Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel.
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was
er versteht.

2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so
bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach,
sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig
ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar
oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor-
gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab-
stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer
Zug aus.

Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge-
gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst
aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her-
aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und
die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten
Worte sind Namen für "Dinge". Hierin liegt schon ein
Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort-
währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com-
plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht
beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver-
änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der
Name ein Symbol für einen Complex von Elementen,
von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den
ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol
bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben,
alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu
rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese
Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu-
gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht
zum "Ding an sich" und ähnlichen widerspruchsvollen
Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind
auch keine "Symbole der Dinge". Vielmehr ist das "Ding"
ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von
relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern
Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn-
lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente
der Welt.

Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen

Viertes Kapitel.
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was
er versteht.

2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so
bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach,
sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig
ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar
oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor-
gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab-
stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer
Zug aus.

Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge-
gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst
aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her-
aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und
die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten
Worte sind Namen für „Dinge‟. Hierin liegt schon ein
Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort-
währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com-
plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht
beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver-
änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der
Name ein Symbol für einen Complex von Elementen,
von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den
ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol
bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben,
alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu
rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese
Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu-
gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht
zum „Ding an sich‟ und ähnlichen widerspruchsvollen
Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind
auch keine „Symbole der Dinge‟. Vielmehr ist das „Ding‟
ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von
relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern
Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn-
lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente
der Welt.

Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0466" n="454"/><fw place="top" type="header">Viertes Kapitel.</fw><lb/>
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was<lb/>
er versteht.</p><lb/>
          <p>2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so<lb/>
bilden wir niemals die Thatsachen <hi rendition="#g">überhaupt</hi> nach,<lb/>
sondern nur nach jener Seite, welche für uns <hi rendition="#g">wichtig</hi><lb/>
ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar<lb/>
oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor-<lb/>
gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab-<lb/>
stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer<lb/>
Zug aus.</p><lb/>
          <p>Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge-<lb/>
gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst<lb/>
aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her-<lb/>
aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und<lb/>
die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten<lb/>
Worte sind Namen für &#x201E;Dinge&#x201F;. Hierin liegt schon ein<lb/>
Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort-<lb/>
währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com-<lb/>
plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht<lb/>
beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver-<lb/>
änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der<lb/>
Name ein Symbol für einen <hi rendition="#g">Complex</hi> von Elementen,<lb/>
von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den<lb/>
ganzen Complex durch <hi rendition="#g">ein</hi> Wort, durch <hi rendition="#g">ein</hi> Symbol<lb/>
bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben,<lb/>
alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu<lb/>
rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese<lb/>
Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu-<lb/>
gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht<lb/>
zum &#x201E;Ding an sich&#x201F; und ähnlichen widerspruchsvollen<lb/>
Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind<lb/>
auch keine &#x201E;Symbole der Dinge&#x201F;. Vielmehr ist das &#x201E;Ding&#x201F;<lb/>
ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von<lb/>
relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern<lb/>
Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn-<lb/>
lich Empfindungen nennen) sind eigentliche <hi rendition="#g">Elemente</hi><lb/>
der Welt.</p><lb/>
          <p>Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0466] Viertes Kapitel. sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was er versteht. 2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach, sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor- gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab- stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer Zug aus. Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge- gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her- aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten Worte sind Namen für „Dinge‟. Hierin liegt schon ein Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort- währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com- plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver- änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der Name ein Symbol für einen Complex von Elementen, von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben, alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu- gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht zum „Ding an sich‟ und ähnlichen widerspruchsvollen Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind auch keine „Symbole der Dinge‟. Vielmehr ist das „Ding‟ ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn- lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente der Welt. Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/466
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/466>, abgerufen am 27.11.2024.