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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Dreyzehnter Abschnitt.
§. 112.

Was folget aus allem diesen? Dieses, daß man von der
natürlichen Reinigkeit eines Jntervalls etwas fahren lassen, und
dem einen Jntervall etwas zusetzen, und dem andern etwas
abnehmen muß. Durch solches nach vernünftigen Gründen
einzurichtendes Verfahren wird man nicht allein jeden in einer
einzigen Tonart gegründeten Gesang dergestalt fortführen kön-
nen, daß man allezeit einen beständigen Grad der Tonhöhe
behält, ohne weder darüber noch darunter zu kommen, son-
dern man wird nach Gefallen moduliren, und ohne Nachtheil
des Gehörs, ein c:dis wie c:es u. s. w., mit Beobachtung
der übrigen harmonischen Regeln bey allem diesen, hören las-
sen können.

§. 113.

Einem Jntervalle etwas von seiner natürlichen Reinigkeit
abnehmen, oder etwas dazu setzen, ist nichts anders als die
Größe eines Jntervalls verengen oder erweitern, und diesen
Proceß dergestalt verrichten, daß das Gehör nicht darunter
leidet, heisset die Jntervalle temperiren, oder die Tem-
peratur der Jntervalle.
Welche Jntervalle aber müssen
nun verenget oder erweitert werden? Alle, die einzige Octa-
ve
ausgenommen. Es ist nemlich die Eigenschaft der Octave,
daß von ihren beyden Tönen einer gegen den andern einen
ähnlichen Ton formiren muß. Sollte also die Octave ver-
enget oder erweitert werden, so würde sie aufhören eine Octave
zu seyn, und wir haben einer Octave nöthig, um die Grän-
zen der Jntervalle zu bestimmen, und um die zwölf halben
Töne unsers Systems in einem vollkommnen Tonzirkel zu er-
halten.

§. 114.

Wenn nach dem vorhergehenden alle Jntervalle, die Octave
ausgenommen, entweder verenget oder erweitert werden müs-
sen, so ist die Ursach diese, weil sie alle entweder zu groß oder
zu klein sind. Sie sind aber zu groß, wenn sie so vielmal
als nöthig ist, zu sich selbst addiret, ein Jntervall hervorbrin-
gen, welches größer als die Octave ist, und zu klein, wenn

sie
Dreyzehnter Abſchnitt.
§. 112.

Was folget aus allem dieſen? Dieſes, daß man von der
natuͤrlichen Reinigkeit eines Jntervalls etwas fahren laſſen, und
dem einen Jntervall etwas zuſetzen, und dem andern etwas
abnehmen muß. Durch ſolches nach vernuͤnftigen Gruͤnden
einzurichtendes Verfahren wird man nicht allein jeden in einer
einzigen Tonart gegruͤndeten Geſang dergeſtalt fortfuͤhren koͤn-
nen, daß man allezeit einen beſtaͤndigen Grad der Tonhoͤhe
behaͤlt, ohne weder daruͤber noch darunter zu kommen, ſon-
dern man wird nach Gefallen moduliren, und ohne Nachtheil
des Gehoͤrs, ein c:dis wie c:es u. ſ. w., mit Beobachtung
der uͤbrigen harmoniſchen Regeln bey allem dieſen, hoͤren laſ-
ſen koͤnnen.

§. 113.

Einem Jntervalle etwas von ſeiner natuͤrlichen Reinigkeit
abnehmen, oder etwas dazu ſetzen, iſt nichts anders als die
Groͤße eines Jntervalls verengen oder erweitern, und dieſen
Proceß dergeſtalt verrichten, daß das Gehoͤr nicht darunter
leidet, heiſſet die Jntervalle temperiren, oder die Tem-
peratur der Jntervalle.
Welche Jntervalle aber muͤſſen
nun verenget oder erweitert werden? Alle, die einzige Octa-
ve
ausgenommen. Es iſt nemlich die Eigenſchaft der Octave,
daß von ihren beyden Toͤnen einer gegen den andern einen
aͤhnlichen Ton formiren muß. Sollte alſo die Octave ver-
enget oder erweitert werden, ſo wuͤrde ſie aufhoͤren eine Octave
zu ſeyn, und wir haben einer Octave noͤthig, um die Graͤn-
zen der Jntervalle zu beſtimmen, und um die zwoͤlf halben
Toͤne unſers Syſtems in einem vollkommnen Tonzirkel zu er-
halten.

§. 114.

Wenn nach dem vorhergehenden alle Jntervalle, die Octave
ausgenommen, entweder verenget oder erweitert werden muͤſ-
ſen, ſo iſt die Urſach dieſe, weil ſie alle entweder zu groß oder
zu klein ſind. Sie ſind aber zu groß, wenn ſie ſo vielmal
als noͤthig iſt, zu ſich ſelbſt addiret, ein Jntervall hervorbrin-
gen, welches groͤßer als die Octave iſt, und zu klein, wenn

ſie
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[92/0112] Dreyzehnter Abſchnitt. §. 112. Was folget aus allem dieſen? Dieſes, daß man von der natuͤrlichen Reinigkeit eines Jntervalls etwas fahren laſſen, und dem einen Jntervall etwas zuſetzen, und dem andern etwas abnehmen muß. Durch ſolches nach vernuͤnftigen Gruͤnden einzurichtendes Verfahren wird man nicht allein jeden in einer einzigen Tonart gegruͤndeten Geſang dergeſtalt fortfuͤhren koͤn- nen, daß man allezeit einen beſtaͤndigen Grad der Tonhoͤhe behaͤlt, ohne weder daruͤber noch darunter zu kommen, ſon- dern man wird nach Gefallen moduliren, und ohne Nachtheil des Gehoͤrs, ein c:dis wie c:es u. ſ. w., mit Beobachtung der uͤbrigen harmoniſchen Regeln bey allem dieſen, hoͤren laſ- ſen koͤnnen. §. 113. Einem Jntervalle etwas von ſeiner natuͤrlichen Reinigkeit abnehmen, oder etwas dazu ſetzen, iſt nichts anders als die Groͤße eines Jntervalls verengen oder erweitern, und dieſen Proceß dergeſtalt verrichten, daß das Gehoͤr nicht darunter leidet, heiſſet die Jntervalle temperiren, oder die Tem- peratur der Jntervalle. Welche Jntervalle aber muͤſſen nun verenget oder erweitert werden? Alle, die einzige Octa- ve ausgenommen. Es iſt nemlich die Eigenſchaft der Octave, daß von ihren beyden Toͤnen einer gegen den andern einen aͤhnlichen Ton formiren muß. Sollte alſo die Octave ver- enget oder erweitert werden, ſo wuͤrde ſie aufhoͤren eine Octave zu ſeyn, und wir haben einer Octave noͤthig, um die Graͤn- zen der Jntervalle zu beſtimmen, und um die zwoͤlf halben Toͤne unſers Syſtems in einem vollkommnen Tonzirkel zu er- halten. §. 114. Wenn nach dem vorhergehenden alle Jntervalle, die Octave ausgenommen, entweder verenget oder erweitert werden muͤſ- ſen, ſo iſt die Urſach dieſe, weil ſie alle entweder zu groß oder zu klein ſind. Sie ſind aber zu groß, wenn ſie ſo vielmal als noͤthig iſt, zu ſich ſelbſt addiret, ein Jntervall hervorbrin- gen, welches groͤßer als die Octave iſt, und zu klein, wenn ſie

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/112>, abgerufen am 24.11.2024.