es dringt auf Stoffe ganz bestimmter Zusammensetzung, die sog. Spei- sen, und unter diesen wählt es je nach dem Bedürfniss des Organismus auch noch die eine oder andere vorzugsweise aus. Die Gründe, welche bei dieser Wahl das höhere Thier vorzugsweise bestimmen, liegen offen- bar in den Geruchs- und Geschmackswerkzeugen, in dem Temperatur- grad des Körpers und der Speisen, in dem Widerstand, den die letzte- ren beim Kauen den Zähnen entgegensetzen, in Erinnerungsbildern u. s. w. Keinenfalls kann aber eine spezifische und prädestinirte Be- ziehung zwischen dem Nahrungsbegehren und der Nahrfähigkeit der geforderten Substanz angenommen werden; denn es verschmäht bekannt- lich ein Hund das Fleisch, wenn es vollkommen mit Wasser ausgezogen, von allen schmeckenden Substanzen befreit ist, trotz seiner ausgezeichneten Fähigkeit, die Ernährung zu unterstützen; die unverdaulichen Sägespähne aber, welche mit Bratenbrühe besprützt sind, frisst er begierig.
4. Dem Nahrungsbegehren steht der Ekel entgegen; veranlasst wird dieser seelische Zustand durch unbestimmte Empfindungen in der Rachenhöhle, ähnlich denen, welche einem Brechanfall vorausgehen; es scheint demnach, als ob ihn nn. vagus oder glossopharyngeus einleiteten. Da zu den ihn erregenden Umständen Kitzeln der Rachenhöhle, Schleim- anhäufungen daselbst, gewisse Gerüche und Geschmäcke und Erinnerun- gen an diese letzteren gehören, so ist es begreiflich, dass sich der Ekel ebensowohl gegen die Nahrung überhaupt als auch gegen einzelne Spei- sen richten kann.
B. Nahrung.
1. Der unwiederbringliche Verlust des Blutes liess sich schliesslich zurückführen auf den seines Wassers, seiner Mineralsalze, seiner Fette und Eiweissstoffe; also muss die Nahrung diese Verbindungen entweder geradezu einbringen, oder wenigstens solche Stoffe, aus denen jene Atom- combinationen innerhalb des thierischen Körpers hervorgehen können. Diese neu einzuführenden Atome müssen jedoch, wenn sie den Fett- und Eiweissverlust ersetzen wollen, in Verbindungen anlagen, welche ärmer an Sauerstoff sind, als die, in welchen sie den Organismus verlassen, da sie in diesem dann doch endlich jedesmal oxydirt werden; ausserdem müssen auch die Verbindungen der Nahrungsmittel mehr Spannkräfte führen als die Auswürflinge, da der thierische Körper theils bei der Wärmebildung und theils bei der Muskelzusammenziehung Spannkräfte in lebendige umsetzt. -- Diese Bestimmungen sind nun, wie man leicht einsieht, noch lange nicht genügend, um die besondere Combination der nährenden Atome festzustellen, da sich in der That die geforderten Bedingungen auf unzählige Weisen erfüllen lassen, wenn dem Darm- kanale oder seinen Hilfswerkzeugen die Befähigung zukommt, beliebige sauerstoffarme C-, H-, N verbindungen zu Eiweiss und Fett zusammenzu-
Wahl der Nahrung.
es dringt auf Stoffe ganz bestimmter Zusammensetzung, die sog. Spei- sen, und unter diesen wählt es je nach dem Bedürfniss des Organismus auch noch die eine oder andere vorzugsweise aus. Die Gründe, welche bei dieser Wahl das höhere Thier vorzugsweise bestimmen, liegen offen- bar in den Geruchs- und Geschmackswerkzeugen, in dem Temperatur- grad des Körpers und der Speisen, in dem Widerstand, den die letzte- ren beim Kauen den Zähnen entgegensetzen, in Erinnerungsbildern u. s. w. Keinenfalls kann aber eine spezifische und prädestinirte Be- ziehung zwischen dem Nahrungsbegehren und der Nahrfähigkeit der geforderten Substanz angenommen werden; denn es verschmäht bekannt- lich ein Hund das Fleisch, wenn es vollkommen mit Wasser ausgezogen, von allen schmeckenden Substanzen befreit ist, trotz seiner ausgezeichneten Fähigkeit, die Ernährung zu unterstützen; die unverdaulichen Sägespähne aber, welche mit Bratenbrühe besprützt sind, frisst er begierig.
4. Dem Nahrungsbegehren steht der Ekel entgegen; veranlasst wird dieser seelische Zustand durch unbestimmte Empfindungen in der Rachenhöhle, ähnlich denen, welche einem Brechanfall vorausgehen; es scheint demnach, als ob ihn nn. vagus oder glossopharyngeus einleiteten. Da zu den ihn erregenden Umständen Kitzeln der Rachenhöhle, Schleim- anhäufungen daselbst, gewisse Gerüche und Geschmäcke und Erinnerun- gen an diese letzteren gehören, so ist es begreiflich, dass sich der Ekel ebensowohl gegen die Nahrung überhaupt als auch gegen einzelne Spei- sen richten kann.
