Vorwürfe würde ich künftig von ihm hören und mir selbst darüber machen müssen, wenn ich itzt dasselbe durch meine mütterliche Gewalt zu einem Berufe zwingen wollte, in welchem es weder gemeinnützig für die Welt noch mit seinem Schicksale zufrieden seyn könnte! Jeder Zwang, womit man freye und mora- lische Geschöpfe behandelt, ist unvernünftig und un- billig; aber in diesem Stücke würde er der höchste Grad von Tyrannei und die unerschöpflichste Quelle des Mißvergnügens, des Kummers und Elendes seyn.
Ferne sey es aber auch von mir und von allen, die Einfluß auf mein Kind haben, demselben irgend eine Lebensart anzupreisen, die das nicht ist, was sie zu seyn scheint, oder ihm einen gewissen Beruf als höchst angenehm und reizend zu schildern, der das nicht gewähret und nicht gewähren kann, was er einem jungen und unerfahrnen Beurtheiler zu gewähren ver- spricht. Nein, wenn ich mein Kind liebe, wenn ich seine Zufriedenheit und Glückseligkeit wünsche, so liegt es mir und allen denen, die gleiche Gesinnungen und in diesem Falle gleiche Pflichten mit mir haben, ob, dasselbe ganz mit der Lebensart, die es wählen will, bekannt zu machen, und ihm diese nicht nur von der einen und angenehmsten, sondern auch von der be- schwerlichen Seite zu zeigen. Jeder Stand hat seine Annehmlichkeiten, aber auch seine Beschwerden. Viele Stände glänzen mehr als die übrigen, wenn man sie von weitem betrachtet, und scheinen dem Menschen ein vorzügliches Glück zu gewähren. Wer sich ohne
Erfah-
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eines Kindes.
Vorwürfe würde ich künftig von ihm hören und mir ſelbſt darüber machen müſſen, wenn ich itzt daſſelbe durch meine mütterliche Gewalt zu einem Berufe zwingen wollte, in welchem es weder gemeinnützig für die Welt noch mit ſeinem Schickſale zufrieden ſeyn könnte! Jeder Zwang, womit man freye und mora- liſche Geſchöpfe behandelt, iſt unvernünftig und un- billig; aber in dieſem Stücke würde er der höchſte Grad von Tyrannei und die unerſchöpflichſte Quelle des Mißvergnügens, des Kummers und Elendes ſeyn.
Ferne ſey es aber auch von mir und von allen, die Einfluß auf mein Kind haben, demſelben irgend eine Lebensart anzupreiſen, die das nicht iſt, was ſie zu ſeyn ſcheint, oder ihm einen gewiſſen Beruf als höchſt angenehm und reizend zu ſchildern, der das nicht gewähret und nicht gewähren kann, was er einem jungen und unerfahrnen Beurtheiler zu gewähren ver- ſpricht. Nein, wenn ich mein Kind liebe, wenn ich ſeine Zufriedenheit und Glückſeligkeit wünſche, ſo liegt es mir und allen denen, die gleiche Geſinnungen und in dieſem Falle gleiche Pflichten mit mir haben, ob, daſſelbe ganz mit der Lebensart, die es wählen will, bekannt zu machen, und ihm dieſe nicht nur von der einen und angenehmſten, ſondern auch von der be- ſchwerlichen Seite zu zeigen. Jeder Stand hat ſeine Annehmlichkeiten, aber auch ſeine Beſchwerden. Viele Stände glänzen mehr als die übrigen, wenn man ſie von weitem betrachtet, und ſcheinen dem Menſchen ein vorzügliches Glück zu gewähren. Wer ſich ohne
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eines Kindes.
Vorwürfe würde ich künftig von ihm hören und mir
ſelbſt darüber machen müſſen, wenn ich itzt daſſelbe
durch meine mütterliche Gewalt zu einem Berufe
zwingen wollte, in welchem es weder gemeinnützig für
die Welt noch mit ſeinem Schickſale zufrieden ſeyn
könnte! Jeder Zwang, womit man freye und mora-
liſche Geſchöpfe behandelt, iſt unvernünftig und un-
billig; aber in dieſem Stücke würde er der höchſte
Grad von Tyrannei und die unerſchöpflichſte Quelle
des Mißvergnügens, des Kummers und Elendes
ſeyn.
Ferne ſey es aber auch von mir und von allen,
die Einfluß auf mein Kind haben, demſelben irgend
eine Lebensart anzupreiſen, die das nicht iſt, was ſie
zu ſeyn ſcheint, oder ihm einen gewiſſen Beruf als
höchſt angenehm und reizend zu ſchildern, der das
nicht gewähret und nicht gewähren kann, was er einem
jungen und unerfahrnen Beurtheiler zu gewähren ver-
ſpricht. Nein, wenn ich mein Kind liebe, wenn ich
ſeine Zufriedenheit und Glückſeligkeit wünſche, ſo liegt
es mir und allen denen, die gleiche Geſinnungen und
in dieſem Falle gleiche Pflichten mit mir haben, ob,
daſſelbe ganz mit der Lebensart, die es wählen will,
bekannt zu machen, und ihm dieſe nicht nur von der
einen und angenehmſten, ſondern auch von der be-
ſchwerlichen Seite zu zeigen. Jeder Stand hat ſeine
Annehmlichkeiten, aber auch ſeine Beſchwerden. Viele
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/289>, abgerufen am 16.02.2025.
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