so empfiehlt es sich, die Bewegungen vorläufig als durch diese Körper bestimmt anzusehen.
5. Betrachten wir nun denjenigen Punkt, auf welchen sich Newton bei Unterscheidung der relativen und ab- soluten Bewegung mit starkem Recht zu stützen scheint. Wenn die Erde eine absolute Rotation um ihre Axe hat, so treten an derselben Centrifugalkräfte auf, sie wird abgeplattet, die Schwerebeschleunigung am Aequator vermindert, die Ebene des Foucault'schen Pendels wird gedreht u. s. w. Alle diese Erscheinungen verschwin- den, wenn die Erde ruht und die übrigen Himmels- körper sich absolut um dieselbe bewegen, sodass die- selbe relative Rotation zu Stande kommt. So ist es allerdings, wenn man von vornherein von der Vor- stellung eines absoluten Raumes ausgeht. Bleibt man aber auf dem Boden der Thatsachen, so weiss man blos von relativen Räumen und Bewegungen. Relativ sind die Bewegungen im Weltsystem, von dem unbe- kannten und unberücksichtigten Medium des Weltraums abgesehen, dieselben nach der Ptolemäischen und nach der Kopernikanischen Auffassung. Beide Auffassungen sind auch gleich richtig, nur ist die letztere einfacher und praktischer. Das Weltsystem ist uns nicht zweimal gegeben mit ruhender und mit rotirender Erde, sondern nur einmal mit seinen allein bestimm- baren Relativbewegungen. Wir können also nicht sagen, wie es wäre, wenn die Erde nicht rotirte. Wir können den einen uns gegebenen Fall in verschiedener Weise interpretiren. Wenn wir aber so interpretiren, dass wir mit der Erfahrung in Widerspruch gerathen, so interpretiren wir eben falsch. Die mechanischen Grund- sätze können also wol so gefasst werden, dass auch für Relativdrehungen Centrifugalkräfte sich ergeben.
Der Versuch Newton's mit dem rotirenden Wasser- gefäss lehrt nur, dass die Relativdrehung des Wassers gegen die Gefässwände keine merklichen Centrifugal- kräfte weckt, dass dieselben aber durch die Relativ- drehung gegen die Masse der Erde und die übrigen
Zweites Kapitel.
so empfiehlt es sich, die Bewegungen vorläufig als durch diese Körper bestimmt anzusehen.
5. Betrachten wir nun denjenigen Punkt, auf welchen sich Newton bei Unterscheidung der relativen und ab- soluten Bewegung mit starkem Recht zu stützen scheint. Wenn die Erde eine absolute Rotation um ihre Axe hat, so treten an derselben Centrifugalkräfte auf, sie wird abgeplattet, die Schwerebeschleunigung am Aequator vermindert, die Ebene des Foucault’schen Pendels wird gedreht u. s. w. Alle diese Erscheinungen verschwin- den, wenn die Erde ruht und die übrigen Himmels- körper sich absolut um dieselbe bewegen, sodass die- selbe relative Rotation zu Stande kommt. So ist es allerdings, wenn man von vornherein von der Vor- stellung eines absoluten Raumes ausgeht. Bleibt man aber auf dem Boden der Thatsachen, so weiss man blos von relativen Räumen und Bewegungen. Relativ sind die Bewegungen im Weltsystem, von dem unbe- kannten und unberücksichtigten Medium des Weltraums abgesehen, dieselben nach der Ptolemäischen und nach der Kopernikanischen Auffassung. Beide Auffassungen sind auch gleich richtig, nur ist die letztere einfacher und praktischer. Das Weltsystem ist uns nicht zweimal gegeben mit ruhender und mit rotirender Erde, sondern nur einmal mit seinen allein bestimm- baren Relativbewegungen. Wir können also nicht sagen, wie es wäre, wenn die Erde nicht rotirte. Wir können den einen uns gegebenen Fall in verschiedener Weise interpretiren. Wenn wir aber so interpretiren, dass wir mit der Erfahrung in Widerspruch gerathen, so interpretiren wir eben falsch. Die mechanischen Grund- sätze können also wol so gefasst werden, dass auch für Relativdrehungen Centrifugalkräfte sich ergeben.
Der Versuch Newton’s mit dem rotirenden Wasser- gefäss lehrt nur, dass die Relativdrehung des Wassers gegen die Gefässwände keine merklichen Centrifugal- kräfte weckt, dass dieselben aber durch die Relativ- drehung gegen die Masse der Erde und die übrigen
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Zweites Kapitel.
so empfiehlt es sich, die Bewegungen vorläufig als durch
diese Körper bestimmt anzusehen.
5. Betrachten wir nun denjenigen Punkt, auf welchen
sich Newton bei Unterscheidung der relativen und ab-
soluten Bewegung mit starkem Recht zu stützen scheint.
Wenn die Erde eine absolute Rotation um ihre Axe
hat, so treten an derselben Centrifugalkräfte auf, sie
wird abgeplattet, die Schwerebeschleunigung am Aequator
vermindert, die Ebene des Foucault’schen Pendels wird
gedreht u. s. w. Alle diese Erscheinungen verschwin-
den, wenn die Erde ruht und die übrigen Himmels-
körper sich absolut um dieselbe bewegen, sodass die-
selbe relative Rotation zu Stande kommt. So ist es
allerdings, wenn man von vornherein von der Vor-
stellung eines absoluten Raumes ausgeht. Bleibt man
aber auf dem Boden der Thatsachen, so weiss man
blos von relativen Räumen und Bewegungen. Relativ
sind die Bewegungen im Weltsystem, von dem unbe-
kannten und unberücksichtigten Medium des Weltraums
abgesehen, dieselben nach der Ptolemäischen und nach
der Kopernikanischen Auffassung. Beide Auffassungen
sind auch gleich richtig, nur ist die letztere einfacher
und praktischer. Das Weltsystem ist uns nicht
zweimal gegeben mit ruhender und mit rotirender
Erde, sondern nur einmal mit seinen allein bestimm-
baren Relativbewegungen. Wir können also nicht sagen,
wie es wäre, wenn die Erde nicht rotirte. Wir können
den einen uns gegebenen Fall in verschiedener Weise
interpretiren. Wenn wir aber so interpretiren, dass
wir mit der Erfahrung in Widerspruch gerathen, so
interpretiren wir eben falsch. Die mechanischen Grund-
sätze können also wol so gefasst werden, dass auch für
Relativdrehungen Centrifugalkräfte sich ergeben.
Der Versuch Newton’s mit dem rotirenden Wasser-
gefäss lehrt nur, dass die Relativdrehung des Wassers
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/228>, abgerufen am 27.11.2024.
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