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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Zwanzigster Abschn. Von der Berechnungsart
vörderst die Beschaffenheit der kleinen Terzen feste setzen, und
aus selbigen hernach die Beschaffenheit der Quinten und großen
Terzen entwickeln. Allein da diese Arbeit mit vielen Proben
und Untersuchungen verbunden ist, als ohne welche öfters zu
sehr ab- oder aufwärtsschwebende Jntervalle kommen, und
bey einer entstehenden nichts taugenden Temperatur die ganze
Arbeit also verlohren ist, so ist es besser, sich derselben zu über-
heben. Wer eine Probe damit machen will, muß, (da die
großen Terzen mit drey, und die kleinen Terzen mit vier Jn-
tervallen einen Octavenzirkel vollenden,) um die vier Zirkel
der großen Terzen zusammenzuhängen, drey Verbindungsinter-
valle, wozu die Quinten und Quarten die geschicktesten sind,
und für die drey Zirkel der kleinen Terzen zwey Verbindungs-
intervalle zu Hülfe nehmen. Es wird aber gut seyn, nicht
eher die Probe damit zu machen, als bis man sich hinläng-
lich mit dem, was folgen wird, bekannt gemacht hat.

§. 181.

Man fraget, um wieviel ein jedes der drey Hauptinter-
valle der Temperatur, nemlich die Quinte, große und kleine
Terz verändert werden kann. -- Es braucht es wohl keines
weitläuftigen Beweises, daß je mehr die Quinten und Terzen
von ihrer arithmetischen Reinigkeit entfernet werden, desto we-
niger sie die Wirkung thun, die sie thun sollen, und daß sie
nach dem Maaß, als sie unreiner werden, ihre Natur
verliehren, und nicht mehr als Consonanzen empfun-
den werden.
Sie haben nemlich nicht die Beschaffenheit der
Dissonanzen, welche durch ihre Alteration in der Temperatur
niemals zu Consonanzen werden, sondern immer Dissonanzen
bleiben. Diese verliehren nemlich nichts als ihre mathemati-
sche Reinigkeit, und da solche bey ihnen hin und wieder auf
mehr als eine Art möglich ist, je nachdem man sie aus der Zu-
sammensetzung der Consonanzen entspringen lässet, so büssen sie
dadurch so wenig ein, daß sie vielmehr durch den Proceß der
Alteration öfters gewinnen. Allein eine Consonanz, deren
Verhältniß nur auf eine einzige Art möglich ist, welches wir
unmittelbar von der Natur erhalten, da die Dissonanzen aus
der Zusammensetzung der Consonanzen entstehen, verliehret
durch die geringste Alteration nicht allein ihre mathematische

Rei-

Zwanzigſter Abſchn. Von der Berechnungsart
voͤrderſt die Beſchaffenheit der kleinen Terzen feſte ſetzen, und
aus ſelbigen hernach die Beſchaffenheit der Quinten und großen
Terzen entwickeln. Allein da dieſe Arbeit mit vielen Proben
und Unterſuchungen verbunden iſt, als ohne welche oͤfters zu
ſehr ab- oder aufwaͤrtsſchwebende Jntervalle kommen, und
bey einer entſtehenden nichts taugenden Temperatur die ganze
Arbeit alſo verlohren iſt, ſo iſt es beſſer, ſich derſelben zu uͤber-
heben. Wer eine Probe damit machen will, muß, (da die
großen Terzen mit drey, und die kleinen Terzen mit vier Jn-
tervallen einen Octavenzirkel vollenden,) um die vier Zirkel
der großen Terzen zuſammenzuhaͤngen, drey Verbindungsinter-
valle, wozu die Quinten und Quarten die geſchickteſten ſind,
und fuͤr die drey Zirkel der kleinen Terzen zwey Verbindungs-
intervalle zu Huͤlfe nehmen. Es wird aber gut ſeyn, nicht
eher die Probe damit zu machen, als bis man ſich hinlaͤng-
lich mit dem, was folgen wird, bekannt gemacht hat.

§. 181.

