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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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auf die Erziehung der Töchter.
die Gleichheit des Geschlechts trägt ausserordentlich
viel dazu bey, daß diese offenherziger und mittheilen-
der gegen mich als gegen ihre eigentlichen Lehrer und
Erzieher sind. Unser öfteres Beysammenseyn ver-
stärkt und unterhält diese Vertraulichkeit und meine
weibliche Sanftmuth und Geduld flößen ihnen die
zärtlichste Liebe und die völligste Zuversicht zu mir ein.
O möchte ich dieses Zutrauen ja nicht verscherzen!
Möchte ich dasselbe vielmehr durch jede erlaubte Ge-
fälligkeit und durch unermüdete Nachsicht in allen Fäl-
len, die Nachsicht verdienen, zu erhalten und zu bele-
ben suchen! Durch Hülfe desselben kann ich ihre
Wünsche und Neigungen erforschen und ihre schwächste
Seite entdecken. Durch Hülfe desselben bin ich im
Stande, sie vor tausend Fehlern und Vergehungen zu
warnen, ihnen mit gutem Rathe beyzustehen, ihnen
mit meinen Einsichten und Erfahrungen zu Hülfe zu
kommen, sie von der Verfolgung schlechter Absichten
zurück zu halten, ihnen zur Erreichung guter End-
zwecke wirksamere und unschädlichere Mittel vorzu-
schlagen und sie von den Thorheiten und Lastern un-
sers Geschlechts durch abschreckende Beyspiele zu ent-
fernen.

Und wie geschickt bin ich nicht als Mutter, auch
die geheimgehaltenen Fehler meiner Töchter auszuspä-
hen und zu verbessern! Wie künstlich lernt nicht un-
ser Geschlecht von Jugend auf seine Schwachheiten
und Fehler vor männlichen Augen und selbst vor den
Augen eines Vaters oder Lehrers verbergen! Aber
mir kann dieß bey einer aufmerksamen Beobachtung

meiner

auf die Erziehung der Töchter.
die Gleichheit des Geſchlechts trägt auſſerordentlich
viel dazu bey, daß dieſe offenherziger und mittheilen-
der gegen mich als gegen ihre eigentlichen Lehrer und
Erzieher ſind. Unſer öfteres Beyſammenſeyn ver-
ſtärkt und unterhält dieſe Vertraulichkeit und meine
weibliche Sanftmuth und Geduld flößen ihnen die
zärtlichſte Liebe und die völligſte Zuverſicht zu mir ein.
O möchte ich dieſes Zutrauen ja nicht verſcherzen!
Möchte ich daſſelbe vielmehr durch jede erlaubte Ge-
fälligkeit und durch unermüdete Nachſicht in allen Fäl-
len, die Nachſicht verdienen, zu erhalten und zu bele-
ben ſuchen! Durch Hülfe deſſelben kann ich ihre
Wünſche und Neigungen erforſchen und ihre ſchwächſte
Seite entdecken. Durch Hülfe deſſelben bin ich im
Stande, ſie vor tauſend Fehlern und Vergehungen zu
warnen, ihnen mit gutem Rathe beyzuſtehen, ihnen
mit meinen Einſichten und Erfahrungen zu Hülfe zu
kommen, ſie von der Verfolgung ſchlechter Abſichten
zurück zu halten, ihnen zur Erreichung guter End-
zwecke wirkſamere und unſchädlichere Mittel vorzu-
ſchlagen und ſie von den Thorheiten und Laſtern un-
ſers Geſchlechts durch abſchreckende Beyſpiele zu ent-
fernen.

Und wie geſchickt bin ich nicht als Mutter, auch
die geheimgehaltenen Fehler meiner Töchter auszuſpä-
hen und zu verbeſſern! Wie künſtlich lernt nicht un-
ſer Geſchlecht von Jugend auf ſeine Schwachheiten
und Fehler vor männlichen Augen und ſelbſt vor den
Augen eines Vaters oder Lehrers verbergen! Aber
mir kann dieß bey einer aufmerkſamen Beobachtung

meiner
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[315/0327] auf die Erziehung der Töchter. die Gleichheit des Geſchlechts trägt auſſerordentlich viel dazu bey, daß dieſe offenherziger und mittheilen- der gegen mich als gegen ihre eigentlichen Lehrer und Erzieher ſind. Unſer öfteres Beyſammenſeyn ver- ſtärkt und unterhält dieſe Vertraulichkeit und meine weibliche Sanftmuth und Geduld flößen ihnen die zärtlichſte Liebe und die völligſte Zuverſicht zu mir ein. O möchte ich dieſes Zutrauen ja nicht verſcherzen! Möchte ich daſſelbe vielmehr durch jede erlaubte Ge- fälligkeit und durch unermüdete Nachſicht in allen Fäl- len, die Nachſicht verdienen, zu erhalten und zu bele- ben ſuchen! Durch Hülfe deſſelben kann ich ihre Wünſche und Neigungen erforſchen und ihre ſchwächſte Seite entdecken. Durch Hülfe deſſelben bin ich im Stande, ſie vor tauſend Fehlern und Vergehungen zu warnen, ihnen mit gutem Rathe beyzuſtehen, ihnen mit meinen Einſichten und Erfahrungen zu Hülfe zu kommen, ſie von der Verfolgung ſchlechter Abſichten zurück zu halten, ihnen zur Erreichung guter End- zwecke wirkſamere und unſchädlichere Mittel vorzu- ſchlagen und ſie von den Thorheiten und Laſtern un- ſers Geſchlechts durch abſchreckende Beyſpiele zu ent- fernen. Und wie geſchickt bin ich nicht als Mutter, auch die geheimgehaltenen Fehler meiner Töchter auszuſpä- hen und zu verbeſſern! Wie künſtlich lernt nicht un- ſer Geſchlecht von Jugend auf ſeine Schwachheiten und Fehler vor männlichen Augen und ſelbſt vor den Augen eines Vaters oder Lehrers verbergen! Aber mir kann dieß bey einer aufmerkſamen Beobachtung meiner

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/327>, abgerufen am 24.11.2024.