Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Fester Aggregatzustand, Formfolge.
keit, aus welcher das Gebilde hervorwuchs, oder in die Stoffe selbst, welche
die einmal dargestellte Form in sich schloss; mit einem Worte, sie spra-
chen von einem Bildungsvermögen der Flüssigkeit, die sie u. A. Keim-
flüssigkeit oder Blastema nannten, oder von einem Entwickelungsbestre-
ben der Elementargebilde. Noch weiter detaillirend bestimmten sie nun
mit einer gewissen Willkührlichkeit einige hervorleuchtende Stadien der
Formfolge, je nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens, der Daner ihres Be-
stehens oder der grössern und geringern Zahl ihrer wohl unterscheid-
baren Merkmale, als Keim, aufsteigende, vollendete, rückgängige Entwicke-
lungsstufen. Unzweifelhaft ist es eine schöne und schwierige Aufgabe
für den Anatomen, alle die Veränderungen festzustellen, welche eine Form
während ihres gesammten Bestehens anzunehmen vermag. Denn erst wenn
dieses geschehen, wird die weiterschreitende Untersuchung den Mechanis-
mus ihrer Erzeugung und Umbildung in Angriff nehmen können. Würde
diese endlich dahin führen, angeben zu können, welche Kräfte in jedem
Falle die Atome bestimmen, den festen mit dem flüssigen Aggregatzustand
zu vertauschen, und weiter, welcher Art die Anziehungen sind, die ihnen
jedesmal ihre Stellung zu allen benachbarten anweisen, so würde damit
eine Entwickelungsgeschichte der Elementarformen im wahren Sinne des
Worts gegeben sein.

Diesen Ausdruck hat man nun aber, wie bekannt, zur Bezeichnung
des Inhalts einer andern Beobachtungsreihe gewählt, für die nemlich,
welche die zeitliche Folge der einander abwechselnden Formen eines Ge-
bildes darstellt. Wenn man damit sagen wollte, dass die Lagerungsver-
hältnisse, welche die Atome annehmen, als sie in eine zuerst auftretende
Form gebannt waren, zugleich bestimmend wirken für ihre Anordnung
in einer darauf folgenden Phase, so ist gegen eine solche Bezeichnung
nur einzuwenden, dass der Ausdruck zu vielsagend ist. Man konnte
nemlich denselben auch so auffassen, als ob er bezeichnen wollte,
die erste Anordnung der Atome enthält sämmtliche Bedingungen, aus
denen die spätern hervorgehen müssen. Um allen Missverständnissen
vorzubeugen, werden wir in Zukunft statt des von den Anatomen gebrauch-
ten Ausdrucks einen andern, die Formfolge, einführen.

Der Physiologe, welcher es unternimmt, nach dem Grunde für die
Entstehung, Umformung und Auflösung der Elementargebilde zu forschen,
wird sich zu fragen haben: wie wird der feste Aggregatzustand in jedem
Falle möglich; warum nehmen die festgewordenene Massen die von den
Anatomen erkannten Formen an; und endlich, was bedingt die Verän-
derungen derselben.

a. Aus welchen Gründen entsteht in den Flüssigkeiten des thieri-
schen Leibes ein Niederschlag? Indem wir zur Aufzählung der Hülfs-
mittel schreiten, welche der Organismus besitzt, um den flüssigen Aggre-
gatzustand seiner Bestandtheile in den festen zu verkehren, darf die Be-

Fester Aggregatzustand, Formfolge.
keit, aus welcher das Gebilde hervorwuchs, oder in die Stoffe selbst, welche
die einmal dargestellte Form in sich schloss; mit einem Worte, sie spra-
chen von einem Bildungsvermögen der Flüssigkeit, die sie u. A. Keim-
flüssigkeit oder Blastema nannten, oder von einem Entwickelungsbestre-
ben der Elementargebilde. Noch weiter detaillirend bestimmten sie nun
mit einer gewissen Willkührlichkeit einige hervorleuchtende Stadien der
Formfolge, je nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens, der Daner ihres Be-
stehens oder der grössern und geringern Zahl ihrer wohl unterscheid-
baren Merkmale, als Keim, aufsteigende, vollendete, rückgängige Entwicke-
lungsstufen. Unzweifelhaft ist es eine schöne und schwierige Aufgabe
für den Anatomen, alle die Veränderungen festzustellen, welche eine Form
während ihres gesammten Bestehens anzunehmen vermag. Denn erst wenn
dieses geschehen, wird die weiterschreitende Untersuchung den Mechanis-
mus ihrer Erzeugung und Umbildung in Angriff nehmen können. Würde
diese endlich dahin führen, angeben zu können, welche Kräfte in jedem
Falle die Atome bestimmen, den festen mit dem flüssigen Aggregatzustand
zu vertauschen, und weiter, welcher Art die Anziehungen sind, die ihnen
jedesmal ihre Stellung zu allen benachbarten anweisen, so würde damit
eine Entwickelungsgeschichte der Elementarformen im wahren Sinne des
Worts gegeben sein.

