Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.Die formelle Entwickelung der Mechanik. die Religion fast die einzige Bildung, also auch dieeinzige Weltanschauung ist, nothwendig die Meinung besteht, dass alles theologisch zu betrachten sei, und dass diese Betrachtungsweise auch überall ausreichen müsse. Versetzen wir uns in die Zeit, da man mit der Faust die Orgel schlug, da man das Einmaleins schrift- lich vor sich haben musste, wenn man rechnen wollte, da man so manches mit der Faust verrichtete, was man heute mit dem Kopfe thut, so werden wir von einer solchen Zeit nicht verlangen, dass sie gegen ihre eigenen Ansichten kritisch zu Werke gehe. Mit der Erweiterung des Gesichtskreises durch die grossen geographischen, technischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts, mit der Auffindung von Gebieten, auf welchen mit dieser An- schauung nicht auszukommen war, weil dieselbe vor Kenntniss dieser Gebiete sich gebildet hatte, weicht all- mählich und langsam dieses Vorurtheil. Schwerverständ- lich bleibt immer die grosse Freiheit des Denkens, die im frühen Mittelalter vereinzelt, zuerst bei Dichtern, dann bei Forschern auftritt. Die Aufklärung muss da- mals das Werk einzelner ganz ungewöhnlicher Menschen gewesen sein, und nur an ganz dünnen Fäden mit den Anschauungen des Volkes zusammengehangen haben, mehr geeignet, an diesen Anschauungen zu zerren, und sie zu beunruhigen, als dieselben umzugestalten. Erst in der Literatur des 18. Jahrhunderts scheint die Auf- klärung einen breitern Boden zu gewinnen. Huma- nistische, philosophische, historische und Naturwissen- schaften berühren sich da, und ermuthigen sich gegen- seitig zu freierm Denken. Jeder, der diesen Aufschwung und diese Befreiung auch nur zum Theil durch die Literatur miterlebt hat, wird lebenslänglich ein ele- gisches Heimweh empfinden nach dem 18. Jahrhundert. 7. Der alte Standpunkt ist also aufgegeben. Nur Die formelle Entwickelung der Mechanik. die Religion fast die einzige Bildung, also auch dieeinzige Weltanschauung ist, nothwendig die Meinung besteht, dass alles theologisch zu betrachten sei, und dass diese Betrachtungsweise auch überall ausreichen müsse. Versetzen wir uns in die Zeit, da man mit der Faust die Orgel schlug, da man das Einmaleins schrift- lich vor sich haben musste, wenn man rechnen wollte, da man so manches mit der Faust verrichtete, was man heute mit dem Kopfe thut, so werden wir von einer solchen Zeit nicht verlangen, dass sie gegen ihre eigenen Ansichten kritisch zu Werke gehe. Mit der Erweiterung des Gesichtskreises durch die grossen geographischen, technischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts, mit der Auffindung von Gebieten, auf welchen mit dieser An- schauung nicht auszukommen war, weil dieselbe vor Kenntniss dieser Gebiete sich gebildet hatte, weicht all- mählich und langsam dieses Vorurtheil. Schwerverständ- lich bleibt immer die grosse Freiheit des Denkens, die im frühen Mittelalter vereinzelt, zuerst bei Dichtern, dann bei Forschern auftritt. Die Aufklärung muss da- mals das Werk einzelner ganz ungewöhnlicher Menschen gewesen sein, und nur an ganz dünnen Fäden mit den Anschauungen des Volkes zusammengehangen haben, mehr geeignet, an diesen Anschauungen zu zerren, und sie zu beunruhigen, als dieselben umzugestalten. Erst in der Literatur des 18. Jahrhunderts scheint die Auf- klärung einen breitern Boden zu gewinnen. Huma- nistische, philosophische, historische und Naturwissen- schaften berühren sich da, und ermuthigen sich gegen- seitig zu freierm Denken. Jeder, der diesen Aufschwung und diese Befreiung auch nur zum Theil durch die Literatur miterlebt hat, wird lebenslänglich ein ele- gisches Heimweh empfinden nach dem 18. Jahrhundert. 7. Der alte Standpunkt ist also aufgegeben. Nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0443" n="431"/><fw place="top" type="header">Die formelle Entwickelung der Mechanik.</fw><lb/> die Religion fast die einzige Bildung, also auch die<lb/> einzige Weltanschauung ist, nothwendig die Meinung<lb/> besteht, dass alles theologisch zu betrachten sei, und<lb/> dass diese Betrachtungsweise auch überall ausreichen<lb/> müsse. 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Die formelle Entwickelung der Mechanik.
die Religion fast die einzige Bildung, also auch die
einzige Weltanschauung ist, nothwendig die Meinung
besteht, dass alles theologisch zu betrachten sei, und
dass diese Betrachtungsweise auch überall ausreichen
müsse. Versetzen wir uns in die Zeit, da man mit der
Faust die Orgel schlug, da man das Einmaleins schrift-
lich vor sich haben musste, wenn man rechnen wollte,
da man so manches mit der Faust verrichtete, was man
heute mit dem Kopfe thut, so werden wir von einer
solchen Zeit nicht verlangen, dass sie gegen ihre eigenen
Ansichten kritisch zu Werke gehe. Mit der Erweiterung
des Gesichtskreises durch die grossen geographischen,
technischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen
und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts, mit der
Auffindung von Gebieten, auf welchen mit dieser An-
schauung nicht auszukommen war, weil dieselbe vor
Kenntniss dieser Gebiete sich gebildet hatte, weicht all-
mählich und langsam dieses Vorurtheil. Schwerverständ-
lich bleibt immer die grosse Freiheit des Denkens, die
im frühen Mittelalter vereinzelt, zuerst bei Dichtern,
dann bei Forschern auftritt. Die Aufklärung muss da-
mals das Werk einzelner ganz ungewöhnlicher Menschen
gewesen sein, und nur an ganz dünnen Fäden mit den
Anschauungen des Volkes zusammengehangen haben,
mehr geeignet, an diesen Anschauungen zu zerren, und
sie zu beunruhigen, als dieselben umzugestalten. Erst
in der Literatur des 18. Jahrhunderts scheint die Auf-
klärung einen breitern Boden zu gewinnen. Huma-
nistische, philosophische, historische und Naturwissen-
schaften berühren sich da, und ermuthigen sich gegen-
seitig zu freierm Denken. Jeder, der diesen Aufschwung
und diese Befreiung auch nur zum Theil durch die
Literatur miterlebt hat, wird lebenslänglich ein ele-
gisches Heimweh empfinden nach dem 18. Jahrhundert.
7. Der alte Standpunkt ist also aufgegeben. Nur
an der Form der Sätze der Mechanik erkennt man noch
deren Geschichte. Diese Form bleibt auch so lange
befremdlich, als man ihren Ursprung nicht berücksich-
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