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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Natürliche Magenverdauung.
die letzte Mahlzeit aufgenommen hatte, in den ersten 2 Stunden ihres
Aufenthaltes weit mehr an Gewicht verlieren, als in den 2 darauf fol-
genden Stunden, und in diesen wieder mehr als in 2 auf diese kommen-
den. Daraus folgt, dass in einem Magen, der einige Zeit geruht hat,
die zur Verdauung des Eiweisses nöthigen Bedingungen am mächtigsten
wirken. Die Frage, ob das flüssige Eiweiss im Magen eine Umwandlung
analog derjenigen erfahre, welche die künstliche Verdauung an ihm her-
vorbringt, oder ob es, bevor dieses geschehen, aus demselben entfernt
werde, würde sich entscheiden lassen, wenn eine quantitative Analyse
des Magen- und Darminhaltes möglich wäre. Als feststehend ist anzu-
sehen, dass mindestens ein Theil desselben den Magen unverändert durch-
wandert, indem im Duodenum gerinnbares Eiweiss nach dem Genusse
desselben angetroffen wird.

Ueber die Veränderungen, welche die gemischten Nahrungsstoffe
(Speisen) im lebenden Magen erfahren, besitzen wir zuverlässige Beob-
achtungen nur von Frerichs und Schröder. Das Thatsächliche ih-
rer Untersuchungen ist kurz folgendes: Aus der in den Magen gebrach-
ten Milch gerinnt rasch der Käsestoff, darauf verlässt das Milchserum,
ob durch die Wandung oder den Pylorus ist ungewiss, die Magenhöhle,
so dass ein aus Käsestoff und Fett bestehender Klumpen zurückbleibt,
der allmählig von der den Magenwänden zugekehrten Fläche gegen sein
Centrum hin verändert wird. Eine genauere Untersuchung der verän-
derten Massen lässt erkennen, dass die Wände der Milchkügelchen auf-
gelöst werden, während das Fett des Inhaltes zu grösseren Tropfen zu-
sammenfliesst, ohne dass es eine chemische Veränderung erfährt. Die
Kalksalze der Milch lösen sich auf. -- Das Muskelfleisch zerfällt
nach Auflösung des Bindegewebes in die einzelnen Muskelröhren; die-
selben zerbröckeln sich dann in kurze Stückchen, deren Länge unge-
fähr dem Abstande zweier benachbarter Querstreifen entspricht, so dass
die Bruchflächen durch die Querstreifung bestimmt zu sein scheinen.
Diese Stückchen werden allmählig aufgelöst, jedoch niemals vollkommen,
selbst wenn man sie durch eine Hülle, durch welche sie eingeschlossen
werden, zwingt, möglichst lange in dem Magen zu verweilen. Die aus dem
Muskel hervorgehende Lösung zeigt zuweilen die Eigenschaft, durch die
Hitze zu gerinnen, zuweilen aber fehlt auch dieselbe. Kalbfleisch löst
sich rascher, als Ochsenfleisch (Schröder). Gekochtes oder gebratenes
Fleisch erfährt die bezeichnete Umwandlung rascher, als rohes; nach
Frerichs darum, weil der Magensaft leichter in die Zwischenräume
eindringen kann. Diesem entgegen beobachtete Schröder, dass im
menschlichen Magensafte ausserhalb des Magens das rohe Fleisch rascher
aufgelöst werde. -- Die Kalksalze lösen sich auf und werden zum Theil
aus ihrer Verbindung mit den Eiweisskörpern getrennt, wie sich daraus
ergiebt, dass sie durch Neutralisation der sauren Lösung gefällt wer-

Natürliche Magenverdauung.
die letzte Mahlzeit aufgenommen hatte, in den ersten 2 Stunden ihres
Aufenthaltes weit mehr an Gewicht verlieren, als in den 2 darauf fol-
genden Stunden, und in diesen wieder mehr als in 2 auf diese kommen-
den. Daraus folgt, dass in einem Magen, der einige Zeit geruht hat,
die zur Verdauung des Eiweisses nöthigen Bedingungen am mächtigsten
wirken. Die Frage, ob das flüssige Eiweiss im Magen eine Umwandlung
analog derjenigen erfahre, welche die künstliche Verdauung an ihm her-
vorbringt, oder ob es, bevor dieses geschehen, aus demselben entfernt
werde, würde sich entscheiden lassen, wenn eine quantitative Analyse
des Magen- und Darminhaltes möglich wäre. Als feststehend ist anzu-
sehen, dass mindestens ein Theil desselben den Magen unverändert durch-
wandert, indem im Duodenum gerinnbares Eiweiss nach dem Genusse
desselben angetroffen wird.