Diesen Ausdruck hat man nun aber, wie bekannt, zur Bezeichnung
des Inhalts einer andern Beobachtungsreihe gewählt, für die nemlich,
welche die zeitliche Folge der einander abwechselnden Formen eines Ge-
bildes darstellt. Wenn man damit sagen wollte, dass die Lagerungsver-
hältnisse, welche die Atome annehmen, als sie in eine zuerst auftretende
Form gebannt waren, zugleich bestimmend wirken für ihre Anordnung
in einer darauf folgenden Phase, so ist gegen eine solche Bezeichnung
nur einzuwenden, dass der Ausdruck zu vielsagend ist. Man konnte
nemlich denselben auch so auffassen, als ob er bezeichnen wollte,
die erste Anordnung der Atome enthält sämmtliche Bedingungen, aus
denen die spätern hervorgehen müssen. Um allen Missverständnissen
vorzubeugen, werden wir in Zukunft statt des von den Anatomen gebrauch-
ten Ausdrucks einen andern, die Formfolge, einführen.

Der Physiologe, welcher es unternimmt, nach dem Grunde für die
Entstehung, Umformung und Auflösung der Elementargebilde zu forschen,
wird sich zu fragen haben: wie wird der feste Aggregatzustand in jedem
Falle möglich; warum nehmen die festgewordenene Massen die von den
Anatomen erkannten Formen an; und endlich, was bedingt die Verän-
derungen derselben.

