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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Entsagung des Leichtsinns.
drigen, da ich nicht zurückbleiben kann, ohne meine
Würde zu schänden, ohne meine Vernunft zu verleug-
nen, ohne mich der Vorrechte eines unsterblichen, zu
einem höhern Leben berufenen Geschöpfs unwürdig zu
machen!

O ferne sey es von mir, diesen meinen Ruf
zur Unsterblichkeit aus Leichtsinn zu verhören, oder
mir falsche und verkehrte Begriffe davon zu machen.
Es wäre Leichtsinn, wenn ich den Zusammenhang des
gegenwärtigen und zukünftigen Lebens verkennen und
mir beyde als von einander abgesondert vorstellen
wollte. Es wäre unverzeihlicher, mein Christenthum
entehrender Leichtsinn, wenn ich ohne Tugend, ohne
gute Gesinnungen, ohne eine Fertigkeit im Recht und
Wohlthun erlangt zu haben, wenn ich bey einem bö-
sen, menschenfeindlichen, neidischen, boshaften,
schadenfrohen Herzen auf die Freuden und Seligkeiten
des Himmels Ansprüche zu haben glaubte. Es wäre
Leichtsinn, wenn ich mir dereinst von solchen Dingen
Vergnügen verspräche, die mir hier kein Vergnügen
gewähren konnten, wenn ich einst an solchen Beschäff-
tigungen Geschmack zu finden hoffte, woran ich itzt
keinen fand, wenn ich ohne wahre, wirksame Liebe
zu dir, zu meinen Mitmenschen und zur Tugend auf
die Freuden und Belohnungen jenes Lebens rechnete.
Es wäre strafbarer, dem Geiste der Religion wider-
sprechender Leichtsinn, wenn ich durch Ceremonien und
Feyerlichkeiten und blos durch äussere Religions- und
Andachtsübungen dir wohlgefällig werden, oder durch
diese Dinge den Mangel der Tugend und Rechtschaf-

fenheit

Entſagung des Leichtſinns.
drigen, da ich nicht zurückbleiben kann, ohne meine
Würde zu ſchänden, ohne meine Vernunft zu verleug-
nen, ohne mich der Vorrechte eines unſterblichen, zu
einem höhern Leben berufenen Geſchöpfs unwürdig zu
machen!

O ferne ſey es von mir, dieſen meinen Ruf
zur Unſterblichkeit aus Leichtſinn zu verhören, oder
mir falſche und verkehrte Begriffe davon zu machen.
Es wäre Leichtſinn, wenn ich den Zuſammenhang des
gegenwärtigen und zukünftigen Lebens verkennen und
mir beyde als von einander abgeſondert vorſtellen
wollte. Es wäre unverzeihlicher, mein Chriſtenthum
entehrender Leichtſinn, wenn ich ohne Tugend, ohne
gute Geſinnungen, ohne eine Fertigkeit im Recht und
Wohlthun erlangt zu haben, wenn ich bey einem bö-
ſen, menſchenfeindlichen, neidiſchen, boshaften,
ſchadenfrohen Herzen auf die Freuden und Seligkeiten
des Himmels Anſprüche zu haben glaubte. Es wäre
Leichtſinn, wenn ich mir dereinſt von ſolchen Dingen
Vergnügen verſpräche, die mir hier kein Vergnügen
gewähren konnten, wenn ich einſt an ſolchen Beſchäff-
tigungen Geſchmack zu finden hoffte, woran ich itzt
keinen fand, wenn ich ohne wahre, wirkſame Liebe
zu dir, zu meinen Mitmenſchen und zur Tugend auf
die Freuden und Belohnungen jenes Lebens rechnete.
Es wäre ſtrafbarer, dem Geiſte der Religion wider-
ſprechender Leichtſinn, wenn ich durch Ceremonien und
Feyerlichkeiten und blos durch äuſſere Religions- und
Andachtsübungen dir wohlgefällig werden, oder durch
dieſe Dinge den Mangel der Tugend und Rechtſchaf-

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[128/0140] Entſagung des Leichtſinns. drigen, da ich nicht zurückbleiben kann, ohne meine Würde zu ſchänden, ohne meine Vernunft zu verleug- nen, ohne mich der Vorrechte eines unſterblichen, zu einem höhern Leben berufenen Geſchöpfs unwürdig zu machen! O ferne ſey es von mir, dieſen meinen Ruf zur Unſterblichkeit aus Leichtſinn zu verhören, oder mir falſche und verkehrte Begriffe davon zu machen. Es wäre Leichtſinn, wenn ich den Zuſammenhang des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens verkennen und mir beyde als von einander abgeſondert vorſtellen wollte. Es wäre unverzeihlicher, mein Chriſtenthum entehrender Leichtſinn, wenn ich ohne Tugend, ohne gute Geſinnungen, ohne eine Fertigkeit im Recht und Wohlthun erlangt zu haben, wenn ich bey einem bö- ſen, menſchenfeindlichen, neidiſchen, boshaften, ſchadenfrohen Herzen auf die Freuden und Seligkeiten des Himmels Anſprüche zu haben glaubte. Es wäre Leichtſinn, wenn ich mir dereinſt von ſolchen Dingen Vergnügen verſpräche, die mir hier kein Vergnügen gewähren konnten, wenn ich einſt an ſolchen Beſchäff- tigungen Geſchmack zu finden hoffte, woran ich itzt keinen fand, wenn ich ohne wahre, wirkſame Liebe zu dir, zu meinen Mitmenſchen und zur Tugend auf die Freuden und Belohnungen jenes Lebens rechnete. Es wäre ſtrafbarer, dem Geiſte der Religion wider- ſprechender Leichtſinn, wenn ich durch Ceremonien und Feyerlichkeiten und blos durch äuſſere Religions- und Andachtsübungen dir wohlgefällig werden, oder durch dieſe Dinge den Mangel der Tugend und Rechtſchaf- fenheit

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/140>, abgerufen am 27.11.2024.