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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Das kränkelnde und schwächliche Mädchen.
ren habe. Nur der ist bedaurenswürdig, welcher sich
den Vorwurf machen muß, daß er durch Laster und
Ausschweifungen seinen Körper entkräftet hat. Die-
ses Bewustseyn, dieser innere Gram ist peinigender
und schmerzhafter, als das Gefühl der Krankheit
selbst. Wohl mir also, daß ich nur am Körper,
und nicht auch zugleich an der Seele leide! Wohl mir,
daß ich auch in diesem Stücke deine weise Güte an-
beten; daß ich das, was ich dulde, deinen Willen
und deine Schickung nennen kann! O dein Wille
soll stets mein Wille; deine Anordnung meine Zu-
friedenheit seyn. Ich will dir vertrauen und auf dei-
ne Hülfe hoffen. Ich will mich dir und deiner väter-
lichen Fürsorge überlassen. Ich will mich durch Ge-
duld und Gelassenheit täglich mehr davon überzeugen,
daß der Mensch Stärke genug besitzt, um unverschul-
dete Leiden, welche du selbst ihm auflegst, standhaft
zu ertragen.

Ja, Gott, du bist die Liebe, und alles, was
du thust und geschehen läßest, das ist Liebe, das
wird in seinen Folgen und im Zusammenhange der
Dinge stets heilsam, das bringt auf tausendfache Art
Gutes hervor. Möchte ich nur stets meine Umstände
so ansehen und beurtheilen, daß diese von dir beab-
sichteten Vortheile auch wirklich erreicht werden!
Möchte ich mich stets in meine Lage schicken und über-
all auf dieselbe Rücksicht nehmen! Ich würde dann
gewiß an höherer Vollkommenheit und an der Ausbil-
dung meines Geistes mehr gewinnen, als ich in Ab-
sicht auf körperliche Vorzüge zu verlieren scheine.

Ferne

Das kränkelnde und ſchwächliche Mädchen.
ren habe. Nur der iſt bedaurenswürdig, welcher ſich
den Vorwurf machen muß, daß er durch Laſter und
Ausſchweifungen ſeinen Körper entkräftet hat. Die-
ſes Bewuſtſeyn, dieſer innere Gram iſt peinigender
und ſchmerzhafter, als das Gefühl der Krankheit
ſelbſt. Wohl mir alſo, daß ich nur am Körper,
und nicht auch zugleich an der Seele leide! Wohl mir,
daß ich auch in dieſem Stücke deine weiſe Güte an-
beten; daß ich das, was ich dulde, deinen Willen
und deine Schickung nennen kann! O dein Wille
ſoll ſtets mein Wille; deine Anordnung meine Zu-
friedenheit ſeyn. Ich will dir vertrauen und auf dei-
ne Hülfe hoffen. Ich will mich dir und deiner väter-
lichen Fürſorge überlaſſen. Ich will mich durch Ge-
duld und Gelaſſenheit täglich mehr davon überzeugen,
daß der Menſch Stärke genug beſitzt, um unverſchul-
dete Leiden, welche du ſelbſt ihm auflegſt, ſtandhaft
zu ertragen.

Ja, Gott, du biſt die Liebe, und alles, was
du thuſt und geſchehen läßeſt, das iſt Liebe, das
wird in ſeinen Folgen und im Zuſammenhange der
Dinge ſtets heilſam, das bringt auf tauſendfache Art
Gutes hervor. Möchte ich nur ſtets meine Umſtände
ſo anſehen und beurtheilen, daß dieſe von dir beab-
ſichteten Vortheile auch wirklich erreicht werden!
Möchte ich mich ſtets in meine Lage ſchicken und über-
all auf dieſelbe Rückſicht nehmen! Ich würde dann
gewiß an höherer Vollkommenheit und an der Ausbil-
dung meines Geiſtes mehr gewinnen, als ich in Ab-
ſicht auf körperliche Vorzüge zu verlieren ſcheine.

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[61/0073] Das kränkelnde und ſchwächliche Mädchen. ren habe. Nur der iſt bedaurenswürdig, welcher ſich den Vorwurf machen muß, daß er durch Laſter und Ausſchweifungen ſeinen Körper entkräftet hat. Die- ſes Bewuſtſeyn, dieſer innere Gram iſt peinigender und ſchmerzhafter, als das Gefühl der Krankheit ſelbſt. Wohl mir alſo, daß ich nur am Körper, und nicht auch zugleich an der Seele leide! Wohl mir, daß ich auch in dieſem Stücke deine weiſe Güte an- beten; daß ich das, was ich dulde, deinen Willen und deine Schickung nennen kann! O dein Wille ſoll ſtets mein Wille; deine Anordnung meine Zu- friedenheit ſeyn. Ich will dir vertrauen und auf dei- ne Hülfe hoffen. Ich will mich dir und deiner väter- lichen Fürſorge überlaſſen. Ich will mich durch Ge- duld und Gelaſſenheit täglich mehr davon überzeugen, daß der Menſch Stärke genug beſitzt, um unverſchul- dete Leiden, welche du ſelbſt ihm auflegſt, ſtandhaft zu ertragen. Ja, Gott, du biſt die Liebe, und alles, was du thuſt und geſchehen läßeſt, das iſt Liebe, das wird in ſeinen Folgen und im Zuſammenhange der Dinge ſtets heilſam, das bringt auf tauſendfache Art Gutes hervor. Möchte ich nur ſtets meine Umſtände ſo anſehen und beurtheilen, daß dieſe von dir beab- ſichteten Vortheile auch wirklich erreicht werden! Möchte ich mich ſtets in meine Lage ſchicken und über- all auf dieſelbe Rückſicht nehmen! Ich würde dann gewiß an höherer Vollkommenheit und an der Ausbil- dung meines Geiſtes mehr gewinnen, als ich in Ab- ſicht auf körperliche Vorzüge zu verlieren ſcheine. Ferne

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/73>, abgerufen am 26.11.2024.