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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung.
Denn das Gastheilchen wird die im ersten Augenblick empfangene Geschwindigkeit
auch noch in allen folgenden behaupten; dieselbe wird aber in jedem folgenden
Augenblick vermehrt durch einen neuen Druck der sich abstossenden Gasmolekeln.
Die Anzahl der Stösse, welche das in Bewegung gesetzte Gastheilchen empfangen
hat, wächst also mit der Zeit und darum in derselben Weise die Geschwindigkeit.
Die Kraft der Stösse nimmt aber von einem zum andern Zeittheilchen ab, weil die
Entfernung der beiden Molekeln mit der Dauer der Bewegung steigt, und darum ver-
ringert sich mit der steigenden Zeit die beschleunigende Kraft, welche von jenen
Stössen abhängt.

4) Die Gesetze, welche für die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch Röhren
gelten, finden auch ihre Anwendung auf Gase, welche sich im Diffusionsstrom durch Röh-
ren bewegen. Tauchte z. B. die eine Mündung eines Rohrs in einen Behälter voll Sauer-
stoffgas und die andere Röhrenöffnung in eine Atmosphäre von Kohlensäure, so würden
unabhängig von einander zwei Gasströme in entgegengesetzten Richtungen durch das
Röhrenlumen laufen, und zwar darum ohne gegenseitige Störung, weil die Sauerstoff-
theilchen nicht von der CO2 und diese nicht von jener gedrückt würden. Die Bewe-
gung eines jeden dieser Ströme würde einzig und allein begründet sein in der Ab-
stossung der gleichartigen Gastheilchen, oder, was dasselbe bedeutet, von dem Dichtig-
keits- (Spannungs-) unterschied, welcher zwischen den gleichartigen Gastheilchen an
den beiden Enden der Röhre besteht. Vorausgesetzt, man bewerkstelligte es nun durch
irgend welche Vorrichtung, dass der Spannungsunterschied am Ende und am Anfang
des Rohrs während der ganzen Versuchsdauer unverändert bleibe, so würde sich auch
die Geschwindigkeit eines jeden Stroms in dieser Zeit constant erhalten, und es
müsste, weil eine Bewegung materieller Theilchen vor sich geht, die Geschwindig-
keit abhängig sein einerseits von dem Spannungsunterschied, und andererseits von
den Reibungen und dem Widerstande, welche die Anordnung der Röhre mit sich
bringt. Da es den Anschein hat, als ob diese Behauptungen der Theorie an sich
klar wären, so betonen wir der physiologischen Wichtigkeit wegen nur, dass die Di-
mensionen des Rohrs von Einfluss sind auf die Geschwindigkeit des Diffusionsstroms
nach der Röhrenlänge. Nehmen wir an, es sei uns ein trichterförmiges Rohr A B

[Abbildung] Fig. 61.
Fig. 61 gegeben, in welcher ein Sauerstoff-
strom von B nach A und ein Kohlensäure-
strom von A nach B gehe. Gesetzt nun,
es sei der Unterschied der grössern Kohlen-
säuredichtigkeit bei A und der geringere bei B
gleich demjenigen für den Sauerstoff bei B
(der grössern) und A (der geringern), so wür-
den die Triebkräfte, welche den CO2 strom
bewegen, doch grösser sein, als diejeni-
gen, welche die Sauerstoffbewegung einlei-
ten und darum auch die Geschwindigkeit
des ersteren über die des letztern überwie-
gen. Dieses ist ohne weiteren Beweis einleuchtend, weil bei gleicher Spannung in
den Gasflächen die Zahl der CO2theilchen, welche von A nach B hin drückt, grösser
ist, als die der Sauerstofftheilchen, welche von B nach A hin drängen. Wir machen
im Voraus darauf aufmerksam, dass der CO2strom beginnt von der Lungenoberfläche,
welche eine Ausbreitung von vielen Quadratfussen besitzt, und mündet in der engen
Luftröhre, während umgekehrt der Sauerstoffstrom von den Wurzeln gegen die En-
den der Lunge streichen muss.

