Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Die weitere Verwendung der Principien u. s. w.
mit der Berührung und der beginnenden Formänderung
ins Spiel.

2. Wenn wir uns eine schwere verticale Säule vor-
stellen, welche auf der Erde ruht, so ist ein Theilchen m
im Innern der Säule, das wir in Gedanken heraus-
fassen, im Gleichgewicht und in Ruhe. An demselben
ist durch die Erde eine verticale Fallbeschleunigung g
bestimmt, welcher es auch Folge leistet. Hierbei nähert
es sich aber den unterhalb liegenden Theilen, und die
geweckten Elasticitätskräfte bedingen an m eine Verti-
calbeschleunigung aufwärts, welche schliesslich bei ge-
genügender Annäherung g gleich wird. Die oberhalb
m liegenden Theile nähern sich durch g dem m eben-
falls. Es entsteht hierdurch wieder Beschleunigung und
Gegenbeschleunigung, wodurch die oberhalb befindlichen
Theile zu Ruhe kommen, m sich aber noch weiter den
unterhalb befindlichen annähert, bis die Beschleunigung,
welche m durch die obern Theile abwärts erfährt, ver-
mehrt um g der Beschleunigung von m durch die untern
Theile gleich ist. Ueber jeden Theil der Säule und
der unterhalb liegenden Erde kann man dieselbe Be-
trachtung anstellen, und man erkennt leicht, dass die
tiefern Theile einander mehr angenähert, stärker zu-
sammengedrückt sind, als die höhern. Jeder Theil liegt
zwischen einem höhern weniger, und einem tiefern mehr
zusammengedrückten Theil; seine Fallbeschleunigung g
wird durch einen Beschleunigungsüberschuss aufwärts,
den er durch die untern Theile erfährt, aufgehoben.
Man versteht das Gleichgewicht und die Ruhe der
Säulentheile, indem man sich alle beschleunigten Be-
wegungen, welche durch die Wechselbeziehung der Erde
und der Säulentheile bestimmt sind, wirklich gleich-
zeitig ausgeführt denkt. Die scheinbare mathematische
Dürre dieser Vorstellung verschwindet, und dieselbe
wird sofort sehr lebendig, wenn man bedenkt, dass
thatsächlich kein Körper in vollkommener Ruhe sich be-
findet, sondern, dass immer kleine Erzitterungen und
Störungen in demselben vorhanden sind, welche bald

Mach. 16

Die weitere Verwendung der Principien u. s. w.
mit der Berührung und der beginnenden Formänderung
ins Spiel.

2. Wenn wir uns eine schwere verticale Säule vor-
stellen, welche auf der Erde ruht, so ist ein Theilchen m
im Innern der Säule, das wir in Gedanken heraus-
fassen, im Gleichgewicht und in Ruhe. An demselben
ist durch die Erde eine verticale Fallbeschleunigung g
bestimmt, welcher es auch Folge leistet. Hierbei nähert
es sich aber den unterhalb liegenden Theilen, und die
geweckten Elasticitätskräfte bedingen an m eine Verti-
calbeschleunigung aufwärts, welche schliesslich bei ge-
genügender Annäherung g gleich wird. Die oberhalb
m liegenden Theile nähern sich durch g dem m eben-
falls. Es entsteht hierdurch wieder Beschleunigung und
Gegenbeschleunigung, wodurch die oberhalb befindlichen
Theile zu Ruhe kommen, m sich aber noch weiter den
unterhalb befindlichen annähert, bis die Beschleunigung,
welche m durch die obern Theile abwärts erfährt, ver-
mehrt um g der Beschleunigung von m durch die untern
Theile gleich ist. Ueber jeden Theil der Säule und
der unterhalb liegenden Erde kann man dieselbe Be-
trachtung anstellen, und man erkennt leicht, dass die
tiefern Theile einander mehr angenähert, stärker zu-
sammengedrückt sind, als die höhern. Jeder Theil liegt
zwischen einem höhern weniger, und einem tiefern mehr
zusammengedrückten Theil; seine Fallbeschleunigung g
wird durch einen Beschleunigungsüberschuss aufwärts,
den er durch die untern Theile erfährt, aufgehoben.
Man versteht das Gleichgewicht und die Ruhe der
Säulentheile, indem man sich alle beschleunigten Be-
wegungen, welche durch die Wechselbeziehung der Erde
und der Säulentheile bestimmt sind, wirklich gleich-
zeitig ausgeführt denkt. Die scheinbare mathematische
Dürre dieser Vorstellung verschwindet, und dieselbe
wird sofort sehr lebendig, wenn man bedenkt, dass
thatsächlich kein Körper in vollkommener Ruhe sich be-
findet, sondern, dass immer kleine Erzitterungen und
Störungen in demselben vorhanden sind, welche bald

