ſolche Beſchrei-
bung zu leſen. Da wir aber nur vier und zwanzig Tonarten
oder Toͤne haben, wie man ſie nennen will, ſo kann ſich die
Anzahl der eigenthuͤmlichen Charactere auch nicht mehr als auf
vier und zwanzig belauffen, wenn NB. der Ausdruck und die
Kraft der Compoſition von der Temperatur abhaͤngen ſoll.
Es praͤſentiret ſich itzo dem Tonſetzer ein in dieſer Beſchrei-
bung, oder ein in ſeiner Temperatur nicht befindlicher Cha-
racter. Wie ſoll dieſer Character behandelt werden, da keine
Tonart dazu vorhanden iſt? Soll das Clavier ungeſtimmt,
und eine andere Art von Temperatur in ſelbiges geleget wer-
den? Denn wenn zur Ausbildung dieſes in der Beſchrei-
bung fehlenden Characters eine voriger Tonarten genommen
werden ſoll, ſo hat ja nicht jede Tonart ihren eigenthuͤmlichen
Character. Das verlangte Stuͤck wird aus einem unrechten Ton
geſetzet werden. — Man hat ſonſten allezeit geglaubt, daß der
einem Tonſtuͤck eingepraͤgte weſentliche Character beſtaͤndig
bliebe, man moͤchte es ſpielen nach welcher Temperatur man
wolle, nur daß, da die Reinigkeit der Toͤne, in ſo weit man
ſolche haben kann, die allererſte Eigenſchaft der ſchoͤnen Aus-
uͤbung iſt, der Ausdruck des Characters durch diejenige Tem-
peratur, in welcher alle Toͤne ihrer natuͤrlichen Reinigkeit am
naͤchſten kommen, beſſer befoͤrdert wuͤrde, als wenn das Ge-
gentheil geſchicht. Jſt dieſes nun wahr, welche Temperatur
koͤmmt der Reinigkeit am naͤchſten, die gleich- oder ungleich-

ſchwe-
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[195/0215] der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichſchw. ꝛc. welche die ungleichſchwebende Stimmung darbietet, und wenn in der That der Ausdruck von dem Stimmhammer abhaͤngen ſollte, ſo wuͤrde der Stimmer zum Capellmeiſter werden. §. 213. Zweyte Fortſetzung der Anmerkung. uͤber das zweyte Argument. Wenn die Tonarten vermittelſt der Tempera- tur auf verſchiedne Art characteriſiret werden ſollten, ſo waͤre es doch wohl die erſte Pflicht des Temperaturmeiſters, uns den auf jede Tonart haftenden eigenthuͤmlichen Character aufs ge- naueſte zu zergliedern und zu beſchreiben, „damit ein ge- „ſchickter Tonſetzer den Ton ausſuchen koͤnnte, der ſich „am beſten ſchickte.‟ Jch waͤre cuͤrioͤs eine ſolche Beſchrei- bung zu leſen. Da wir aber nur vier und zwanzig Tonarten oder Toͤne haben, wie man ſie nennen will, ſo kann ſich die Anzahl der eigenthuͤmlichen Charactere auch nicht mehr als auf vier und zwanzig belauffen, wenn NB. der Ausdruck und die Kraft der Compoſition von der Temperatur abhaͤngen ſoll. Es praͤſentiret ſich itzo dem Tonſetzer ein in dieſer Beſchrei- bung, oder ein in ſeiner Temperatur nicht befindlicher Cha- racter. Wie ſoll dieſer Character behandelt werden, da keine Tonart dazu vorhanden iſt? Soll das Clavier ungeſtimmt, und eine andere Art von Temperatur in ſelbiges geleget wer- den? Denn wenn zur Ausbildung dieſes in der Beſchrei- bung fehlenden Characters eine voriger Tonarten genommen werden ſoll, ſo hat ja nicht jede Tonart ihren eigenthuͤmlichen Character. Das verlangte Stuͤck wird aus einem unrechten Ton geſetzet werden. — Man hat ſonſten allezeit geglaubt, daß der einem Tonſtuͤck eingepraͤgte weſentliche Character beſtaͤndig bliebe, man moͤchte es ſpielen nach welcher Temperatur man wolle, nur daß, da die Reinigkeit der Toͤne, in ſo weit man ſolche haben kann, die allererſte Eigenſchaft der ſchoͤnen Aus- uͤbung iſt, der Ausdruck des Characters durch diejenige Tem- peratur, in welcher alle Toͤne ihrer natuͤrlichen Reinigkeit am naͤchſten kommen, beſſer befoͤrdert wuͤrde, als wenn das Ge- gentheil geſchicht. Jſt dieſes nun wahr, welche Temperatur koͤmmt der Reinigkeit am naͤchſten, die gleich- oder ungleich- ſchwe- N 2

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/215>, abgerufen am 25.11.2024.