5. Setzen wir voraus, es wäre uns ein geschlossener Raum gegeben, welcher mit
einer beliebigen Gasart, z. B. mit atmosphärischer Luft, gefüllt sei, und es werde

Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung.
Denn das Gastheilchen wird die im ersten Augenblick empfangene Geschwindigkeit
auch noch in allen folgenden behaupten; dieselbe wird aber in jedem folgenden
Augenblick vermehrt durch einen neuen Druck der sich abstossenden Gasmolekeln.
Die Anzahl der Stösse, welche das in Bewegung gesetzte Gastheilchen empfangen
hat, wächst also mit der Zeit und darum in derselben Weise die Geschwindigkeit.
Die Kraft der Stösse nimmt aber von einem zum andern Zeittheilchen ab, weil die
Entfernung der beiden Molekeln mit der Dauer der Bewegung steigt, und darum ver-
ringert sich mit der steigenden Zeit die beschleunigende Kraft, welche von jenen
Stössen abhängt.

4) Die Gesetze, welche für die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch Röhren
gelten, finden auch ihre Anwendung auf Gase, welche sich im Diffusionsstrom durch Röh-
ren bewegen. Tauchte z. B. die eine Mündung eines Rohrs in einen Behälter voll Sauer-
stoffgas und die andere Röhrenöffnung in eine Atmosphäre von Kohlensäure, so würden
unabhängig von einander zwei Gasströme in entgegengesetzten Richtungen durch das
Röhrenlumen laufen, und zwar darum ohne gegenseitige Störung, weil die Sauerstoff-
theilchen nicht von der CO2 und diese nicht von jener gedrückt würden. Die Bewe-
gung eines jeden dieser Ströme würde einzig und allein begründet sein in der Ab-
stossung der gleichartigen Gastheilchen, oder, was dasselbe bedeutet, von dem Dichtig-
keits- (Spannungs-) unterschied, welcher zwischen den gleichartigen Gastheilchen an
den beiden Enden der Röhre besteht. Vorausgesetzt, man bewerkstelligte es nun durch
irgend welche Vorrichtung, dass der Spannungsunterschied am Ende und am Anfang
des Rohrs während der ganzen Versuchsdauer unverändert bleibe, so würde sich auch
die Geschwindigkeit eines jeden Stroms in dieser Zeit constant erhalten, und es
müsste, weil eine Bewegung materieller Theilchen vor sich geht, die Geschwindig-
keit abhängig sein einerseits von dem Spannungsunterschied, und andererseits von
den Reibungen und dem Widerstande, welche die Anordnung der Röhre mit sich
bringt. Da es den Anschein hat, als ob diese Behauptungen der Theorie an sich
klar wären, so betonen wir der physiologischen Wichtigkeit wegen nur, dass die Di-
mensionen des Rohrs von Einfluss sind auf die Geschwindigkeit des Diffusionsstroms
nach der Röhrenlänge. Nehmen wir an, es sei uns ein trichterförmiges Rohr A B

[Abbildung] Fig. 61.
Fig. 61 gegeben, in welcher ein Sauerstoff-
strom von B nach A und ein Kohlensäure-
strom von A nach B gehe. Gesetzt nun,
es sei der Unterschied der grössern Kohlen-
säuredichtigkeit bei A und der geringere bei B
gleich demjenigen für den Sauerstoff bei B
(der grössern) und A (der geringern), so wür-
den die Triebkräfte, welche den CO2 strom
bewegen, doch grösser sein, als diejeni-
gen, welche die Sauerstoffbewegung einlei-
ten und darum auch die Geschwindigkeit
des ersteren über die des letztern überwie-
gen. Dieses ist ohne weiteren Beweis einleuchtend, weil bei gleicher Spannung in
den Gasflächen die Zahl der CO2theilchen, welche von A nach B hin drückt, grösser
ist, als die der Sauerstofftheilchen, welche von B nach A hin drängen. Wir machen
im Voraus darauf aufmerksam, dass der CO2strom beginnt von der Lungenoberfläche,
welche eine Ausbreitung von vielen Quadratfussen besitzt, und mündet in der engen
Luftröhre, während umgekehrt der Sauerstoffstrom von den Wurzeln gegen die En-
den der Lunge streichen muss.

