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Lütkemann, Joachim: Harpffe Von zehen Seyten. Frankfurt/Leipzig, 1674.

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über den 92. Psalm
Rathschlag über deß Menschen Erlösung/ Re-
gierung und Beschirmung; Seynd sie nicht
menschlicher Vernunfft unbegreiflich? Grüble
ich nach/ warum GOtt dieses oder jenes thue/
warum ers so und so mache/ werde ich in mei-
nem Grüblen zum Narren/ wo ich mich nicht
in gemein bey dieser Meinung halte; GOtt
thut niemand Unrecht/ und ist kein Böses bey
Ihm/ und meinets allenthalben gut. GOttes
Wercke kommen offt der Vernunfft lächerlich/
ja grausamlich für. Was soll ich sagen? HErr/
deine Gedancken seynd so sehr tieff. Er hänget
seinen Kindern offt Schmach an/ und kränckt
sie bitterlich/ und suchet doch damit ihre Ehre.
Da möchtest du sagen: Die Meinung Gottes
mag wohl gut seyn/ was soll ich aber vom Werc-
ke halten? Mag man auch böses thun/ das
man etwas gutes erlange? Ohn Zweiffel/ wenn
ein Mensch den andern kränckt/ und wil ihn
hernach wieder erfreuen/ der möchte bey allen
nicht gleichen Danck verdienen; Denn was
hat er für Recht dazu/ daß er mich kräncke? Gott
aber hat nicht alleine Recht uns zu kräncken/
sondern weiß auch/ daß solches uns viel nützli-
cher ist/ als wenn wir allezeit in Rosen tantzen.
Wenn ein Vater sein Kind züchtiget/ ist nicht
allein die Meinung deß Vaters gut/ sondern

auch

über den 92. Pſalm
Rathſchlag über deß Menſchen Erlöſung/ Re-
gierung und Beſchirmung; Seynd ſie nicht
menſchlicher Vernunfft unbegreiflich? Grüble
ich nach/ warum GOtt dieſes oder jenes thue/
warum ers ſo und ſo mache/ werde ich in mei-
nem Grüblen zum Narren/ wo ich mich nicht
in gemein bey dieſer Meinung halte; GOtt
thut niemand Unrecht/ und iſt kein Böſes bey
Ihm/ und meinets allenthalben gut. GOttes
Wercke kommen offt der Vernunfft lächerlich/
ja grauſamlich für. Was ſoll ich ſagen? HErr/
deine Gedancken ſeynd ſo ſehr tieff. Er hänget
ſeinen Kindern offt Schmach an/ und kränckt
ſie bitterlich/ und ſuchet doch damit ihre Ehre.
Da möchteſt du ſagen: Die Meinung Gottes
mag wohl gut ſeyn/ was ſoll ich aber vom Werc-
ke halten? Mag man auch böſes thun/ das
man etwas gutes erlange? Ohn Zweiffel/ wenn
ein Menſch den andern kränckt/ und wil ihn
hernach wieder erfreuen/ der möchte bey allen
nicht gleichen Danck verdienen; Denn was
hat er für Recht dazu/ daß er mich kräncke? Gott
aber hat nicht alleine Recht uns zu kräncken/
ſondern weiß auch/ daß ſolches uns viel nützli-
cher iſt/ als wenn wir allezeit in Roſen tantzen.
Wenn ein Vater ſein Kind züchtiget/ iſt nicht
allein die Meinung deß Vaters gut/ ſondern

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[518/0541] über den 92. Pſalm Rathſchlag über deß Menſchen Erlöſung/ Re- gierung und Beſchirmung; Seynd ſie nicht menſchlicher Vernunfft unbegreiflich? Grüble ich nach/ warum GOtt dieſes oder jenes thue/ warum ers ſo und ſo mache/ werde ich in mei- nem Grüblen zum Narren/ wo ich mich nicht in gemein bey dieſer Meinung halte; GOtt thut niemand Unrecht/ und iſt kein Böſes bey Ihm/ und meinets allenthalben gut. GOttes Wercke kommen offt der Vernunfft lächerlich/ ja grauſamlich für. Was ſoll ich ſagen? HErr/ deine Gedancken ſeynd ſo ſehr tieff. Er hänget ſeinen Kindern offt Schmach an/ und kränckt ſie bitterlich/ und ſuchet doch damit ihre Ehre. Da möchteſt du ſagen: Die Meinung Gottes mag wohl gut ſeyn/ was ſoll ich aber vom Werc- ke halten? Mag man auch böſes thun/ das man etwas gutes erlange? Ohn Zweiffel/ wenn ein Menſch den andern kränckt/ und wil ihn hernach wieder erfreuen/ der möchte bey allen nicht gleichen Danck verdienen; Denn was hat er für Recht dazu/ daß er mich kräncke? Gott aber hat nicht alleine Recht uns zu kräncken/ ſondern weiß auch/ daß ſolches uns viel nützli- cher iſt/ als wenn wir allezeit in Roſen tantzen. Wenn ein Vater ſein Kind züchtiget/ iſt nicht allein die Meinung deß Vaters gut/ ſondern auch

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Zitationshilfe: Lütkemann, Joachim: Harpffe Von zehen Seyten. Frankfurt/Leipzig, 1674, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/luettkemann_harpffe_1674/541>, abgerufen am 25.11.2024.