Ueber die Veränderungen, welche die gemischten Nahrungsstoffe
(Speisen) im lebenden Magen erfahren, besitzen wir zuverlässige Beob-
achtungen nur von Frerichs und Schröder. Das Thatsächliche ih-
rer Untersuchungen ist kurz folgendes: Aus der in den Magen gebrach-
ten Milch gerinnt rasch der Käsestoff, darauf verlässt das Milchserum,
ob durch die Wandung oder den Pylorus ist ungewiss, die Magenhöhle,
so dass ein aus Käsestoff und Fett bestehender Klumpen zurückbleibt,
der allmählig von der den Magenwänden zugekehrten Fläche gegen sein
Centrum hin verändert wird. Eine genauere Untersuchung der verän-
derten Massen lässt erkennen, dass die Wände der Milchkügelchen auf-
gelöst werden, während das Fett des Inhaltes zu grösseren Tropfen zu-
sammenfliesst, ohne dass es eine chemische Veränderung erfährt. Die
Kalksalze der Milch lösen sich auf. — Das Muskelfleisch zerfällt
nach Auflösung des Bindegewebes in die einzelnen Muskelröhren; die-
selben zerbröckeln sich dann in kurze Stückchen, deren Länge unge-
fähr dem Abstande zweier benachbarter Querstreifen entspricht, so dass
die Bruchflächen durch die Querstreifung bestimmt zu sein scheinen.
Diese Stückchen werden allmählig aufgelöst, jedoch niemals vollkommen,
selbst wenn man sie durch eine Hülle, durch welche sie eingeschlossen
werden, zwingt, möglichst lange in dem Magen zu verweilen. Die aus dem
Muskel hervorgehende Lösung zeigt zuweilen die Eigenschaft, durch die
Hitze zu gerinnen, zuweilen aber fehlt auch dieselbe. Kalbfleisch löst
sich rascher, als Ochsenfleisch (Schröder). Gekochtes oder gebratenes
Fleisch erfährt die bezeichnete Umwandlung rascher, als rohes; nach
Frerichs darum, weil der Magensaft leichter in die Zwischenräume
eindringen kann. Diesem entgegen beobachtete Schröder, dass im
menschlichen Magensafte ausserhalb des Magens das rohe Fleisch rascher
aufgelöst werde. — Die Kalksalze lösen sich auf und werden zum Theil
aus ihrer Verbindung mit den Eiweisskörpern getrennt, wie sich daraus
ergiebt, dass sie durch Neutralisation der sauren Lösung gefällt wer-

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[409/0425] Natürliche Magenverdauung. die letzte Mahlzeit aufgenommen hatte, in den ersten 2 Stunden ihres Aufenthaltes weit mehr an Gewicht verlieren, als in den 2 darauf fol- genden Stunden, und in diesen wieder mehr als in 2 auf diese kommen- den. Daraus folgt, dass in einem Magen, der einige Zeit geruht hat, die zur Verdauung des Eiweisses nöthigen Bedingungen am mächtigsten wirken. Die Frage, ob das flüssige Eiweiss im Magen eine Umwandlung analog derjenigen erfahre, welche die künstliche Verdauung an ihm her- vorbringt, oder ob es, bevor dieses geschehen, aus demselben entfernt werde, würde sich entscheiden lassen, wenn eine quantitative Analyse des Magen- und Darminhaltes möglich wäre. Als feststehend ist anzu- sehen, dass mindestens ein Theil desselben den Magen unverändert durch- wandert, indem im Duodenum gerinnbares Eiweiss nach dem Genusse desselben angetroffen wird. Ueber die Veränderungen, welche die gemischten Nahrungsstoffe (Speisen) im lebenden Magen erfahren, besitzen wir zuverlässige Beob- achtungen nur von Frerichs und Schröder. Das Thatsächliche ih- rer Untersuchungen ist kurz folgendes: Aus der in den Magen gebrach- ten Milch gerinnt rasch der Käsestoff, darauf verlässt das Milchserum, ob durch die Wandung oder den Pylorus ist ungewiss, die Magenhöhle, so dass ein aus Käsestoff und Fett bestehender Klumpen zurückbleibt, der allmählig von der den Magenwänden zugekehrten Fläche gegen sein Centrum hin verändert wird. Eine genauere Untersuchung der verän- derten Massen lässt erkennen, dass die Wände der Milchkügelchen auf- gelöst werden, während das Fett des Inhaltes zu grösseren Tropfen zu- sammenfliesst, ohne dass es eine chemische Veränderung erfährt. Die Kalksalze der Milch lösen sich auf. — Das Muskelfleisch zerfällt nach Auflösung des Bindegewebes in die einzelnen Muskelröhren; die- selben zerbröckeln sich dann in kurze Stückchen, deren Länge unge- fähr dem Abstande zweier benachbarter Querstreifen entspricht, so dass die Bruchflächen durch die Querstreifung bestimmt zu sein scheinen. Diese Stückchen werden allmählig aufgelöst, jedoch niemals vollkommen, selbst wenn man sie durch eine Hülle, durch welche sie eingeschlossen werden, zwingt, möglichst lange in dem Magen zu verweilen. Die aus dem Muskel hervorgehende Lösung zeigt zuweilen die Eigenschaft, durch die Hitze zu gerinnen, zuweilen aber fehlt auch dieselbe. Kalbfleisch löst sich rascher, als Ochsenfleisch (Schröder). Gekochtes oder gebratenes Fleisch erfährt die bezeichnete Umwandlung rascher, als rohes; nach Frerichs darum, weil der Magensaft leichter in die Zwischenräume eindringen kann. Diesem entgegen beobachtete Schröder, dass im menschlichen Magensafte ausserhalb des Magens das rohe Fleisch rascher aufgelöst werde. — Die Kalksalze lösen sich auf und werden zum Theil aus ihrer Verbindung mit den Eiweisskörpern getrennt, wie sich daraus ergiebt, dass sie durch Neutralisation der sauren Lösung gefällt wer-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/425>, abgerufen am 25.11.2024.