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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Viertes Kapitel.
scharf kritisirt worden in seiner "Histoire du docteur
Akakia", welche bekanntlich den Bruch zwischen Fried-
rich und Voltaire herbeigeführt hat.

Maupertuis' Princip wäre wol bald wieder vom
Schauplatz verschwunden, allein Euler benutzte die
Anregung. Er liess als wahrhaft bedeutender Mensch
dem Princip den Namen, Maupertuis den Ruhm der
Erfindung, und machte ein neues wirklich brauchbares
Princip daraus. Was Maupertuis meinte, lässt sich
schwer ganz klar machen. Was Euler meint, kann man
an einfachen Beispielen leicht zeigen. Wenn ein Körper
gezwungen ist, auf einer festen Fläche, z. B. der Erd-
oberfläche, zu bleiben, so bewegt er sich auf einen An-
stoss hin so, dass er zwischen seiner Anfangs- und
Endlage den kürzesten Weg nimmt. Jeder andere Weg,
den man ihm vorschriebe, würde länger sein und mehr
Zeit erfordern. Das Princip findet Anwendung in der
Theorie der Luft- und Wasserströmungen auf der Erd-
oberfläche. Den theologischen Standpunkt hat Euler
beibehalten. Er spricht sich dahin aus, dass man nicht
allein aus den physikalischen Ursachen, sondern auch
aus dem Zweck die Erscheinungen erklären könne.
"Da nämlich die Einrichtung der ganzen Welt die vor-
züglichste ist, und da sie von dem weisesten Schöpfer
herstammt, wird nichts in der Welt angetroffen, woraus
nicht irgendeine Maximum- oder Minimumeigenschaft her-
vorleuchtete; deshalb kann kein Zweifel bestehen, dass
alle Wirkungen in der Welt ebensowol durch die Methode
der Maxima und Minima aus den Zwecken wie aus den
wirkenden Ursachen selbst abgeleitet werden können."1

5. Auch die Vorstellungen von der Unveränderlich-
keit der Menge der Materie, von der Unveränderlich-

1 Quum enim mundi universi fabrica sit perfectissima,
atque a creatore sapientissimo absoluta, nihil omnino in
mundo contingit, in quo non maximi minimive ratio quae-
piam eluceat; quam ob rem dubium prorsus est nullum,
quin omnes mundi effectus ex causis finalibus, ope methodi
maximorum et minimorum, aeque feliciter determinari quae-

Viertes Kapitel.
scharf kritisirt worden in seiner „Histoire du docteur
Akakia‟, welche bekanntlich den Bruch zwischen Fried-
rich und Voltaire herbeigeführt hat.

Maupertuis’ Princip wäre wol bald wieder vom
Schauplatz verschwunden, allein Euler benutzte die
Anregung. Er liess als wahrhaft bedeutender Mensch
dem Princip den Namen, Maupertuis den Ruhm der
Erfindung, und machte ein neues wirklich brauchbares
Princip daraus. Was Maupertuis meinte, lässt sich
schwer ganz klar machen. Was Euler meint, kann man
an einfachen Beispielen leicht zeigen. Wenn ein Körper
gezwungen ist, auf einer festen Fläche, z. B. der Erd-
oberfläche, zu bleiben, so bewegt er sich auf einen An-
stoss hin so, dass er zwischen seiner Anfangs- und
Endlage den kürzesten Weg nimmt. Jeder andere Weg,
den man ihm vorschriebe, würde länger sein und mehr
Zeit erfordern. Das Princip findet Anwendung in der
Theorie der Luft- und Wasserströmungen auf der Erd-
oberfläche. Den theologischen Standpunkt hat Euler
beibehalten. Er spricht sich dahin aus, dass man nicht
allein aus den physikalischen Ursachen, sondern auch
aus dem Zweck die Erscheinungen erklären könne.
„Da nämlich die Einrichtung der ganzen Welt die vor-
züglichste ist, und da sie von dem weisesten Schöpfer
herstammt, wird nichts in der Welt angetroffen, woraus
nicht irgendeine Maximum- oder Minimumeigenschaft her-
vorleuchtete; deshalb kann kein Zweifel bestehen, dass
alle Wirkungen in der Welt ebensowol durch die Methode
der Maxima und Minima aus den Zwecken wie aus den
wirkenden Ursachen selbst abgeleitet werden können.‟1

5. Auch die Vorstellungen von der Unveränderlich-
keit der Menge der Materie, von der Unveränderlich-

1 Quum enim mundi universi fabrica sit perfectissima,
atque a creatore sapientissimo absoluta, nihil omnino in
mundo contingit, in quo non maximi minimive ratio quae-
piam eluceat; quam ob rem dubium prorsus est nullum,
quin omnes mundi effectus ex causis finalibus, ope methodi
maximorum et minimorum, aeque feliciter determinari quae-
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[428/0440] Viertes Kapitel. scharf kritisirt worden in seiner „Histoire du docteur Akakia‟, welche bekanntlich den Bruch zwischen Fried- rich und Voltaire herbeigeführt hat. Maupertuis’ Princip wäre wol bald wieder vom Schauplatz verschwunden, allein Euler benutzte die Anregung. Er liess als wahrhaft bedeutender Mensch dem Princip den Namen, Maupertuis den Ruhm der Erfindung, und machte ein neues wirklich brauchbares Princip daraus. Was Maupertuis meinte, lässt sich schwer ganz klar machen. Was Euler meint, kann man an einfachen Beispielen leicht zeigen. Wenn ein Körper gezwungen ist, auf einer festen Fläche, z. B. der Erd- oberfläche, zu bleiben, so bewegt er sich auf einen An- stoss hin so, dass er zwischen seiner Anfangs- und Endlage den kürzesten Weg nimmt. Jeder andere Weg, den man ihm vorschriebe, würde länger sein und mehr Zeit erfordern. Das Princip findet Anwendung in der Theorie der Luft- und Wasserströmungen auf der Erd- oberfläche. Den theologischen Standpunkt hat Euler beibehalten. Er spricht sich dahin aus, dass man nicht allein aus den physikalischen Ursachen, sondern auch aus dem Zweck die Erscheinungen erklären könne. „Da nämlich die Einrichtung der ganzen Welt die vor- züglichste ist, und da sie von dem weisesten Schöpfer herstammt, wird nichts in der Welt angetroffen, woraus nicht irgendeine Maximum- oder Minimumeigenschaft her- vorleuchtete; deshalb kann kein Zweifel bestehen, dass alle Wirkungen in der Welt ebensowol durch die Methode der Maxima und Minima aus den Zwecken wie aus den wirkenden Ursachen selbst abgeleitet werden können.‟ 1 5. Auch die Vorstellungen von der Unveränderlich- keit der Menge der Materie, von der Unveränderlich- 1 Quum enim mundi universi fabrica sit perfectissima, atque a creatore sapientissimo absoluta, nihil omnino in mundo contingit, in quo non maximi minimive ratio quae- piam eluceat; quam ob rem dubium prorsus est nullum, quin omnes mundi effectus ex causis finalibus, ope methodi maximorum et minimorum, aeque feliciter determinari quae-

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/440>, abgerufen am 27.11.2024.