gens wegen zu hassen, oder ihnen unerwiesene schlech- te Absichten anzudichten. Vielleicht lassen ihre größe- re Klugheit und Erfahrung wirklich ein beträchtliches Glück für mich sehen und erwarten. Vielleicht habe ich zu einseitig, zu leidenschaftlich hierbey geurtheilt. Vielleicht täuschten mich falsche Nachrich ten und übel- gesinnte Menschen, die mich zu ihrem eigenen Vor- theile einzunehmen suchten. Wenigstens kann und muß ich dieses glauben, daß es meine Aeltern oder Freunde gut mit mir meinten, wenn sie auch bey die- ser Gelegenheit nicht mit der nöthigen Klugheit und Vorsicht gehandelt haben.
Ich will mich daher hüten, meine Abneigung gegen denjenigen zu vermehren, in dessen Gesellschaft ich meine Tage durchleben und mit dem ich Glück und Unglück, Freuden und Leiden theilen soll. Ich will seine Liebe zu mir nicht mit Haß vergelten, die ihn alles anwenden ließ, um zu dem Besitze meiner Person zu gelangen. Ich will mich bemühen, sei- ne guten Eigenschaften und seine Vorzüge zu entde- cken, die mir bisher vielleicht blos deßwegen entgan- gen sind, weil ich wider ihn eingenommen war. Ich will ihm wenigstens meine ganze Hochachtung schen- ken, ihn als meinen Freund ehren und mich so gegen ihn betragen, daß ich nicht ihm und mir das Leben verbittere und erschwere. Ich will ihm seine Zudring- lichkeit nicht entgelten und ihn die Folgen seines un- überlegten Schritts so wenig als möglich fühlen las- sen. Vernunft und Religion heißen mich meinen zu- künftigen Stand als eine Schule ansehen, in welcher
ich
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Die Verlobte.
gens wegen zu haſſen, oder ihnen unerwieſene ſchlech- te Abſichten anzudichten. Vielleicht laſſen ihre größe- re Klugheit und Erfahrung wirklich ein beträchtliches Glück für mich ſehen und erwarten. Vielleicht habe ich zu einſeitig, zu leidenſchaftlich hierbey geurtheilt. Vielleicht täuſchten mich falſche Nachrich ten und übel- geſinnte Menſchen, die mich zu ihrem eigenen Vor- theile einzunehmen ſuchten. Wenigſtens kann und muß ich dieſes glauben, daß es meine Aeltern oder Freunde gut mit mir meinten, wenn ſie auch bey die- ſer Gelegenheit nicht mit der nöthigen Klugheit und Vorſicht gehandelt haben.
Ich will mich daher hüten, meine Abneigung gegen denjenigen zu vermehren, in deſſen Geſellſchaft ich meine Tage durchleben und mit dem ich Glück und Unglück, Freuden und Leiden theilen ſoll. Ich will ſeine Liebe zu mir nicht mit Haß vergelten, die ihn alles anwenden ließ, um zu dem Beſitze meiner Perſon zu gelangen. Ich will mich bemühen, ſei- ne guten Eigenſchaften und ſeine Vorzüge zu entde- cken, die mir bisher vielleicht blos deßwegen entgan- gen ſind, weil ich wider ihn eingenommen war. Ich will ihm wenigſtens meine ganze Hochachtung ſchen- ken, ihn als meinen Freund ehren und mich ſo gegen ihn betragen, daß ich nicht ihm und mir das Leben verbittere und erſchwere. Ich will ihm ſeine Zudring- lichkeit nicht entgelten und ihn die Folgen ſeines un- überlegten Schritts ſo wenig als möglich fühlen laſ- ſen. Vernunft und Religion heißen mich meinen zu- künftigen Stand als eine Schule anſehen, in welcher
ich
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Die Verlobte.
gens wegen zu haſſen, oder ihnen unerwieſene ſchlech-
te Abſichten anzudichten. Vielleicht laſſen ihre größe-
re Klugheit und Erfahrung wirklich ein beträchtliches
Glück für mich ſehen und erwarten. Vielleicht habe
ich zu einſeitig, zu leidenſchaftlich hierbey geurtheilt.
Vielleicht täuſchten mich falſche Nachrich ten und übel-
geſinnte Menſchen, die mich zu ihrem eigenen Vor-
theile einzunehmen ſuchten. Wenigſtens kann und
muß ich dieſes glauben, daß es meine Aeltern oder
Freunde gut mit mir meinten, wenn ſie auch bey die-
ſer Gelegenheit nicht mit der nöthigen Klugheit und
Vorſicht gehandelt haben.
Ich will mich daher hüten, meine Abneigung
gegen denjenigen zu vermehren, in deſſen Geſellſchaft
ich meine Tage durchleben und mit dem ich Glück
und Unglück, Freuden und Leiden theilen ſoll. Ich
will ſeine Liebe zu mir nicht mit Haß vergelten, die
ihn alles anwenden ließ, um zu dem Beſitze meiner
Perſon zu gelangen. Ich will mich bemühen, ſei-
ne guten Eigenſchaften und ſeine Vorzüge zu entde-
cken, die mir bisher vielleicht blos deßwegen entgan-
gen ſind, weil ich wider ihn eingenommen war. Ich
will ihm wenigſtens meine ganze Hochachtung ſchen-
ken, ihn als meinen Freund ehren und mich ſo gegen
ihn betragen, daß ich nicht ihm und mir das Leben
verbittere und erſchwere. Ich will ihm ſeine Zudring-
lichkeit nicht entgelten und ihn die Folgen ſeines un-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/163>, abgerufen am 28.06.2024.
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