Mach. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0253" n="241"/><fw place="top" type="header">Die weitere Verwendung der Principien u. s. w.</fw><lb/>
mit der Berührung und der beginnenden Formänderung<lb/>
ins Spiel.</p><lb/>
          <p>2. Wenn wir uns eine schwere verticale Säule vor-<lb/>
stellen, welche auf der Erde ruht, so ist ein Theilchen <hi rendition="#i">m</hi><lb/>
im Innern der Säule, das wir in Gedanken heraus-<lb/>
fassen, im Gleichgewicht und in Ruhe. An demselben<lb/>
ist durch die Erde eine verticale Fallbeschleunigung <hi rendition="#i">g</hi><lb/>
bestimmt, welcher es auch Folge leistet. Hierbei nähert<lb/>
es sich aber den unterhalb liegenden Theilen, und die<lb/>
geweckten Elasticitätskräfte bedingen an <hi rendition="#i">m</hi> eine Verti-<lb/>
calbeschleunigung aufwärts, welche schliesslich bei ge-<lb/>
genügender Annäherung <hi rendition="#i">g</hi> gleich wird. Die oberhalb<lb/><hi rendition="#i">m</hi> liegenden Theile nähern sich durch <hi rendition="#i">g</hi> dem <hi rendition="#i">m</hi> eben-<lb/>
falls. Es entsteht hierdurch wieder Beschleunigung und<lb/>
Gegenbeschleunigung, wodurch die oberhalb befindlichen<lb/>
Theile zu Ruhe kommen, <hi rendition="#i">m</hi> sich aber noch weiter den<lb/>
unterhalb befindlichen annähert, bis die Beschleunigung,<lb/>
welche <hi rendition="#i">m</hi> durch die obern Theile abwärts erfährt, ver-<lb/>
mehrt um <hi rendition="#i">g</hi> der Beschleunigung von <hi rendition="#i">m</hi> durch die untern<lb/>
Theile gleich ist. Ueber jeden Theil der Säule und<lb/>
der unterhalb liegenden Erde kann man dieselbe Be-<lb/>
trachtung anstellen, und man erkennt leicht, dass die<lb/>
tiefern Theile einander mehr angenähert, stärker zu-<lb/>
sammengedrückt sind, als die höhern. Jeder Theil liegt<lb/>
zwischen einem höhern weniger, und einem tiefern mehr<lb/>
zusammengedrückten Theil; seine Fallbeschleunigung <hi rendition="#i">g</hi><lb/>
wird durch einen Beschleunigungsüberschuss aufwärts,<lb/>
den er durch die untern Theile erfährt, aufgehoben.<lb/>
Man versteht das Gleichgewicht und die Ruhe der<lb/>
Säulentheile, indem man sich <hi rendition="#g">alle</hi> beschleunigten Be-<lb/>
wegungen, welche durch die Wechselbeziehung der Erde<lb/>
und der Säulentheile bestimmt sind, wirklich gleich-<lb/>
zeitig ausgeführt denkt. Die scheinbare mathematische<lb/>
Dürre dieser Vorstellung verschwindet, und dieselbe<lb/>
wird sofort sehr lebendig, wenn man bedenkt, dass<lb/>
thatsächlich kein Körper in vollkommener Ruhe sich be-<lb/>
findet, sondern, dass immer kleine Erzitterungen und<lb/>
Störungen in demselben vorhanden sind, welche bald<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#k">Mach.</hi> 16</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0253] Die weitere Verwendung der Principien u. s. w. mit der Berührung und der beginnenden Formänderung ins Spiel. 2. Wenn wir uns eine schwere verticale Säule vor- stellen, welche auf der Erde ruht, so ist ein Theilchen m im Innern der Säule, das wir in Gedanken heraus- fassen, im Gleichgewicht und in Ruhe. An demselben ist durch die Erde eine verticale Fallbeschleunigung g bestimmt, welcher es auch Folge leistet. Hierbei nähert es sich aber den unterhalb liegenden Theilen, und die geweckten Elasticitätskräfte bedingen an m eine Verti- calbeschleunigung aufwärts, welche schliesslich bei ge- genügender Annäherung g gleich wird. Die oberhalb m liegenden Theile nähern sich durch g dem m eben- falls. Es entsteht hierdurch wieder Beschleunigung und Gegenbeschleunigung, wodurch die oberhalb befindlichen Theile zu Ruhe kommen, m sich aber noch weiter den unterhalb befindlichen annähert, bis die Beschleunigung, welche m durch die obern Theile abwärts erfährt, ver- mehrt um g der Beschleunigung von m durch die untern Theile gleich ist. Ueber jeden Theil der Säule und der unterhalb liegenden Erde kann man dieselbe Be- trachtung anstellen, und man erkennt leicht, dass die tiefern Theile einander mehr angenähert, stärker zu- sammengedrückt sind, als die höhern. Jeder Theil liegt zwischen einem höhern weniger, und einem tiefern mehr zusammengedrückten Theil; seine Fallbeschleunigung g wird durch einen Beschleunigungsüberschuss aufwärts, den er durch die untern Theile erfährt, aufgehoben. Man versteht das Gleichgewicht und die Ruhe der Säulentheile, indem man sich alle beschleunigten Be- wegungen, welche durch die Wechselbeziehung der Erde und der Säulentheile bestimmt sind, wirklich gleich- zeitig ausgeführt denkt. Die scheinbare mathematische Dürre dieser Vorstellung verschwindet, und dieselbe wird sofort sehr lebendig, wenn man bedenkt, dass thatsächlich kein Körper in vollkommener Ruhe sich be- findet, sondern, dass immer kleine Erzitterungen und Störungen in demselben vorhanden sind, welche bald Mach. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/253
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/253>, abgerufen am 23.11.2024.