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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Viertes Kapitel.
Heron'sche Reflexionsgesetz stellt sich nun, wie Leibnitz
bemerkt, als ein specieller Fall des Brechungsgesetzes
dar. Für gleiche Geschwindigkeiten v1 = v2 wird näm-
lich die Bedingung des Zeitminimums mit der Bedingung
des Wegminimums identisch.

Huyghens hat bei seinen optischen Untersuchungen
die Ideen von Fermat festgehalten und ausgebildet, in-
dem er nicht nur geradlinige, sondern auch krumm-
linige Lichtbewegungen in Medien von continuirlich
von Stelle zu Stelle variirender Lichtgeschwindigkeit
betrachtet, und auch für diese das Fermat'sche Gesetz
als gültig erkannt hat. In allen Lichtbewegungen
schien sich somit bei aller Mannichfaltigkeit als Grund-
zug das Bestreben nach einem Minimum von Zeit-
aufwand
auszusprechen.

3. Aehnliche Maximum- oder Minimumeigenschaften
zeigten sich auch bei Betrachtung mechanischer Natur-
vorgänge. Wie schon bei einer andern Gelegenheit er-
wähnt wurde, war es Johann Bernoulli bekannt, dass
eine frei aufgehängte Kette diejenige Form annimmt,
für welche der Schwerpunkt der Kette möglichst tief
zu liegen kommt. Diese Einsicht lag natürlich dem
Forscher sehr nahe, der zuerst die allgemeine Bedeu-
tung des Satzes der virtuellen Verschiebungen erkannte.
Durch diese Bemerkungen angeregt, fing man überhaupt
an, Maximum-Minimumeigenschaften genauer zu unter-
suchen. Den mächtigsten Anstoss erhielt die bezeichnete
wissenschaftliche Bewegung durch das von Johann Ber-
noulli aufgestellte Problem der Brachystochrone.
In einer Verticalebene liegen zwei Punkte A, B. Es soll
diejenige Curve in dieser Ebene angegeben werden,
durch welche ein Körper, der auf derselben zu bleiben
gezwungen ist, in der kürzesten Zeit von A nach B
fällt. Die Aufgabe wurde in sehr geistreicher Weise
von Johann Bernoulli selbst, ausserdem aber noch von
Leibnitz, L'Hopital, Newton und Jakob Bernoulli gelöst.

Die merkwürdigste Lösung ist jene von Johann Ber-
noulli selbst. Er bemerkt, dass Aufgaben dieser Art

Viertes Kapitel.
Heron’sche Reflexionsgesetz stellt sich nun, wie Leibnitz
bemerkt, als ein specieller Fall des Brechungsgesetzes
dar. Für gleiche Geschwindigkeiten v1 = v2 wird näm-
lich die Bedingung des Zeitminimums mit der Bedingung
des Wegminimums identisch.

Huyghens hat bei seinen optischen Untersuchungen
die Ideen von Fermat festgehalten und ausgebildet, in-
dem er nicht nur geradlinige, sondern auch krumm-
linige Lichtbewegungen in Medien von continuirlich
von Stelle zu Stelle variirender Lichtgeschwindigkeit
betrachtet, und auch für diese das Fermat’sche Gesetz
als gültig erkannt hat. In allen Lichtbewegungen
schien sich somit bei aller Mannichfaltigkeit als Grund-
zug das Bestreben nach einem Minimum von Zeit-
aufwand
auszusprechen.

3. Aehnliche Maximum- oder Minimumeigenschaften
zeigten sich auch bei Betrachtung mechanischer Natur-
vorgänge. Wie schon bei einer andern Gelegenheit er-
wähnt wurde, war es Johann Bernoulli bekannt, dass
eine frei aufgehängte Kette diejenige Form annimmt,
für welche der Schwerpunkt der Kette möglichst tief
zu liegen kommt. Diese Einsicht lag natürlich dem
Forscher sehr nahe, der zuerst die allgemeine Bedeu-
tung des Satzes der virtuellen Verschiebungen erkannte.
Durch diese Bemerkungen angeregt, fing man überhaupt
an, Maximum-Minimumeigenschaften genauer zu unter-
suchen. Den mächtigsten Anstoss erhielt die bezeichnete
wissenschaftliche Bewegung durch das von Johann Ber-
noulli aufgestellte Problem der Brachystochrone.
In einer Verticalebene liegen zwei Punkte A, B. Es soll
diejenige Curve in dieser Ebene angegeben werden,
durch welche ein Körper, der auf derselben zu bleiben
gezwungen ist, in der kürzesten Zeit von A nach B
fällt. Die Aufgabe wurde in sehr geistreicher Weise
von Johann Bernoulli selbst, ausserdem aber noch von
Leibnitz, L’Hôpital, Newton und Jakob Bernoulli gelöst.

Die merkwürdigste Lösung ist jene von Johann Ber-
noulli selbst. Er bemerkt, dass Aufgaben dieser Art

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[400/0412] Viertes Kapitel. Heron’sche Reflexionsgesetz stellt sich nun, wie Leibnitz bemerkt, als ein specieller Fall des Brechungsgesetzes dar. Für gleiche Geschwindigkeiten v1 = v2 wird näm- lich die Bedingung des Zeitminimums mit der Bedingung des Wegminimums identisch. Huyghens hat bei seinen optischen Untersuchungen die Ideen von Fermat festgehalten und ausgebildet, in- dem er nicht nur geradlinige, sondern auch krumm- linige Lichtbewegungen in Medien von continuirlich von Stelle zu Stelle variirender Lichtgeschwindigkeit betrachtet, und auch für diese das Fermat’sche Gesetz als gültig erkannt hat. In allen Lichtbewegungen schien sich somit bei aller Mannichfaltigkeit als Grund- zug das Bestreben nach einem Minimum von Zeit- aufwand auszusprechen. 3. Aehnliche Maximum- oder Minimumeigenschaften zeigten sich auch bei Betrachtung mechanischer Natur- vorgänge. Wie schon bei einer andern Gelegenheit er- wähnt wurde, war es Johann Bernoulli bekannt, dass eine frei aufgehängte Kette diejenige Form annimmt, für welche der Schwerpunkt der Kette möglichst tief zu liegen kommt. Diese Einsicht lag natürlich dem Forscher sehr nahe, der zuerst die allgemeine Bedeu- tung des Satzes der virtuellen Verschiebungen erkannte. Durch diese Bemerkungen angeregt, fing man überhaupt an, Maximum-Minimumeigenschaften genauer zu unter- suchen. Den mächtigsten Anstoss erhielt die bezeichnete wissenschaftliche Bewegung durch das von Johann Ber- noulli aufgestellte Problem der Brachystochrone. In einer Verticalebene liegen zwei Punkte A, B. Es soll diejenige Curve in dieser Ebene angegeben werden, durch welche ein Körper, der auf derselben zu bleiben gezwungen ist, in der kürzesten Zeit von A nach B fällt. Die Aufgabe wurde in sehr geistreicher Weise von Johann Bernoulli selbst, ausserdem aber noch von Leibnitz, L’Hôpital, Newton und Jakob Bernoulli gelöst. Die merkwürdigste Lösung ist jene von Johann Ber- noulli selbst. Er bemerkt, dass Aufgaben dieser Art

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/412>, abgerufen am 23.11.2024.