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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Zweites Kapitel.
ebene, von demselben Punkt A ausgehend unter den
verschiedensten Neigungswinkeln gegen den Horizont
Rinnen; wir legen in ihren Endpunkt A schwere Körper
und lassen sie gleichzeitig ihre Fallbewegung beginnen.
Es zeigt sich nun, dass zur selben Zeit sämmtliche
Körper stets einen Kreis erfüllen. Nach Verlauf einer
grössern Zeit befinden sie sich in einem Kreise von
grösserm Radius, und zwar wachsen die Radien pro-
portional dem Quadrat der Zeit. Wenn man sich die
Rinnen nicht nur eine Ebene, sondern den Raum unter
der durch A geführten Horizontalen vollständig ausfüllend
denkt, so erfüllen die Körper stets eine Kugel, und die
Kugelradien wachsen proportional dem Quadrat der
Zeit. Man erkennt das, wenn man sich die Figur um
die Verticale AV gedreht denkt.

8. Wir sehen nun, wie nochmals kurz bemerkt wer-
den soll, dass Galilei nicht etwa eine Theorie der
Fallbewegung gegeben, sondern vielmehr das Thatsäch-
liche
der Fallbewegung vorurtheilslos untersucht und
constatirt hat.

Bei dieser Gelegenheit hat er seine Gedanken allmäh-
lig den Thatsachen anpassend, und dieselben überall con-
sequent festhaltend, eine Ansicht gefunden, die viel-
leicht weniger ihm selbst als vielmehr seinen Nachfolgern
als ein besonderes neues Gesetz erschienen ist. Galilei
befolgte bei allen seinen Ueberlegungen, zum grössten
Vortheil der Naturwissenschaft, ein Princip, welches man
passend das Princip der Continuität nennen könnte.
Hat man für einen speciellen Fall eine Ansicht ge-
wonnen, so modificirt man allmählich in Gedanken die
Umstände dieses Falles, soweit es überhaupt angeht, und
sucht hierbei die gewonnene Ansicht möglichst festzu-
halten. Es gibt kein Verfahren, welches sicherer zur
einfachsten, mit dem geringsten Gemüths- und Ver-
standesaufwand zu erzielenden Auffassung aller Natur-
vorgänge führen würde.

Der besondere Fall wird deutlicher als die allge-
meine Bemerkung zeigen, was wir meinen. Galilei be-

Zweites Kapitel.
ebene, von demselben Punkt A ausgehend unter den
verschiedensten Neigungswinkeln gegen den Horizont
Rinnen; wir legen in ihren Endpunkt A schwere Körper
und lassen sie gleichzeitig ihre Fallbewegung beginnen.
Es zeigt sich nun, dass zur selben Zeit sämmtliche
Körper stets einen Kreis erfüllen. Nach Verlauf einer
grössern Zeit befinden sie sich in einem Kreise von
grösserm Radius, und zwar wachsen die Radien pro-
portional dem Quadrat der Zeit. Wenn man sich die
Rinnen nicht nur eine Ebene, sondern den Raum unter
der durch A geführten Horizontalen vollständig ausfüllend
denkt, so erfüllen die Körper stets eine Kugel, und die
Kugelradien wachsen proportional dem Quadrat der
Zeit. Man erkennt das, wenn man sich die Figur um
die Verticale AV gedreht denkt.

8. Wir sehen nun, wie nochmals kurz bemerkt wer-
den soll, dass Galilei nicht etwa eine Theorie der
Fallbewegung gegeben, sondern vielmehr das Thatsäch-
liche
der Fallbewegung vorurtheilslos untersucht und
constatirt hat.

Bei dieser Gelegenheit hat er seine Gedanken allmäh-
lig den Thatsachen anpassend, und dieselben überall con-
sequent festhaltend, eine Ansicht gefunden, die viel-
leicht weniger ihm selbst als vielmehr seinen Nachfolgern
als ein besonderes neues Gesetz erschienen ist. Galilei
befolgte bei allen seinen Ueberlegungen, zum grössten
Vortheil der Naturwissenschaft, ein Princip, welches man
passend das Princip der Continuität nennen könnte.
Hat man für einen speciellen Fall eine Ansicht ge-
wonnen, so modificirt man allmählich in Gedanken die
Umstände dieses Falles, soweit es überhaupt angeht, und
sucht hierbei die gewonnene Ansicht möglichst festzu-
halten. Es gibt kein Verfahren, welches sicherer zur
einfachsten, mit dem geringsten Gemüths- und Ver-
standesaufwand zu erzielenden Auffassung aller Natur-
vorgänge führen würde.

Der besondere Fall wird deutlicher als die allge-
meine Bemerkung zeigen, was wir meinen. Galilei be-

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[128/0140] Zweites Kapitel. ebene, von demselben Punkt A ausgehend unter den verschiedensten Neigungswinkeln gegen den Horizont Rinnen; wir legen in ihren Endpunkt A schwere Körper und lassen sie gleichzeitig ihre Fallbewegung beginnen. Es zeigt sich nun, dass zur selben Zeit sämmtliche Körper stets einen Kreis erfüllen. Nach Verlauf einer grössern Zeit befinden sie sich in einem Kreise von grösserm Radius, und zwar wachsen die Radien pro- portional dem Quadrat der Zeit. Wenn man sich die Rinnen nicht nur eine Ebene, sondern den Raum unter der durch A geführten Horizontalen vollständig ausfüllend denkt, so erfüllen die Körper stets eine Kugel, und die Kugelradien wachsen proportional dem Quadrat der Zeit. Man erkennt das, wenn man sich die Figur um die Verticale AV gedreht denkt. 8. Wir sehen nun, wie nochmals kurz bemerkt wer- den soll, dass Galilei nicht etwa eine Theorie der Fallbewegung gegeben, sondern vielmehr das Thatsäch- liche der Fallbewegung vorurtheilslos untersucht und constatirt hat. Bei dieser Gelegenheit hat er seine Gedanken allmäh- lig den Thatsachen anpassend, und dieselben überall con- sequent festhaltend, eine Ansicht gefunden, die viel- leicht weniger ihm selbst als vielmehr seinen Nachfolgern als ein besonderes neues Gesetz erschienen ist. Galilei befolgte bei allen seinen Ueberlegungen, zum grössten Vortheil der Naturwissenschaft, ein Princip, welches man passend das Princip der Continuität nennen könnte. Hat man für einen speciellen Fall eine Ansicht ge- wonnen, so modificirt man allmählich in Gedanken die Umstände dieses Falles, soweit es überhaupt angeht, und sucht hierbei die gewonnene Ansicht möglichst festzu- halten. Es gibt kein Verfahren, welches sicherer zur einfachsten, mit dem geringsten Gemüths- und Ver- standesaufwand zu erzielenden Auffassung aller Natur- vorgänge führen würde. Der besondere Fall wird deutlicher als die allge- meine Bemerkung zeigen, was wir meinen. Galilei be-

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/140>, abgerufen am 24.11.2024.