α. Aus welchen Gründen entsteht in den Flüssigkeiten des thieri-
schen Leibes ein Niederschlag? Indem wir zur Aufzählung der Hülfs-
mittel schreiten, welche der Organismus besitzt, um den flüssigen Aggre-
gatzustand seiner Bestandtheile in den festen zu verkehren, darf die Be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="155"/><fw place="top" type="header">Fester Aggregatzustand, Formfolge.</fw><lb/>
keit, aus welcher das Gebilde hervorwuchs, oder in die Stoffe selbst, welche<lb/>
die einmal dargestellte Form in sich schloss; mit einem Worte, sie spra-<lb/>
chen von einem Bildungsvermögen der Flüssigkeit, die sie u. A. Keim-<lb/>
flüssigkeit oder Blastema nannten, oder von einem Entwickelungsbestre-<lb/>
ben der Elementargebilde. Noch weiter detaillirend bestimmten sie nun<lb/>
mit einer gewissen Willkührlichkeit einige hervorleuchtende Stadien der<lb/>
Formfolge, je nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens, der Daner ihres Be-<lb/>
stehens oder der grössern und geringern Zahl ihrer wohl unterscheid-<lb/>
baren Merkmale, als Keim, aufsteigende, vollendete, rückgängige Entwicke-<lb/>
lungsstufen. Unzweifelhaft ist es eine schöne und schwierige Aufgabe<lb/>
für den Anatomen, alle die Veränderungen festzustellen, welche eine Form<lb/>
während ihres gesammten Bestehens anzunehmen vermag. Denn erst wenn<lb/>
dieses geschehen, wird die weiterschreitende Untersuchung den Mechanis-<lb/>
mus ihrer Erzeugung und Umbildung in Angriff nehmen können. Würde<lb/>
diese endlich dahin führen, angeben zu können, welche Kräfte in jedem<lb/>
Falle die Atome bestimmen, den festen mit dem flüssigen Aggregatzustand<lb/>
zu vertauschen, und weiter, welcher Art die Anziehungen sind, die ihnen<lb/>
jedesmal ihre Stellung zu allen benachbarten anweisen, so würde damit<lb/>
eine Entwickelungsgeschichte der Elementarformen im wahren Sinne des<lb/>
Worts gegeben sein.</p><lb/>
          <p>Diesen Ausdruck hat man nun aber, wie bekannt, zur Bezeichnung<lb/>
des Inhalts einer andern Beobachtungsreihe gewählt, für die nemlich,<lb/>
welche die zeitliche Folge der einander abwechselnden Formen eines Ge-<lb/>
bildes darstellt. Wenn man damit sagen wollte, dass die Lagerungsver-<lb/>
hältnisse, welche die Atome annehmen, als sie in eine zuerst auftretende<lb/>
Form gebannt waren, zugleich bestimmend wirken für ihre Anordnung<lb/>
in einer darauf folgenden Phase, so ist gegen eine solche Bezeichnung<lb/>
nur einzuwenden, dass der Ausdruck zu vielsagend ist. Man konnte<lb/>
nemlich denselben auch so auffassen, als ob er bezeichnen wollte,<lb/>
die erste Anordnung der Atome enthält sämmtliche Bedingungen, aus<lb/>
denen die spätern hervorgehen müssen. Um allen Missverständnissen<lb/>
vorzubeugen, werden wir in Zukunft statt des von den Anatomen gebrauch-<lb/>
ten Ausdrucks einen andern, die <hi rendition="#g">Formfolge</hi>, einführen.</p><lb/>
          <p>Der Physiologe, welcher es unternimmt, nach dem Grunde für die<lb/>
Entstehung, Umformung und Auflösung der Elementargebilde zu forschen,<lb/>
wird sich zu fragen haben: wie wird der feste Aggregatzustand in jedem<lb/>
Falle möglich; warum nehmen die festgewordenene Massen die von den<lb/>
Anatomen erkannten Formen an; und endlich, was bedingt die Verän-<lb/>
derungen derselben.</p><lb/>
          <p>&#x03B1;. Aus welchen Gründen entsteht in den Flüssigkeiten des thieri-<lb/>
schen Leibes ein Niederschlag? Indem wir zur Aufzählung der Hülfs-<lb/>
mittel schreiten, welche der Organismus besitzt, um den flüssigen Aggre-<lb/>
gatzustand seiner Bestandtheile in den festen zu verkehren, darf die Be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0171] Fester Aggregatzustand, Formfolge. keit, aus welcher das Gebilde hervorwuchs, oder in die Stoffe selbst, welche die einmal dargestellte Form in sich schloss; mit einem Worte, sie spra- chen von einem Bildungsvermögen der Flüssigkeit, die sie u. A. Keim- flüssigkeit oder Blastema nannten, oder von einem Entwickelungsbestre- ben der Elementargebilde. Noch weiter detaillirend bestimmten sie nun mit einer gewissen Willkührlichkeit einige hervorleuchtende Stadien der Formfolge, je nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens, der Daner ihres Be- stehens oder der grössern und geringern Zahl ihrer wohl unterscheid- baren Merkmale, als Keim, aufsteigende, vollendete, rückgängige Entwicke- lungsstufen. Unzweifelhaft ist es eine schöne und schwierige Aufgabe für den Anatomen, alle die Veränderungen festzustellen, welche eine Form während ihres gesammten Bestehens anzunehmen vermag. Denn erst wenn dieses geschehen, wird die weiterschreitende Untersuchung den Mechanis- mus ihrer Erzeugung und Umbildung in Angriff nehmen können. Würde diese endlich dahin führen, angeben zu können, welche Kräfte in jedem Falle die Atome bestimmen, den festen mit dem flüssigen Aggregatzustand zu vertauschen, und weiter, welcher Art die Anziehungen sind, die ihnen jedesmal ihre Stellung zu allen benachbarten anweisen, so würde damit eine Entwickelungsgeschichte der Elementarformen im wahren Sinne des Worts gegeben sein. Diesen Ausdruck hat man nun aber, wie bekannt, zur Bezeichnung des Inhalts einer andern Beobachtungsreihe gewählt, für die nemlich, welche die zeitliche Folge der einander abwechselnden Formen eines Ge- bildes darstellt. Wenn man damit sagen wollte, dass die Lagerungsver- hältnisse, welche die Atome annehmen, als sie in eine zuerst auftretende Form gebannt waren, zugleich bestimmend wirken für ihre Anordnung in einer darauf folgenden Phase, so ist gegen eine solche Bezeichnung nur einzuwenden, dass der Ausdruck zu vielsagend ist. Man konnte nemlich denselben auch so auffassen, als ob er bezeichnen wollte, die erste Anordnung der Atome enthält sämmtliche Bedingungen, aus denen die spätern hervorgehen müssen. Um allen Missverständnissen vorzubeugen, werden wir in Zukunft statt des von den Anatomen gebrauch- ten Ausdrucks einen andern, die Formfolge, einführen. Der Physiologe, welcher es unternimmt, nach dem Grunde für die Entstehung, Umformung und Auflösung der Elementargebilde zu forschen, wird sich zu fragen haben: wie wird der feste Aggregatzustand in jedem Falle möglich; warum nehmen die festgewordenene Massen die von den Anatomen erkannten Formen an; und endlich, was bedingt die Verän- derungen derselben. α. Aus welchen Gründen entsteht in den Flüssigkeiten des thieri- schen Leibes ein Niederschlag? Indem wir zur Aufzählung der Hülfs- mittel schreiten, welche der Organismus besitzt, um den flüssigen Aggre- gatzustand seiner Bestandtheile in den festen zu verkehren, darf die Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/171
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/171>, abgerufen am 21.11.2024.