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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Entwickelung der Art vorgebildet sei. Ursache und
Wirkung sind also Gedankendinge von ökonomischer
Function. Auf die Frage, warum sie entstehen, lässt
sich keine Antwort geben. Denn eben durch die Ab-
straction von Gleichförmigkeiten erlernen wir erst die
Frage "warum".

4. Fassen wir die Einzelheiten der Wissenschaft ins
Auge, so tritt ihr ökonomischer Charakter noch mehr
hervor. Die sogenannten beschreibenden Wissenschaften
müssen sich vielfach damit begnügen, einzelne That-
sachen nachzubilden. Wo es angeht wird das Gemein-
same mehrerer Thatsachen ein für allemal herausge-
hoben. Bei höher entwickelten Wissenschaften gelingt
es, die Nachbildungsanweisung für sehr viele Thatsachen
in einen einzigen Ausdruck zu fassen. Statt z. B. die
verschiedenen vorkommenden Fälle der Lichtbrechung
uns einzeln zu merken, können wir alle vorkommenden
sofort nachbilden oder vorbilden, wenn wir wissen, dass
der einfallende, der gebrochene Strahl und das Loth
in einer Ebene liegen und [Formel 1] ist. Wir haben
dann statt der unzähligen Brechungsfälle bei ver-
schiedenen Stoffcombinationen und Einfallswinkeln nur
diese Anweisung und die Werthe der n zu merken,
was viel leichter angeht. Die ökonomische Tendenz
ist hier unverkennbar. In der Natur gibt es auch kein
Brechungsgesetz, sondern nur verschiedene Fälle der
Brechung. Das Brechungsgesetz ist eine zusammen-
fassende concentrirte Nachbildungsanweisung für uns,
und zwar nur bezüglich der geometrischen Seite der
Thatsache.

5. Am weitesten nach der ökonomischen Seite sind
die Wissenschaften entwickelt, deren Thatsachen sich
in nur wenige gleichartige abzählbare Elemente zer-
legen lassen, wie z. B. die Mechanik, in welcher wir
nur mit Räumen, Zeiten, Massen zu thun haben. Die
ganze vorgebildete Oekonomie der Mathematik kommt
diesen Wissenschaften zugute. Die Mathematik ist eine

Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Entwickelung der Art vorgebildet sei. Ursache und
Wirkung sind also Gedankendinge von ökonomischer
Function. Auf die Frage, warum sie entstehen, lässt
sich keine Antwort geben. Denn eben durch die Ab-
straction von Gleichförmigkeiten erlernen wir erst die
Frage „warum‟.

4. Fassen wir die Einzelheiten der Wissenschaft ins
Auge, so tritt ihr ökonomischer Charakter noch mehr
hervor. Die sogenannten beschreibenden Wissenschaften
müssen sich vielfach damit begnügen, einzelne That-
sachen nachzubilden. Wo es angeht wird das Gemein-
same mehrerer Thatsachen ein für allemal herausge-
hoben. Bei höher entwickelten Wissenschaften gelingt
es, die Nachbildungsanweisung für sehr viele Thatsachen
in einen einzigen Ausdruck zu fassen. Statt z. B. die
verschiedenen vorkommenden Fälle der Lichtbrechung
uns einzeln zu merken, können wir alle vorkommenden
sofort nachbilden oder vorbilden, wenn wir wissen, dass
der einfallende, der gebrochene Strahl und das Loth
in einer Ebene liegen und [Formel 1] ist. Wir haben
dann statt der unzähligen Brechungsfälle bei ver-
schiedenen Stoffcombinationen und Einfallswinkeln nur
diese Anweisung und die Werthe der n zu merken,
was viel leichter angeht. Die ökonomische Tendenz
ist hier unverkennbar. In der Natur gibt es auch kein
Brechungsgesetz, sondern nur verschiedene Fälle der
Brechung. Das Brechungsgesetz ist eine zusammen-
fassende concentrirte Nachbildungsanweisung für uns,
und zwar nur bezüglich der geometrischen Seite der
Thatsache.

5. Am weitesten nach der ökonomischen Seite sind
die Wissenschaften entwickelt, deren Thatsachen sich
in nur wenige gleichartige abzählbare Elemente zer-
legen lassen, wie z. B. die Mechanik, in welcher wir
nur mit Räumen, Zeiten, Massen zu thun haben. Die
ganze vorgebildete Oekonomie der Mathematik kommt
diesen Wissenschaften zugute. Die Mathematik ist eine

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[457/0469] Die formelle Entwickelung der Mechanik. Entwickelung der Art vorgebildet sei. Ursache und Wirkung sind also Gedankendinge von ökonomischer Function. Auf die Frage, warum sie entstehen, lässt sich keine Antwort geben. Denn eben durch die Ab- straction von Gleichförmigkeiten erlernen wir erst die Frage „warum‟. 4. Fassen wir die Einzelheiten der Wissenschaft ins Auge, so tritt ihr ökonomischer Charakter noch mehr hervor. Die sogenannten beschreibenden Wissenschaften müssen sich vielfach damit begnügen, einzelne That- sachen nachzubilden. Wo es angeht wird das Gemein- same mehrerer Thatsachen ein für allemal herausge- hoben. Bei höher entwickelten Wissenschaften gelingt es, die Nachbildungsanweisung für sehr viele Thatsachen in einen einzigen Ausdruck zu fassen. Statt z. B. die verschiedenen vorkommenden Fälle der Lichtbrechung uns einzeln zu merken, können wir alle vorkommenden sofort nachbilden oder vorbilden, wenn wir wissen, dass der einfallende, der gebrochene Strahl und das Loth in einer Ebene liegen und [FORMEL] ist. Wir haben dann statt der unzähligen Brechungsfälle bei ver- schiedenen Stoffcombinationen und Einfallswinkeln nur diese Anweisung und die Werthe der n zu merken, was viel leichter angeht. Die ökonomische Tendenz ist hier unverkennbar. In der Natur gibt es auch kein Brechungsgesetz, sondern nur verschiedene Fälle der Brechung. Das Brechungsgesetz ist eine zusammen- fassende concentrirte Nachbildungsanweisung für uns, und zwar nur bezüglich der geometrischen Seite der Thatsache. 5. Am weitesten nach der ökonomischen Seite sind die Wissenschaften entwickelt, deren Thatsachen sich in nur wenige gleichartige abzählbare Elemente zer- legen lassen, wie z. B. die Mechanik, in welcher wir nur mit Räumen, Zeiten, Massen zu thun haben. Die ganze vorgebildete Oekonomie der Mathematik kommt diesen Wissenschaften zugute. Die Mathematik ist eine

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/469>, abgerufen am 23.11.2024.