Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Morgengebet einer Mutter.
tigen Tag recht weise zu gebrauchen und recht christlich
anzuwenden. Ferne sey es von mir, irgend ein Ge-
schäffte ohne dringende Ursachen zu unterlassen oder die
Erfüllung irgend einer Pflicht auf eine andere Zeit zu
verschieben. Ferne sey es von mir, das Gute, wel-
ches ich heute thun und befördern kann, aus Träg-
heit oder Leichtsinn erst künftig thun und befördern zu
wollen. Ferne sey es von mir, mit der Verbesserung
meiner Gesinnungen und mit der Vervollkommnung
meines Charakters erst künftig den Anfang machen
zu wollen. Nein, ich will und kann nicht auf das
Zukünftige und Ungewisse rechnen. Jch will und
muß mich des Gegenwärtigen bedienen, will und muß
wirken, weil es Tag ist, weil ich nicht weiß, wie lan-
ge ich in diesem Zustande der Vorbereitung werde
wirken können. Jch will den heutigen und jeden Tag
meines Lebens so betrachten, als ob er der letzte wäre
und als ob ich nie Gelegenheit haben würde, das
Versäumte wieder einzubringen.

Und zu dieser Denkungsart, zu dieser vernünf-
tigen und christlichen Strenge will ich auch meine Kin-
der anführen und zu gewöhnen suchen. Jch will ih-
nen keinen Aufschub ihrer kleinen Geschäffte erlauben.
Jch will es ihnen nie verstatten, das erst morgen zu
thun und zu lernen, was sie heute thun und lernen
können und sollen. Sie von dem hohen Werthe der
menschlichen Lebenszeit zu unterrichten, ihnen die Wich-
tigkeit und den ausserordentlichen Einfluß jedes Lebens-
alters und jedes Tages ihrer Kindheit und Jugend zu
zeigen, sie auf den Zusammenhang ihrer gegenwär-

tigen
X 2

Morgengebet einer Mutter.
tigen Tag recht weiſe zu gebrauchen und recht chriſtlich
anzuwenden. Ferne ſey es von mir, irgend ein Ge-
ſchäffte ohne dringende Urſachen zu unterlaſſen oder die
Erfüllung irgend einer Pflicht auf eine andere Zeit zu
verſchieben. Ferne ſey es von mir, das Gute, wel-
ches ich heute thun und befördern kann, aus Träg-
heit oder Leichtſinn erſt künftig thun und befördern zu
wollen. Ferne ſey es von mir, mit der Verbeſſerung
meiner Geſinnungen und mit der Vervollkommnung
meines Charakters erſt künftig den Anfang machen
zu wollen. Nein, ich will und kann nicht auf das
Zukünftige und Ungewiſſe rechnen. Jch will und
muß mich des Gegenwärtigen bedienen, will und muß
wirken, weil es Tag iſt, weil ich nicht weiß, wie lan-
ge ich in dieſem Zuſtande der Vorbereitung werde
wirken können. Jch will den heutigen und jeden Tag
meines Lebens ſo betrachten, als ob er der letzte wäre
und als ob ich nie Gelegenheit haben würde, das
Verſäumte wieder einzubringen.

Und zu dieſer Denkungsart, zu dieſer vernünf-
tigen und chriſtlichen Strenge will ich auch meine Kin-
der anführen und zu gewöhnen ſuchen. Jch will ih-
nen keinen Aufſchub ihrer kleinen Geſchäffte erlauben.
Jch will es ihnen nie verſtatten, das erſt morgen zu
thun und zu lernen, was ſie heute thun und lernen
können und ſollen. Sie von dem hohen Werthe der
menſchlichen Lebenszeit zu unterrichten, ihnen die Wich-
tigkeit und den auſſerordentlichen Einfluß jedes Lebens-
alters und jedes Tages ihrer Kindheit und Jugend zu
zeigen, ſie auf den Zuſammenhang ihrer gegenwär-