B. Nahrung.
1. Der unwiederbringliche Verlust des Blutes liess sich schliesslich zurückführen auf den seines Wassers, seiner Mineralsalze, seiner Fette und Eiweissstoffe; also muss die Nahrung diese Verbindungen entweder geradezu einbringen, oder wenigstens solche Stoffe, aus denen jene Atom- combinationen innerhalb des thierischen Körpers hervorgehen können. Diese neu einzuführenden Atome müssen jedoch, wenn sie den Fett- und Eiweissverlust ersetzen wollen, in Verbindungen anlagen, welche ärmer an Sauerstoff sind, als die, in welchen sie den Organismus verlassen, da sie in diesem dann doch endlich jedesmal oxydirt werden; ausserdem müssen auch die Verbindungen der Nahrungsmittel mehr Spannkräfte führen als die Auswürflinge, da der thierische Körper theils bei der Wärmebildung und theils bei der Muskelzusammenziehung Spannkräfte in lebendige umsetzt. — Diese Bestimmungen sind nun, wie man leicht einsieht, noch lange nicht genügend, um die besondere Combination der nährenden Atome festzustellen, da sich in der That die geforderten Bedingungen auf unzählige Weisen erfüllen lassen, wenn dem Darm- kanale oder seinen Hilfswerkzeugen die Befähigung zukommt, beliebige sauerstoffarme C-, H-, N verbindungen zu Eiweiss und Fett zusammenzu-
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[377/0393]
Wahl der Nahrung.
es dringt auf Stoffe ganz bestimmter Zusammensetzung, die sog. Spei-
sen, und unter diesen wählt es je nach dem Bedürfniss des Organismus
auch noch die eine oder andere vorzugsweise aus. Die Gründe, welche
bei dieser Wahl das höhere Thier vorzugsweise bestimmen, liegen offen-
bar in den Geruchs- und Geschmackswerkzeugen, in dem Temperatur-
grad des Körpers und der Speisen, in dem Widerstand, den die letzte-
ren beim Kauen den Zähnen entgegensetzen, in Erinnerungsbildern
u. s. w. Keinenfalls kann aber eine spezifische und prädestinirte Be-
ziehung zwischen dem Nahrungsbegehren und der Nahrfähigkeit der
geforderten Substanz angenommen werden; denn es verschmäht bekannt-
lich ein Hund das Fleisch, wenn es vollkommen mit Wasser ausgezogen,
von allen schmeckenden Substanzen befreit ist, trotz seiner ausgezeichneten
Fähigkeit, die Ernährung zu unterstützen; die unverdaulichen Sägespähne
aber, welche mit Bratenbrühe besprützt sind, frisst er begierig.
4. Dem Nahrungsbegehren steht der Ekel entgegen; veranlasst
wird dieser seelische Zustand durch unbestimmte Empfindungen in der
Rachenhöhle, ähnlich denen, welche einem Brechanfall vorausgehen; es
scheint demnach, als ob ihn nn. vagus oder glossopharyngeus einleiteten.
Da zu den ihn erregenden Umständen Kitzeln der Rachenhöhle, Schleim-
anhäufungen daselbst, gewisse Gerüche und Geschmäcke und Erinnerun-
gen an diese letzteren gehören, so ist es begreiflich, dass sich der Ekel
ebensowohl gegen die Nahrung überhaupt als auch gegen einzelne Spei-
sen richten kann.
B. Nahrung.
1. Der unwiederbringliche Verlust des Blutes liess sich schliesslich
zurückführen auf den seines Wassers, seiner Mineralsalze, seiner Fette
und Eiweissstoffe; also muss die Nahrung diese Verbindungen entweder
geradezu einbringen, oder wenigstens solche Stoffe, aus denen jene Atom-
combinationen innerhalb des thierischen Körpers hervorgehen können.
Diese neu einzuführenden Atome müssen jedoch, wenn sie den Fett- und
Eiweissverlust ersetzen wollen, in Verbindungen anlagen, welche ärmer
an Sauerstoff sind, als die, in welchen sie den Organismus verlassen,
da sie in diesem dann doch endlich jedesmal oxydirt werden; ausserdem
müssen auch die Verbindungen der Nahrungsmittel mehr Spannkräfte
führen als die Auswürflinge, da der thierische Körper theils bei der
Wärmebildung und theils bei der Muskelzusammenziehung Spannkräfte
in lebendige umsetzt. — Diese Bestimmungen sind nun, wie man leicht
einsieht, noch lange nicht genügend, um die besondere Combination der
nährenden Atome festzustellen, da sich in der That die geforderten
Bedingungen auf unzählige Weisen erfüllen lassen, wenn dem Darm-
kanale oder seinen Hilfswerkzeugen die Befähigung zukommt, beliebige
sauerstoffarme C-, H-, N verbindungen zu Eiweiss und Fett zusammenzu-
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/393>, abgerufen am 22.02.2025.
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