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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die unglückliche Gattin.
geben! Möchte ich nur den Gebrauch von meinen
widrigen Schicksalen machen, den sie mich als den be-
sten und heilsamsten davon machen heißen!

Ich halte mich freylich für unschuldig. Ich
schmeichle mir, alles gethan zu haben, was mich hät-
te glücklich machen können. Ich glaube, vorsichtig
bey meiner Wahl und bedachtsam bey der Prüfung
meines Gatten gewesen zu seyn. Aber wie leicht kann
ich mich hier selbst täuschen! Wie leicht kann ich mich
solcher Fehler schuldig gemacht haben, die ich nun erst
aus ihren bittern Folgen für Fehler erkenne! Hätte
ich mich durch Ansehen, Rang und Reichthum täu-
schen lassen; hätte ich mehr auf äusserliche und persön-
liche Annehmlichkeiten als auf wahre Verdienste gese-
hen; hätte ich aus Vorliebe zu den irrdischen Gütern
nicht auf Verstand und Tugend und Güte des Cha-
rakters Rücksicht genommen: so wäre ja mein itziger
Zustand eine verdiente Züchtigung meines Leichtsinns.
Aber wie belehrend und heilsam kann mir selbst diese
Züchtigung werden! wie viel richtiger und genauer
kann ich nun den Werth solcher äussern Vorzüge be-
stimmen lernen! Welche größere Fehlschlüsse und Uebel
kann ich in der Zukunft dadurch vermeiden! Wie viel
wichtiger und schätzbarer werden und müssen nun Weis-
heit und Tugend und moralische Vollkommenheit in
meinen Augen seyn! Ohne dieses traurige Loos wäre
ich vielleicht noch lange, vielleicht stets verblendet ge-
blieben. Ohne diese Erfahrung hätte ich vielleicht
meine Glückseligkeit in lauter eiteln und nichtswürdi-

gen

Die unglückliche Gattin.
geben! Möchte ich nur den Gebrauch von meinen
widrigen Schickſalen machen, den ſie mich als den be-
ſten und heilſamſten davon machen heißen!

Ich halte mich freylich für unſchuldig. Ich
ſchmeichle mir, alles gethan zu haben, was mich hät-
te glücklich machen können. Ich glaube, vorſichtig
bey meiner Wahl und bedachtſam bey der Prüfung
meines Gatten geweſen zu ſeyn. Aber wie leicht kann
ich mich hier ſelbſt täuſchen! Wie leicht kann ich mich
ſolcher Fehler ſchuldig gemacht haben, die ich nun erſt
aus ihren bittern Folgen für Fehler erkenne! Hätte
ich mich durch Anſehen, Rang und Reichthum täu-
ſchen laſſen; hätte ich mehr auf äuſſerliche und perſön-
liche Annehmlichkeiten als auf wahre Verdienſte geſe-
hen; hätte ich aus Vorliebe zu den irrdiſchen Gütern
nicht auf Verſtand und Tugend und Güte des Cha-
rakters Rückſicht genommen: ſo wäre ja mein itziger
Zuſtand eine verdiente Züchtigung meines Leichtſinns.
Aber wie belehrend und heilſam kann mir ſelbſt dieſe
Züchtigung werden! wie viel richtiger und genauer
kann ich nun den Werth ſolcher äuſſern Vorzüge be-
ſtimmen lernen! Welche größere Fehlſchlüſſe und Uebel
kann ich in der Zukunft dadurch vermeiden! Wie viel
wichtiger und ſchätzbarer werden und müſſen nun Weis-
heit und Tugend und moraliſche Vollkommenheit in
meinen Augen ſeyn! Ohne dieſes traurige Loos wäre
ich vielleicht noch lange, vielleicht ſtets verblendet ge-
blieben. Ohne dieſe Erfahrung hätte ich vielleicht
meine Glückſeligkeit in lauter eiteln und nichtswürdi-

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[182/0194] Die unglückliche Gattin. geben! Möchte ich nur den Gebrauch von meinen widrigen Schickſalen machen, den ſie mich als den be- ſten und heilſamſten davon machen heißen! Ich halte mich freylich für unſchuldig. Ich ſchmeichle mir, alles gethan zu haben, was mich hät- te glücklich machen können. Ich glaube, vorſichtig bey meiner Wahl und bedachtſam bey der Prüfung meines Gatten geweſen zu ſeyn. Aber wie leicht kann ich mich hier ſelbſt täuſchen! Wie leicht kann ich mich ſolcher Fehler ſchuldig gemacht haben, die ich nun erſt aus ihren bittern Folgen für Fehler erkenne! Hätte ich mich durch Anſehen, Rang und Reichthum täu- ſchen laſſen; hätte ich mehr auf äuſſerliche und perſön- liche Annehmlichkeiten als auf wahre Verdienſte geſe- hen; hätte ich aus Vorliebe zu den irrdiſchen Gütern nicht auf Verſtand und Tugend und Güte des Cha- rakters Rückſicht genommen: ſo wäre ja mein itziger Zuſtand eine verdiente Züchtigung meines Leichtſinns. Aber wie belehrend und heilſam kann mir ſelbſt dieſe Züchtigung werden! wie viel richtiger und genauer kann ich nun den Werth ſolcher äuſſern Vorzüge be- ſtimmen lernen! Welche größere Fehlſchlüſſe und Uebel kann ich in der Zukunft dadurch vermeiden! Wie viel wichtiger und ſchätzbarer werden und müſſen nun Weis- heit und Tugend und moraliſche Vollkommenheit in meinen Augen ſeyn! Ohne dieſes traurige Loos wäre ich vielleicht noch lange, vielleicht ſtets verblendet ge- blieben. Ohne dieſe Erfahrung hätte ich vielleicht meine Glückſeligkeit in lauter eiteln und nichtswürdi- gen

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/194>, abgerufen am 23.11.2024.