trennet, zeuget eben so sehr von deiner höchsten Weis- heit und Güte als die Stunde, die ihnen das Leben giebt. Tod und Leben sind in deiner Hand und kom- men von dir; Tod und Leben sind Mittel, Glückselig- keit unter deinen Kindern zu befördern, und sie ihrer Vervollkommnung und Vollendung zuzuführen.
O möchte doch itzt diese christliche Ueberzeugung recht wirksam und kräftig bey mir seyn! Möchte ich den Tod meines Kindes, meines mir so lieben und theuren Kindes so betrachten und diesen Verlust so er- tragen, wie es sich für eine christliche Mutter schickt, die dich als den Gott der Liebe kennet und verehret! Frey- lich kann ich diese Begebenheit nicht mit gleichgültigen Augen ansehen; freylich kann ich mich nicht alles Schmerzes und aller Traurigkeit über diesen Fall er- wehren; freylich fühlet mein mütterliches Herz den Verlust, den ich erlitten habe, stark und lebhaft: aber meine Thränen können auch dir, dem gütigsten, huldreichsten Vater deiner Geschöpfe, nicht mißfallen, da du selbst die zärtlichen, theilnehmenden Empfin- dungen einer Mutter in meine Brust gelegt und mich durch die sanften Bande der Natur so fest mit dem Kinde, dem ich das Leben gab, verbunden hast! Nein, ich würde mein Gefühl verleugnen und meiner Natur entgegen handeln müssen, wenn ich itzt da ungerührt und gefühllos bliebe, wo mir die Thräne, die ich weine, zur Ehre gereicht.
Ja, beydes kann mit einander bestehen. Jch kann mich über meinen Verlust betrüben und in deiner
Vor-
Die Mutter bey dem Tode ihres Kindes.
trennet, zeuget eben ſo ſehr von deiner höchſten Weis- heit und Güte als die Stunde, die ihnen das Leben giebt. Tod und Leben ſind in deiner Hand und kom- men von dir; Tod und Leben ſind Mittel, Glückſelig- keit unter deinen Kindern zu befördern, und ſie ihrer Vervollkommnung und Vollendung zuzuführen.
O möchte doch itzt dieſe chriſtliche Ueberzeugung recht wirkſam und kräftig bey mir ſeyn! Möchte ich den Tod meines Kindes, meines mir ſo lieben und theuren Kindes ſo betrachten und dieſen Verluſt ſo er- tragen, wie es ſich für eine chriſtliche Mutter ſchickt, die dich als den Gott der Liebe kennet und verehret! Frey- lich kann ich dieſe Begebenheit nicht mit gleichgültigen Augen anſehen; freylich kann ich mich nicht alles Schmerzes und aller Traurigkeit über dieſen Fall er- wehren; freylich fühlet mein mütterliches Herz den Verluſt, den ich erlitten habe, ſtark und lebhaft: aber meine Thränen können auch dir, dem gütigſten, huldreichſten Vater deiner Geſchöpfe, nicht mißfallen, da du ſelbſt die zärtlichen, theilnehmenden Empfin- dungen einer Mutter in meine Bruſt gelegt und mich durch die ſanften Bande der Natur ſo feſt mit dem Kinde, dem ich das Leben gab, verbunden haſt! Nein, ich würde mein Gefühl verleugnen und meiner Natur entgegen handeln müſſen, wenn ich itzt da ungerührt und gefühllos bliebe, wo mir die Thräne, die ich weine, zur Ehre gereicht.
Ja, beydes kann mit einander beſtehen. Jch kann mich über meinen Verluſt betrüben und in deiner
Vor-
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Die Mutter bey dem Tode ihres Kindes.
trennet, zeuget eben ſo ſehr von deiner höchſten Weis-
heit und Güte als die Stunde, die ihnen das Leben
giebt. Tod und Leben ſind in deiner Hand und kom-
men von dir; Tod und Leben ſind Mittel, Glückſelig-
keit unter deinen Kindern zu befördern, und ſie ihrer
Vervollkommnung und Vollendung zuzuführen.
O möchte doch itzt dieſe chriſtliche Ueberzeugung
recht wirkſam und kräftig bey mir ſeyn! Möchte ich
den Tod meines Kindes, meines mir ſo lieben und
theuren Kindes ſo betrachten und dieſen Verluſt ſo er-
tragen, wie es ſich für eine chriſtliche Mutter ſchickt,
die dich als den Gott der Liebe kennet und verehret! Frey-
lich kann ich dieſe Begebenheit nicht mit gleichgültigen
Augen anſehen; freylich kann ich mich nicht alles
Schmerzes und aller Traurigkeit über dieſen Fall er-
wehren; freylich fühlet mein mütterliches Herz den
Verluſt, den ich erlitten habe, ſtark und lebhaft:
aber meine Thränen können auch dir, dem gütigſten,
huldreichſten Vater deiner Geſchöpfe, nicht mißfallen,
da du ſelbſt die zärtlichen, theilnehmenden Empfin-
dungen einer Mutter in meine Bruſt gelegt und mich
durch die ſanften Bande der Natur ſo feſt mit dem
Kinde, dem ich das Leben gab, verbunden haſt! Nein,
ich würde mein Gefühl verleugnen und meiner Natur
entgegen handeln müſſen, wenn ich itzt da ungerührt
und gefühllos bliebe, wo mir die Thräne, die ich weine,
zur Ehre gereicht.
Ja, beydes kann mit einander beſtehen. Jch
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/260>, abgerufen am 30.06.2024.
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