Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Trostgründe und Aussichten derselben.
habe ich nicht dabey zu bekämpfen! Zu welchen Fehltrit-
ten und Vergehungen verleitet mich nicht meine Sinnlich-
keit und der Hang zum Jrrdischen! Wie erschweren
mir nicht die Beyspiele und der Einfluß anderer Men-
schen das Geschäffte meiner Veredlung! Wie viel tra-
gen nicht meine mannichfaltigen irrdischen Bedürfnisse
und meine weibliche Lage dazu bey, daß ich bald im
Guten ermüde und in der Liebe zu demselben kalt werde!
Wie gewiß bleibe ich hier auch bey den besten Gesin-
nungen und Vorsätzen und bey dem größten Eifer ein
schwaches und fehlerhaftes Geschöpf! Aber ewig an Tu-
gend zu wachsen und eine Stufe der moralischen Voll-
kommenheit nach der andern zu ersteigen; ewig an
meiner Besserung und Veredlung zu arbeiten und es
in allen guten Gesinnungen zu einer immer größern
Fertigkeit zu bringen; eine Schwachheit nach der an-
dern abzulegen und einen herrschenden Fehler nach dem
andern zu besiegen; ein weites, unbeschränktes Feld
zu großen, edlen, gemeinnützigen Thaten vor mir
zu haben und immer höhere Kräfte und Fähigkeiten
zur Vollbringung des Guten zu erlangen: dieß ist
meine künftige Bestimmung; dieß das glückliche Loos,
welches ich erwarte.

Bald, o Gott, bald werde ich die wiedersehen,
die mir von meinen Freunden und Bekannten in die
Ewigkeit vorangegangen sind. Alle deine Anstalten
und alle Triebe unsrer Natur zeugen davon, daß sich
einst tugendhafte Freunde in einer andern Gegend dei-
nes unermeßlichen Reichs gewiß wieder finden und da
genauer vereinigen werden. So groß auch der Schmrz

war

Troſtgründe und Ausſichten derſelben.
habe ich nicht dabey zu bekämpfen! Zu welchen Fehltrit-
ten und Vergehungen verleitet mich nicht meine Sinnlich-
keit und der Hang zum Jrrdiſchen! Wie erſchweren
mir nicht die Beyſpiele und der Einfluß anderer Men-
ſchen das Geſchäffte meiner Veredlung! Wie viel tra-
gen nicht meine mannichfaltigen irrdiſchen Bedürfniſſe
und meine weibliche Lage dazu bey, daß ich bald im
Guten ermüde und in der Liebe zu demſelben kalt werde!
Wie gewiß bleibe ich hier auch bey den beſten Geſin-
nungen und Vorſätzen und bey dem größten Eifer ein
ſchwaches und fehlerhaftes Geſchöpf! Aber ewig an Tu-
gend zu wachſen und eine Stufe der moraliſchen Voll-
kommenheit nach der andern zu erſteigen; ewig an
meiner Beſſerung und Veredlung zu arbeiten und es
in allen guten Geſinnungen zu einer immer größern
Fertigkeit zu bringen; eine Schwachheit nach der an-
dern abzulegen und einen herrſchenden Fehler nach dem
andern zu beſiegen; ein weites, unbeſchränktes Feld
zu großen, edlen, gemeinnützigen Thaten vor mir
zu haben und immer höhere Kräfte und Fähigkeiten
zur Vollbringung des Guten zu erlangen: dieß iſt
meine künftige Beſtimmung; dieß das glückliche Loos,
welches ich erwarte.

Bald, o Gott, bald werde ich die wiederſehen,
die mir von meinen Freunden und Bekannten in die
Ewigkeit vorangegangen ſind. Alle deine Anſtalten
und alle Triebe unſrer Natur zeugen davon, daß ſich
einſt tugendhafte Freunde in einer andern Gegend dei-
nes unermeßlichen Reichs gewiß wieder finden und da
genauer vereinigen werden. So groß auch der Schmrz

