er zu sagen, so könne er denselben nur bei den Lehren des Christenthums finden, und alle Weisheit der Welt könne ihm nichts nützen. Dass er es mit der Bekeh- rung der Ketzer aufrichtig meinte, zeigen seine "Lettres provinciales", in welchem er gegen die horrenden Spitz- findigkeiten eiferte, die von den Doctoren der Sorbonne eigens erfunden worden waren, um die Jansenisten zu verfolgen. Sehr merkwürdig ist Pascal's Briefwechsel mit verschiedenen Theologen, und wir erstaunen nicht wenig, wenn Pascal in einem dieser Briefe ganz ernsthaft die Frage discutirt, ob der Teufel auch Wunder wirken könne.
Otto von Guericke, der Erfinder der Luftpumpe, be- schäftigt sich gleich zu Anfang seines vor kaum 200 Jahren verfassten Buches mit dem Wunder des Josua, welches er mit dem Kopernicanischen System in Einklang zu bringen sucht. Und vor den Untersuchungen über den leeren Raum und über die Natur der Luft finden wir Fragen über den Ort des Himmels, über den Ort der Hölle u. s. w. Wenn Guericke auch alle diese Fragen möglichst vernünftig zu beantworten sucht, so sieht man doch, was sie ihm zu schaffen machen, die- selben Fragen, die heute ein gebildeter Theologe nicht einmal aufwerfen wird. Und in Guericke haben wir einen Mann nach der Reformation vor uns!
Auch Newton verschmähte es nicht, sich mit der Er- klärung der Apokalypse zu beschäftigen. Es war in solchen Dingen schwer mit ihm zu sprechen. Als Halley sich einmal einen Scherz über theologische Discussionen erlaubte, soll er ihn kurz mit der Bemerkung abgewiesen haben: "Ich habe diese Dinge studirt, Sie nicht!"
Bei Leibnitz, dem Erfinder der besten Welt und der prästabilirten Harmonie, welche Erfindung in Voltaire's anscheinend komischem, in Wirklichkeit aber tief ernstem philosophischen Roman "Candide" ihre gebührende Ab- fertigung gefunden hat, brauchen wir nicht zu ver- weilen. Er war bekanntlich fast ebenso sehr Theologe als Philosoph und Naturforscher.
Wenden wir uns an einen Mann des vorigen Jahr-
Viertes Kapitel.
er zu sagen, so könne er denselben nur bei den Lehren des Christenthums finden, und alle Weisheit der Welt könne ihm nichts nützen. Dass er es mit der Bekeh- rung der Ketzer aufrichtig meinte, zeigen seine „Lettres provinciales‟, in welchem er gegen die horrenden Spitz- findigkeiten eiferte, die von den Doctoren der Sorbonne eigens erfunden worden waren, um die Jansenisten zu verfolgen. Sehr merkwürdig ist Pascal’s Briefwechsel mit verschiedenen Theologen, und wir erstaunen nicht wenig, wenn Pascal in einem dieser Briefe ganz ernsthaft die Frage discutirt, ob der Teufel auch Wunder wirken könne.
Otto von Guericke, der Erfinder der Luftpumpe, be- schäftigt sich gleich zu Anfang seines vor kaum 200 Jahren verfassten Buches mit dem Wunder des Josua, welches er mit dem Kopernicanischen System in Einklang zu bringen sucht. Und vor den Untersuchungen über den leeren Raum und über die Natur der Luft finden wir Fragen über den Ort des Himmels, über den Ort der Hölle u. s. w. Wenn Guericke auch alle diese Fragen möglichst vernünftig zu beantworten sucht, so sieht man doch, was sie ihm zu schaffen machen, die- selben Fragen, die heute ein gebildeter Theologe nicht einmal aufwerfen wird. Und in Guericke haben wir einen Mann nach der Reformation vor uns!
Auch Newton verschmähte es nicht, sich mit der Er- klärung der Apokalypse zu beschäftigen. Es war in solchen Dingen schwer mit ihm zu sprechen. Als Halley sich einmal einen Scherz über theologische Discussionen erlaubte, soll er ihn kurz mit der Bemerkung abgewiesen haben: „Ich habe diese Dinge studirt, Sie nicht!‟
Bei Leibnitz, dem Erfinder der besten Welt und der prästabilirten Harmonie, welche Erfindung in Voltaire’s anscheinend komischem, in Wirklichkeit aber tief ernstem philosophischen Roman „Candide‟ ihre gebührende Ab- fertigung gefunden hat, brauchen wir nicht zu ver- weilen. Er war bekanntlich fast ebenso sehr Theologe als Philosoph und Naturforscher.
Wenden wir uns an einen Mann des vorigen Jahr-
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[422/0434]
Viertes Kapitel.
er zu sagen, so könne er denselben nur bei den Lehren
des Christenthums finden, und alle Weisheit der Welt
könne ihm nichts nützen. Dass er es mit der Bekeh-
rung der Ketzer aufrichtig meinte, zeigen seine „Lettres
provinciales‟, in welchem er gegen die horrenden Spitz-
findigkeiten eiferte, die von den Doctoren der Sorbonne
eigens erfunden worden waren, um die Jansenisten zu
verfolgen. Sehr merkwürdig ist Pascal’s Briefwechsel mit
verschiedenen Theologen, und wir erstaunen nicht wenig,
wenn Pascal in einem dieser Briefe ganz ernsthaft die
Frage discutirt, ob der Teufel auch Wunder wirken könne.
Otto von Guericke, der Erfinder der Luftpumpe, be-
schäftigt sich gleich zu Anfang seines vor kaum 200
Jahren verfassten Buches mit dem Wunder des Josua,
welches er mit dem Kopernicanischen System in Einklang
zu bringen sucht. Und vor den Untersuchungen über
den leeren Raum und über die Natur der Luft finden
wir Fragen über den Ort des Himmels, über den Ort
der Hölle u. s. w. Wenn Guericke auch alle diese
Fragen möglichst vernünftig zu beantworten sucht, so
sieht man doch, was sie ihm zu schaffen machen, die-
selben Fragen, die heute ein gebildeter Theologe nicht
einmal aufwerfen wird. Und in Guericke haben wir
einen Mann nach der Reformation vor uns!
Auch Newton verschmähte es nicht, sich mit der Er-
klärung der Apokalypse zu beschäftigen. Es war in
solchen Dingen schwer mit ihm zu sprechen. Als Halley
sich einmal einen Scherz über theologische Discussionen
erlaubte, soll er ihn kurz mit der Bemerkung abgewiesen
haben: „Ich habe diese Dinge studirt, Sie nicht!‟
Bei Leibnitz, dem Erfinder der besten Welt und der
prästabilirten Harmonie, welche Erfindung in Voltaire’s
anscheinend komischem, in Wirklichkeit aber tief ernstem
philosophischen Roman „Candide‟ ihre gebührende Ab-
fertigung gefunden hat, brauchen wir nicht zu ver-
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/434>, abgerufen am 15.08.2024.
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