Formen wir mit Hülfe der gewonnenen Anschauungen und unter den gegebenen Voraussetzungen die Glei- chung 1 für rechtwinkelige Coordinaten um, so erhalten wir
[Formel 1]
oder weil der Ausdruck links ein vollständiges Differential ist
[Formel 2]
wobei U1 eine Function der Endwerthe, U*dieselbe Function der Anfangswerthe der Coordinaten ist. Die Gleichung hat sehr viele Anwendungen erfahren, und drückt nur die Erkenntniss aus, dass unter den be- zeichneten Umständen die Arbeiten und demnach auch die lebendigen Kräfte nur von den Lagen oder Co- ordinaten der Körper abhängen.
Denkt man sich alle Massen fixirt, und nur eine einzige bewegt, so ändert sich die geleistete Arbeit nur nach Maassgabe von U. Die Gleichung U = const stellt eine sogenannte Niveaufläche (oder Fläche gleicher Arbeit) vor. Eine Bewegung in derselben führt keine Arbeitsleistung herbei.
7. Der Satz des kleinsten Zwanges.
1. Gauss hat (Crelle's "Journal für Mathematik", IV, 1829, S. 233) ein neues Gesetz der Mechanik, den Satz des kleinsten Zwanges ausgeprochen. Er bemerkt, dass bei der Form, welche die Mechanik historisch an- genommen hat, die Dynamik sich auf die Statik grün- det (wie z. B. der D'Alembert'sche Satz auf das Prin- cip der virtuellen Verschiebungen), während man eigent- lich erwarten sollte, dass auf der höchsten Stufe der Wissenschaft die Statik sich als ein specieller Fall der Dynamik darstellen würde. Der zu besprechende Gauss'-
Drittes Kapitel.
Formen wir mit Hülfe der gewonnenen Anschauungen und unter den gegebenen Voraussetzungen die Glei- chung 1 für rechtwinkelige Coordinaten um, so erhalten wir
[Formel 1]
oder weil der Ausdruck links ein vollständiges Differential ist
[Formel 2]
wobei U1 eine Function der Endwerthe, U◦dieselbe Function der Anfangswerthe der Coordinaten ist. Die Gleichung hat sehr viele Anwendungen erfahren, und drückt nur die Erkenntniss aus, dass unter den be- zeichneten Umständen die Arbeiten und demnach auch die lebendigen Kräfte nur von den Lagen oder Co- ordinaten der Körper abhängen.
Denkt man sich alle Massen fixirt, und nur eine einzige bewegt, so ändert sich die geleistete Arbeit nur nach Maassgabe von U. Die Gleichung U = const stellt eine sogenannte Niveaufläche (oder Fläche gleicher Arbeit) vor. Eine Bewegung in derselben führt keine Arbeitsleistung herbei.
7. Der Satz des kleinsten Zwanges.
1. Gauss hat (Crelle’s „Journal für Mathematik‟, IV, 1829, S. 233) ein neues Gesetz der Mechanik, den Satz des kleinsten Zwanges ausgeprochen. Er bemerkt, dass bei der Form, welche die Mechanik historisch an- genommen hat, die Dynamik sich auf die Statik grün- det (wie z. B. der D’Alembert’sche Satz auf das Prin- cip der virtuellen Verschiebungen), während man eigent- lich erwarten sollte, dass auf der höchsten Stufe der Wissenschaft die Statik sich als ein specieller Fall der Dynamik darstellen würde. Der zu besprechende Gauss’-
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Drittes Kapitel.
Formen wir mit Hülfe der gewonnenen Anschauungen
und unter den gegebenen Voraussetzungen die Glei-
chung 1 für rechtwinkelige Coordinaten um, so erhalten
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der Ausdruck links ein vollständiges Differential ist
[FORMEL] wobei U1 eine Function der Endwerthe, U◦ dieselbe
Function der Anfangswerthe der Coordinaten ist. Die
Gleichung hat sehr viele Anwendungen erfahren, und
drückt nur die Erkenntniss aus, dass unter den be-
zeichneten Umständen die Arbeiten und demnach auch
die lebendigen Kräfte nur von den Lagen oder Co-
ordinaten der Körper abhängen.
Denkt man sich alle Massen fixirt, und nur eine
einzige bewegt, so ändert sich die geleistete Arbeit nur
nach Maassgabe von U. Die Gleichung U = const
stellt eine sogenannte Niveaufläche (oder Fläche gleicher
Arbeit) vor. Eine Bewegung in derselben führt keine
Arbeitsleistung herbei.
7. Der Satz des kleinsten Zwanges.
1. Gauss hat (Crelle’s „Journal für Mathematik‟, IV,
1829, S. 233) ein neues Gesetz der Mechanik, den Satz
des kleinsten Zwanges ausgeprochen. Er bemerkt,
dass bei der Form, welche die Mechanik historisch an-
genommen hat, die Dynamik sich auf die Statik grün-
det (wie z. B. der D’Alembert’sche Satz auf das Prin-
cip der virtuellen Verschiebungen), während man eigent-
lich erwarten sollte, dass auf der höchsten Stufe der
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/338>, abgerufen am 25.11.2024.
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