war
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0376" n="364"/><fw place="top" type="header">Tro&#x017F;tgründe und Aus&#x017F;ichten der&#x017F;elben.</fw><lb/>
habe ich nicht dabey zu bekämpfen! Zu welchen Fehltrit-<lb/>
ten und Vergehungen verleitet mich nicht meine Sinnlich-<lb/>
keit und der Hang zum Jrrdi&#x017F;chen! Wie er&#x017F;chweren<lb/>
mir nicht die Bey&#x017F;piele und der Einfluß anderer Men-<lb/>
&#x017F;chen das Ge&#x017F;chäffte meiner Veredlung! Wie viel tra-<lb/>
gen nicht meine mannichfaltigen irrdi&#x017F;chen Bedürfni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und meine weibliche Lage dazu bey, daß ich bald im<lb/>
Guten ermüde und in der Liebe zu dem&#x017F;elben kalt werde!<lb/>
Wie gewiß bleibe ich hier auch bey den be&#x017F;ten Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen und Vor&#x017F;ätzen und bey dem größten Eifer ein<lb/>
&#x017F;chwaches und fehlerhaftes Ge&#x017F;chöpf! Aber ewig an Tu-<lb/>
gend zu wach&#x017F;en und eine Stufe der morali&#x017F;chen Voll-<lb/>
kommenheit nach der andern zu er&#x017F;teigen; ewig an<lb/>
meiner Be&#x017F;&#x017F;erung und Veredlung zu arbeiten und es<lb/>
in allen guten Ge&#x017F;innungen zu einer immer größern<lb/>
Fertigkeit zu bringen; eine Schwachheit nach der an-<lb/>
dern abzulegen und einen herr&#x017F;chenden Fehler nach dem<lb/>
andern zu be&#x017F;iegen; ein weites, unbe&#x017F;chränktes Feld<lb/>
zu großen, edlen, gemeinnützigen Thaten vor mir<lb/>
zu haben und immer höhere Kräfte und Fähigkeiten<lb/>
zur Vollbringung des Guten zu erlangen: dieß i&#x017F;t<lb/>
meine künftige Be&#x017F;timmung; dieß das glückliche Loos,<lb/>
welches ich erwarte.</p><lb/>
          <p>Bald, o Gott, bald werde ich die wieder&#x017F;ehen,<lb/>
die mir von meinen Freunden und Bekannten in die<lb/>
Ewigkeit vorangegangen &#x017F;ind. Alle deine An&#x017F;talten<lb/>
und alle Triebe un&#x017F;rer Natur zeugen davon, daß &#x017F;ich<lb/>
ein&#x017F;t tugendhafte Freunde in einer andern Gegend dei-<lb/>
nes unermeßlichen Reichs gewiß wieder finden und da<lb/>
genauer vereinigen werden. So groß auch der Schmrz<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">war</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0376] Troſtgründe und Ausſichten derſelben. habe ich nicht dabey zu bekämpfen! Zu welchen Fehltrit- ten und Vergehungen verleitet mich nicht meine Sinnlich- keit und der Hang zum Jrrdiſchen! Wie erſchweren mir nicht die Beyſpiele und der Einfluß anderer Men- ſchen das Geſchäffte meiner Veredlung! Wie viel tra- gen nicht meine mannichfaltigen irrdiſchen Bedürfniſſe und meine weibliche Lage dazu bey, daß ich bald im Guten ermüde und in der Liebe zu demſelben kalt werde! Wie gewiß bleibe ich hier auch bey den beſten Geſin- nungen und Vorſätzen und bey dem größten Eifer ein ſchwaches und fehlerhaftes Geſchöpf! Aber ewig an Tu- gend zu wachſen und eine Stufe der moraliſchen Voll- kommenheit nach der andern zu erſteigen; ewig an meiner Beſſerung und Veredlung zu arbeiten und es in allen guten Geſinnungen zu einer immer größern Fertigkeit zu bringen; eine Schwachheit nach der an- dern abzulegen und einen herrſchenden Fehler nach dem andern zu beſiegen; ein weites, unbeſchränktes Feld zu großen, edlen, gemeinnützigen Thaten vor mir zu haben und immer höhere Kräfte und Fähigkeiten zur Vollbringung des Guten zu erlangen: dieß iſt meine künftige Beſtimmung; dieß das glückliche Loos, welches ich erwarte. Bald, o Gott, bald werde ich die wiederſehen, die mir von meinen Freunden und Bekannten in die Ewigkeit vorangegangen ſind. Alle deine Anſtalten und alle Triebe unſrer Natur zeugen davon, daß ſich einſt tugendhafte Freunde in einer andern Gegend dei- nes unermeßlichen Reichs gewiß wieder finden und da genauer vereinigen werden. So groß auch der Schmrz war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/376
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/376>, abgerufen am 24.11.2024.