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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Wider den Geiz.
übertreten und verletzen! Zu welcher List, zu welchem
Betrug, zu welchen Ungerechtigkeiten wird und muß
mich nicht mein Eigennutz und meine Habsucht
verführen? Wie selbstsüchtig und neidisch werde ich
da alles an mich zu ziehen suchen, wovon sich viele
andere ernähren könnten! Wie hart und unbarmherzig
werde ich gegen Arme, Dürftige und Elende seyn!
Ja, dann handle ich deinem ersten und wichtigsten
Gebote, dem Gebote der Liebe und Wohlthätigkeit zu-
wider. Dann ersticke ich alle menschlichen Empfin-
dungen in meiner Brust. Dann entehre ich meine
Menschheit, mein Christenthum, meine weiblichen
Anlagen, die mich theilnehmend und mitleidig und
bey dem Elende meiner Nebenmenschen empfindsam
seyn heißen. Dann beraube ich mich der größten
und edelsten aller Freuden, der Freude und Seligkeit
des Wohlthuns. Dann kann ich keine Aehnlichkeit
und keine Gemeinschaft mit dir, dem Gott der Liebe,
haben, weil ich dir nicht nachahme und meine Ehre
nicht darin suche, so zu wirken und zu handeln, wie
du wirkest und handelst. Dann ist kein Zug des er-
habenen Bildes von dir, das du mir eingedrücket hast,
mehr an mir sichtbar, weil ich meine höchste Würde
und Bestimmung, meine Bestimmung zur Menschen-
liebe und Wohlthätigkeit verleugne und mich selbst
unter die unvernünftigen Thiere herabsetze. Dann ist
das Bekenntnis meines Christenthums, dann sind
meine Religions- und Andachtsübungen vergeblich und
eitel, weil ich dich nicht im Geist und in der Wahr-

heit,

Wider den Geiz.
übertreten und verletzen! Zu welcher Liſt, zu welchem
Betrug, zu welchen Ungerechtigkeiten wird und muß
mich nicht mein Eigennutz und meine Habſucht
verführen? Wie ſelbſtſüchtig und neidiſch werde ich
da alles an mich zu ziehen ſuchen, wovon ſich viele
andere ernähren könnten! Wie hart und unbarmherzig
werde ich gegen Arme, Dürftige und Elende ſeyn!
Ja, dann handle ich deinem erſten und wichtigſten
Gebote, dem Gebote der Liebe und Wohlthätigkeit zu-
wider. Dann erſticke ich alle menſchlichen Empfin-
dungen in meiner Bruſt. Dann entehre ich meine
Menſchheit, mein Chriſtenthum, meine weiblichen
Anlagen, die mich theilnehmend und mitleidig und
bey dem Elende meiner Nebenmenſchen empfindſam
ſeyn heißen. Dann beraube ich mich der größten
und edelſten aller Freuden, der Freude und Seligkeit
des Wohlthuns. Dann kann ich keine Aehnlichkeit
und keine Gemeinſchaft mit dir, dem Gott der Liebe,
haben, weil ich dir nicht nachahme und meine Ehre
nicht darin ſuche, ſo zu wirken und zu handeln, wie
du wirkeſt und handelſt. Dann iſt kein Zug des er-
habenen Bildes von dir, das du mir eingedrücket haſt,
mehr an mir ſichtbar, weil ich meine höchſte Würde
und Beſtimmung, meine Beſtimmung zur Menſchen-
liebe und Wohlthätigkeit verleugne und mich ſelbſt
unter die unvernünftigen Thiere herabſetze. Dann iſt
das Bekenntnis meines Chriſtenthums, dann ſind
meine Religions- und Andachtsübungen vergeblich und
eitel, weil ich dich nicht im Geiſt und in der Wahr-

heit,
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[210/0222] Wider den Geiz. übertreten und verletzen! Zu welcher Liſt, zu welchem Betrug, zu welchen Ungerechtigkeiten wird und muß mich nicht mein Eigennutz und meine Habſucht verführen? Wie ſelbſtſüchtig und neidiſch werde ich da alles an mich zu ziehen ſuchen, wovon ſich viele andere ernähren könnten! Wie hart und unbarmherzig werde ich gegen Arme, Dürftige und Elende ſeyn! Ja, dann handle ich deinem erſten und wichtigſten Gebote, dem Gebote der Liebe und Wohlthätigkeit zu- wider. Dann erſticke ich alle menſchlichen Empfin- dungen in meiner Bruſt. Dann entehre ich meine Menſchheit, mein Chriſtenthum, meine weiblichen Anlagen, die mich theilnehmend und mitleidig und bey dem Elende meiner Nebenmenſchen empfindſam ſeyn heißen. Dann beraube ich mich der größten und edelſten aller Freuden, der Freude und Seligkeit des Wohlthuns. Dann kann ich keine Aehnlichkeit und keine Gemeinſchaft mit dir, dem Gott der Liebe, haben, weil ich dir nicht nachahme und meine Ehre nicht darin ſuche, ſo zu wirken und zu handeln, wie du wirkeſt und handelſt. Dann iſt kein Zug des er- habenen Bildes von dir, das du mir eingedrücket haſt, mehr an mir ſichtbar, weil ich meine höchſte Würde und Beſtimmung, meine Beſtimmung zur Menſchen- liebe und Wohlthätigkeit verleugne und mich ſelbſt unter die unvernünftigen Thiere herabſetze. Dann iſt das Bekenntnis meines Chriſtenthums, dann ſind meine Religions- und Andachtsübungen vergeblich und eitel, weil ich dich nicht im Geiſt und in der Wahr- heit,

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/222>, abgerufen am 22.11.2024.