Man fraget, um wieviel ein jedes der drey Hauptinter-
valle der Temperatur, nemlich die Quinte, große und kleine
Terz veraͤndert werden kann. — Es braucht es wohl keines
weitlaͤuftigen Beweiſes, daß je mehr die Quinten und Terzen
von ihrer arithmetiſchen Reinigkeit entfernet werden, deſto we-
niger ſie die Wirkung thun, die ſie thun ſollen, und daß ſie
nach dem Maaß, als ſie unreiner werden, ihre Natur
verliehren, und nicht mehr als Conſonanzen empfun-
den werden.
Sie haben nemlich nicht die Beſchaffenheit der
Diſſonanzen, welche durch ihre Alteration in der Temperatur
niemals zu Conſonanzen werden, ſondern immer Diſſonanzen
bleiben. Dieſe verliehren nemlich nichts als ihre mathemati-
ſche Reinigkeit, und da ſolche bey ihnen hin und wieder auf
mehr als eine Art moͤglich iſt, je nachdem man ſie aus der Zu-
ſammenſetzung der Conſonanzen entſpringen laͤſſet, ſo buͤſſen ſie
dadurch ſo wenig ein, daß ſie vielmehr durch den Proceß der
Alteration oͤfters gewinnen. Allein eine Conſonanz, deren
Verhaͤltniß nur auf eine einzige Art moͤglich iſt, welches wir
unmittelbar von der Natur erhalten, da die Diſſonanzen aus
der Zuſammenſetzung der Conſonanzen entſtehen, verliehret
durch die geringſte Alteration nicht allein ihre mathematiſche

Rei-
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[154/0174] Zwanzigſter Abſchn. Von der Berechnungsart voͤrderſt die Beſchaffenheit der kleinen Terzen feſte ſetzen, und aus ſelbigen hernach die Beſchaffenheit der Quinten und großen Terzen entwickeln. Allein da dieſe Arbeit mit vielen Proben und Unterſuchungen verbunden iſt, als ohne welche oͤfters zu ſehr ab- oder aufwaͤrtsſchwebende Jntervalle kommen, und bey einer entſtehenden nichts taugenden Temperatur die ganze Arbeit alſo verlohren iſt, ſo iſt es beſſer, ſich derſelben zu uͤber- heben. Wer eine Probe damit machen will, muß, (da die großen Terzen mit drey, und die kleinen Terzen mit vier Jn- tervallen einen Octavenzirkel vollenden,) um die vier Zirkel der großen Terzen zuſammenzuhaͤngen, drey Verbindungsinter- valle, wozu die Quinten und Quarten die geſchickteſten ſind, und fuͤr die drey Zirkel der kleinen Terzen zwey Verbindungs- intervalle zu Huͤlfe nehmen. Es wird aber gut ſeyn, nicht eher die Probe damit zu machen, als bis man ſich hinlaͤng- lich mit dem, was folgen wird, bekannt gemacht hat. §. 181. Man fraget, um wieviel ein jedes der drey Hauptinter- valle der Temperatur, nemlich die Quinte, große und kleine Terz veraͤndert werden kann. — Es braucht es wohl keines weitlaͤuftigen Beweiſes, daß je mehr die Quinten und Terzen von ihrer arithmetiſchen Reinigkeit entfernet werden, deſto we- niger ſie die Wirkung thun, die ſie thun ſollen, und daß ſie nach dem Maaß, als ſie unreiner werden, ihre Natur verliehren, und nicht mehr als Conſonanzen empfun- den werden. Sie haben nemlich nicht die Beſchaffenheit der Diſſonanzen, welche durch ihre Alteration in der Temperatur niemals zu Conſonanzen werden, ſondern immer Diſſonanzen bleiben. Dieſe verliehren nemlich nichts als ihre mathemati- ſche Reinigkeit, und da ſolche bey ihnen hin und wieder auf mehr als eine Art moͤglich iſt, je nachdem man ſie aus der Zu- ſammenſetzung der Conſonanzen entſpringen laͤſſet, ſo buͤſſen ſie dadurch ſo wenig ein, daß ſie vielmehr durch den Proceß der Alteration oͤfters gewinnen. Allein eine Conſonanz, deren Verhaͤltniß nur auf eine einzige Art moͤglich iſt, welches wir unmittelbar von der Natur erhalten, da die Diſſonanzen aus der Zuſammenſetzung der Conſonanzen entſtehen, verliehret durch die geringſte Alteration nicht allein ihre mathematiſche Rei-

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/174>, abgerufen am 22.11.2024.