5. Setzen wir voraus, es wäre uns ein geschlossener Raum gegeben, welcher mit
einer beliebigen Gasart, z. B. mit atmosphärischer Luft, gefüllt sei, und es werde

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[324/0340] Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung. Denn das Gastheilchen wird die im ersten Augenblick empfangene Geschwindigkeit auch noch in allen folgenden behaupten; dieselbe wird aber in jedem folgenden Augenblick vermehrt durch einen neuen Druck der sich abstossenden Gasmolekeln. Die Anzahl der Stösse, welche das in Bewegung gesetzte Gastheilchen empfangen hat, wächst also mit der Zeit und darum in derselben Weise die Geschwindigkeit. Die Kraft der Stösse nimmt aber von einem zum andern Zeittheilchen ab, weil die Entfernung der beiden Molekeln mit der Dauer der Bewegung steigt, und darum ver- ringert sich mit der steigenden Zeit die beschleunigende Kraft, welche von jenen Stössen abhängt. 4) Die Gesetze, welche für die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch Röhren gelten, finden auch ihre Anwendung auf Gase, welche sich im Diffusionsstrom durch Röh- ren bewegen. Tauchte z. B. die eine Mündung eines Rohrs in einen Behälter voll Sauer- stoffgas und die andere Röhrenöffnung in eine Atmosphäre von Kohlensäure, so würden unabhängig von einander zwei Gasströme in entgegengesetzten Richtungen durch das Röhrenlumen laufen, und zwar darum ohne gegenseitige Störung, weil die Sauerstoff- theilchen nicht von der CO2 und diese nicht von jener gedrückt würden. Die Bewe- gung eines jeden dieser Ströme würde einzig und allein begründet sein in der Ab- stossung der gleichartigen Gastheilchen, oder, was dasselbe bedeutet, von dem Dichtig- keits- (Spannungs-) unterschied, welcher zwischen den gleichartigen Gastheilchen an den beiden Enden der Röhre besteht. Vorausgesetzt, man bewerkstelligte es nun durch irgend welche Vorrichtung, dass der Spannungsunterschied am Ende und am Anfang des Rohrs während der ganzen Versuchsdauer unverändert bleibe, so würde sich auch die Geschwindigkeit eines jeden Stroms in dieser Zeit constant erhalten, und es müsste, weil eine Bewegung materieller Theilchen vor sich geht, die Geschwindig- keit abhängig sein einerseits von dem Spannungsunterschied, und andererseits von den Reibungen und dem Widerstande, welche die Anordnung der Röhre mit sich bringt. Da es den Anschein hat, als ob diese Behauptungen der Theorie an sich klar wären, so betonen wir der physiologischen Wichtigkeit wegen nur, dass die Di- mensionen des Rohrs von Einfluss sind auf die Geschwindigkeit des Diffusionsstroms nach der Röhrenlänge. Nehmen wir an, es sei uns ein trichterförmiges Rohr A B [Abbildung Fig. 61.] Fig. 61 gegeben, in welcher ein Sauerstoff- strom von B nach A und ein Kohlensäure- strom von A nach B gehe. Gesetzt nun, es sei der Unterschied der grössern Kohlen- säuredichtigkeit bei A und der geringere bei B gleich demjenigen für den Sauerstoff bei B (der grössern) und A (der geringern), so wür- den die Triebkräfte, welche den CO2 strom bewegen, doch grösser sein, als diejeni- gen, welche die Sauerstoffbewegung einlei- ten und darum auch die Geschwindigkeit des ersteren über die des letztern überwie- gen. Dieses ist ohne weiteren Beweis einleuchtend, weil bei gleicher Spannung in den Gasflächen die Zahl der CO2theilchen, welche von A nach B hin drückt, grösser ist, als die der Sauerstofftheilchen, welche von B nach A hin drängen. Wir machen im Voraus darauf aufmerksam, dass der CO2strom beginnt von der Lungenoberfläche, welche eine Ausbreitung von vielen Quadratfussen besitzt, und mündet in der engen Luftröhre, während umgekehrt der Sauerstoffstrom von den Wurzeln gegen die En- den der Lunge streichen muss. 5. Setzen wir voraus, es wäre uns ein geschlossener Raum gegeben, welcher mit einer beliebigen Gasart, z. B. mit atmosphärischer Luft, gefüllt sei, und es werde

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/340>, abgerufen am 22.11.2024.