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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Drittes Kapitel.
nun alle Kräfte nicht Geschwindigkeiten, sondern nur
Geschwindigkeitsänderungen, also wieder nur Geschwin-
digkeitsdifferenzen bestimmen, so kommt es also beim
Stoss immer nur auf Geschwindigkeitsdifferenzen an.
Gegen welche Körper man die Geschwindigkeiten schätzt,
ist gleichgültig. Thatsächlich stellen sich viele Stoss-
fälle, welche uns bei Mangel an Uebung als verschiedene
Fälle erscheinen, bei genauer Untersuchung als ein
Fall dar.

Auch die Wirkungsfähigkeit eines bewegten Körpers,
ob man dieselbe nun (mit Rücksicht auf die Wirkungs-
zeit) durch die Bewegungsgrösse oder (mit Rücksicht
auf den Wirkungsweg) durch die lebendige Kraft misst,
hat gar keinen Sinn in Bezug auf einen Körper allein.
Sie erhält diesen Sinn erst, sobald ein zweiter Körper
hinzukommt, und dann wird in dem einen Fall die
Geschwindigkeitsdifferenz, im andern das Quadrat der
Geschwindigkeitsdifferenz maassgebend. Die Geschwin-
digkeit
stellt einen physikalischen Niveauwerth vor,
wie die Temperatur, die Potentialfunction u. s. w.

Es kann nicht unbemerkt bleiben, dass Huyghens
auch an den Stossvorgängen zuerst dieselben Erfahrungen
hätte machen können, zu welchen ihm seine Pendel-
untersuchungen Gelegenheit geboten haben. Es handelt
sich immer nur darum, in allen Thatsachen die-
selben Elemente zu erkennen
, oder, wenn man
will, in einer Thatsache die Elemeute einer andern
schon bekannten wiederzufinden. Von welchen That-
sachen man aber ausgeht, hängt von historischen Zu-
fälligkeiten ab.

9. Beschliessen wir diese Betrachtung noch mit einigen
allgemeinern Bemerkungen. Die Summe der Bewegungs-
quantitäten
erhält sich im Stosse und zwar sowol beim
Stosse unelastischer als auch bei jenem elastischer
Körper. Diese Erhaltung findet aber nicht ganz im
Sinne Descartes'
statt, die Bewegungsquantität eines
Körpers wird nicht in dem Maasse vermindert, als jene
eines andern vermehrt wird, wie Huyghens zuerst be-

Drittes Kapitel.
nun alle Kräfte nicht Geschwindigkeiten, sondern nur
Geschwindigkeitsänderungen, also wieder nur Geschwin-
digkeitsdifferenzen bestimmen, so kommt es also beim
Stoss immer nur auf Geschwindigkeitsdifferenzen an.
Gegen welche Körper man die Geschwindigkeiten schätzt,
ist gleichgültig. Thatsächlich stellen sich viele Stoss-
fälle, welche uns bei Mangel an Uebung als verschiedene
Fälle erscheinen, bei genauer Untersuchung als ein
Fall dar.

Auch die Wirkungsfähigkeit eines bewegten Körpers,
ob man dieselbe nun (mit Rücksicht auf die Wirkungs-
zeit) durch die Bewegungsgrösse oder (mit Rücksicht
auf den Wirkungsweg) durch die lebendige Kraft misst,
hat gar keinen Sinn in Bezug auf einen Körper allein.
Sie erhält diesen Sinn erst, sobald ein zweiter Körper
hinzukommt, und dann wird in dem einen Fall die
Geschwindigkeitsdifferenz, im andern das Quadrat der
Geschwindigkeitsdifferenz maassgebend. Die Geschwin-
digkeit
stellt einen physikalischen Niveauwerth vor,
wie die Temperatur, die Potentialfunction u. s. w.

Es kann nicht unbemerkt bleiben, dass Huyghens
auch an den Stossvorgängen zuerst dieselben Erfahrungen
hätte machen können, zu welchen ihm seine Pendel-
untersuchungen Gelegenheit geboten haben. Es handelt
sich immer nur darum, in allen Thatsachen die-
selben Elemente zu erkennen
, oder, wenn man
will, in einer Thatsache die Elemeute einer andern
schon bekannten wiederzufinden. Von welchen That-
sachen man aber ausgeht, hängt von historischen Zu-
fälligkeiten ab.

9. Beschliessen wir diese Betrachtung noch mit einigen
allgemeinern Bemerkungen. Die Summe der Bewegungs-
quantitäten
erhält sich im Stosse und zwar sowol beim
Stosse unelastischer als auch bei jenem elastischer
Körper. Diese Erhaltung findet aber nicht ganz im
Sinne Descartes’
statt, die Bewegungsquantität eines
Körpers wird nicht in dem Maasse vermindert, als jene
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[302/0314] Drittes Kapitel. nun alle Kräfte nicht Geschwindigkeiten, sondern nur Geschwindigkeitsänderungen, also wieder nur Geschwin- digkeitsdifferenzen bestimmen, so kommt es also beim Stoss immer nur auf Geschwindigkeitsdifferenzen an. Gegen welche Körper man die Geschwindigkeiten schätzt, ist gleichgültig. Thatsächlich stellen sich viele Stoss- fälle, welche uns bei Mangel an Uebung als verschiedene Fälle erscheinen, bei genauer Untersuchung als ein Fall dar. Auch die Wirkungsfähigkeit eines bewegten Körpers, ob man dieselbe nun (mit Rücksicht auf die Wirkungs- zeit) durch die Bewegungsgrösse oder (mit Rücksicht auf den Wirkungsweg) durch die lebendige Kraft misst, hat gar keinen Sinn in Bezug auf einen Körper allein. Sie erhält diesen Sinn erst, sobald ein zweiter Körper hinzukommt, und dann wird in dem einen Fall die Geschwindigkeitsdifferenz, im andern das Quadrat der Geschwindigkeitsdifferenz maassgebend. Die Geschwin- digkeit stellt einen physikalischen Niveauwerth vor, wie die Temperatur, die Potentialfunction u. s. w. Es kann nicht unbemerkt bleiben, dass Huyghens auch an den Stossvorgängen zuerst dieselben Erfahrungen hätte machen können, zu welchen ihm seine Pendel- untersuchungen Gelegenheit geboten haben. Es handelt sich immer nur darum, in allen Thatsachen die- selben Elemente zu erkennen, oder, wenn man will, in einer Thatsache die Elemeute einer andern schon bekannten wiederzufinden. Von welchen That- sachen man aber ausgeht, hängt von historischen Zu- fälligkeiten ab. 9. Beschliessen wir diese Betrachtung noch mit einigen allgemeinern Bemerkungen. Die Summe der Bewegungs- quantitäten erhält sich im Stosse und zwar sowol beim Stosse unelastischer als auch bei jenem elastischer Körper. Diese Erhaltung findet aber nicht ganz im Sinne Descartes’ statt, die Bewegungsquantität eines Körpers wird nicht in dem Maasse vermindert, als jene eines andern vermehrt wird, wie Huyghens zuerst be-

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/314>, abgerufen am 27.11.2024.