tigen
X 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0335" n="323"/><fw place="top" type="header">Morgengebet einer Mutter.</fw><lb/>
tigen Tag recht wei&#x017F;e zu gebrauchen und recht chri&#x017F;tlich<lb/>
anzuwenden. Ferne &#x017F;ey es von mir, irgend ein Ge-<lb/>
&#x017F;chäffte ohne dringende Ur&#x017F;achen zu unterla&#x017F;&#x017F;en oder die<lb/>
Erfüllung irgend einer Pflicht auf eine andere Zeit zu<lb/>
ver&#x017F;chieben. Ferne &#x017F;ey es von mir, das Gute, wel-<lb/>
ches ich heute thun und befördern kann, aus Träg-<lb/>
heit oder Leicht&#x017F;inn er&#x017F;t künftig thun und befördern zu<lb/>
wollen. Ferne &#x017F;ey es von mir, mit der Verbe&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
meiner Ge&#x017F;innungen und mit der Vervollkommnung<lb/>
meines Charakters er&#x017F;t künftig den Anfang machen<lb/>
zu wollen. Nein, ich will und kann nicht auf das<lb/>
Zukünftige und Ungewi&#x017F;&#x017F;e rechnen. Jch will und<lb/>
muß mich des Gegenwärtigen bedienen, will und muß<lb/>
wirken, weil es Tag i&#x017F;t, weil ich nicht weiß, wie lan-<lb/>
ge ich in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande der Vorbereitung werde<lb/>
wirken können. Jch will den heutigen und jeden Tag<lb/>
meines Lebens &#x017F;o betrachten, als ob er der letzte wäre<lb/>
und als ob ich nie Gelegenheit haben würde, das<lb/>
Ver&#x017F;äumte wieder einzubringen.</p><lb/>
          <p>Und zu die&#x017F;er Denkungsart, zu die&#x017F;er vernünf-<lb/>
tigen und chri&#x017F;tlichen Strenge will ich auch meine Kin-<lb/>
der anführen und zu gewöhnen &#x017F;uchen. Jch will ih-<lb/>
nen keinen Auf&#x017F;chub ihrer kleinen Ge&#x017F;chäffte erlauben.<lb/>
Jch will es ihnen nie ver&#x017F;tatten, das er&#x017F;t morgen zu<lb/>
thun und zu lernen, was &#x017F;ie heute thun und lernen<lb/>
können und &#x017F;ollen. Sie von dem hohen Werthe der<lb/>
men&#x017F;chlichen Lebenszeit zu unterrichten, ihnen die Wich-<lb/>
tigkeit und den au&#x017F;&#x017F;erordentlichen Einfluß jedes Lebens-<lb/>
alters und jedes Tages ihrer Kindheit und Jugend zu<lb/>
zeigen, &#x017F;ie auf den Zu&#x017F;ammenhang ihrer gegenwär-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 2</fw><fw place="bottom" type="catch">tigen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] Morgengebet einer Mutter. tigen Tag recht weiſe zu gebrauchen und recht chriſtlich anzuwenden. Ferne ſey es von mir, irgend ein Ge- ſchäffte ohne dringende Urſachen zu unterlaſſen oder die Erfüllung irgend einer Pflicht auf eine andere Zeit zu verſchieben. Ferne ſey es von mir, das Gute, wel- ches ich heute thun und befördern kann, aus Träg- heit oder Leichtſinn erſt künftig thun und befördern zu wollen. Ferne ſey es von mir, mit der Verbeſſerung meiner Geſinnungen und mit der Vervollkommnung meines Charakters erſt künftig den Anfang machen zu wollen. Nein, ich will und kann nicht auf das Zukünftige und Ungewiſſe rechnen. Jch will und muß mich des Gegenwärtigen bedienen, will und muß wirken, weil es Tag iſt, weil ich nicht weiß, wie lan- ge ich in dieſem Zuſtande der Vorbereitung werde wirken können. Jch will den heutigen und jeden Tag meines Lebens ſo betrachten, als ob er der letzte wäre und als ob ich nie Gelegenheit haben würde, das Verſäumte wieder einzubringen. Und zu dieſer Denkungsart, zu dieſer vernünf- tigen und chriſtlichen Strenge will ich auch meine Kin- der anführen und zu gewöhnen ſuchen. Jch will ih- nen keinen Aufſchub ihrer kleinen Geſchäffte erlauben. Jch will es ihnen nie verſtatten, das erſt morgen zu thun und zu lernen, was ſie heute thun und lernen können und ſollen. Sie von dem hohen Werthe der menſchlichen Lebenszeit zu unterrichten, ihnen die Wich- tigkeit und den auſſerordentlichen Einfluß jedes Lebens- alters und jedes Tages ihrer Kindheit und Jugend zu zeigen, ſie auf den Zuſammenhang ihrer gegenwär- tigen X 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/335
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/335>, abgerufen am 24.11.2024.