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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Die Abnahme der mittleren Spannung.
dass wenn ein und dasselbe Flüssigkeitsquantum durch denselben Quer-
schnitt strömt, es am Ende des Rohrs hierzu längere Zeit nöthig hat,
als am Beginn desselben. Wendet man diese Betrachtung auf die arte-
riellen Röhren an, so würde die eben vorgelegte Thatsache nichts ande-
res sagen, als: es ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeit am Ende des
Arteriensystems so verlangsamt, dass vom Beginn eines Herzschlags zum
andern durch den viel grössern Gesammtquerschnitt gerade so viel
strömt, als während der Dauer einer Herzzusammenziehung durch die
Aortenmündung floss. Indem dieses geschieht, muss aber endlich eine
Geschwindigkeit der in einen beliebigen Querschnitt einströmenden Flüs-
sigkeit erreicht werden, welche gerade so gross ist, als die der ausströ-
menden. -- Der Ort im Gefässsystem, an welchem sich der Strom mit
steigender und fallender Spannung umsetzt in einen solchen mit gleich-
förmiger, hat nun erfahrungsgemäss keine feste Lage; er rückt unter
Umständen nicht allein weiter hinaus, z. B. in das Capillarensystem
hinein, sondern es kommt zuweilen ein Ort gleichförmiger Spannung gar
nicht zu Stande. Die Theorie behauptet, es müsse das Hinausrücken
des Ortes von gleichmässiger Spannung geschehen, entweder wenn bei
gleichbleibenden Verhältnissen an der Herzmündung die Widerstände, die
sich dem Abfluss in die Capillaren und Venen entgegensetzen, vermehrt
werden, oder wenn bei gleich bleibenden Widerständen an letzterer Stelle
der Umfang und die Geschwindigkeit der Herzschläge in der Weise sich
ändern, dass in gleichen Zeiten mehr Flüssigkeit in die Aorta dringt.
In der That wird dieses von der Erfahrung bestätigt, insofern z. B. Ar-
terien plötzlich zu pulsiren beginnen, die es vorher nicht thaten, wenn
entweder ihre Abflussröhren verstopft sind (bei sog. Entzündungen), oder
wenn das Herz in grosser Aufregung sich bewegt. -- Die Erscheinung,
dass irgendwo im Gefässrohr ein Ort gleichbleibender Spannung zum
Vorschein kommt, muss dagegen ganz ausbleiben, wenn die Herzschläge
so spärlich aufeinanderfolgen, dass es Zeiten giebt, in denen überhaupt
keine Bewegung im Gefässrohr mehr statt findet. Dieses tritt aber ge-
wöhnlich erst beim Absterben eines Thieres ein, weshalb auch dort noch
ein, wenn auch schwacher, Puls in den Capillaren beobachtet wird.

Die Curve (Fig. 45.) thut demnächst dar, dass die mittlere Span-
nung in den Arterien von der Aorta nach den Capillaren in Abnahme
begriffen sei. Diese Thatsache ist sogleich begreiflich, wenn man er-
wägt, dass die mittlere Spannung nichts anderes ist, als ein Ausdruck
für das Maass der spannenden Kräfte, welche in dem gerade betrachte-
ten Querschnitt von einer zur andern Zeit wirksam sind. Dass sie die-
ses aber bedeutet, geht aus der Definition der mittleren Kraft selbst
hervor. Denn sie wird gefunden, wenn man alle die verschiedenen Span-
nungen addirt, welche an einem Ort während einer bestimmten Summe
von Zeiteinheiten bestehen, und die hieraus gebildete Gesammtzahl dividirt

Ludwig, Physiologie. II. 7

Die Abnahme der mittleren Spannung.
dass wenn ein und dasselbe Flüssigkeitsquantum durch denselben Quer-
schnitt strömt, es am Ende des Rohrs hierzu längere Zeit nöthig hat,
als am Beginn desselben. Wendet man diese Betrachtung auf die arte-
riellen Röhren an, so würde die eben vorgelegte Thatsache nichts ande-
res sagen, als: es ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeit am Ende des
Arteriensystems so verlangsamt, dass vom Beginn eines Herzschlags zum
andern durch den viel grössern Gesammtquerschnitt gerade so viel
strömt, als während der Dauer einer Herzzusammenziehung durch die
Aortenmündung floss. Indem dieses geschieht, muss aber endlich eine
Geschwindigkeit der in einen beliebigen Querschnitt einströmenden Flüs-
sigkeit erreicht werden, welche gerade so gross ist, als die der ausströ-
menden. — Der Ort im Gefässsystem, an welchem sich der Strom mit
steigender und fallender Spannung umsetzt in einen solchen mit gleich-
förmiger, hat nun erfahrungsgemäss keine feste Lage; er rückt unter
Umständen nicht allein weiter hinaus, z. B. in das Capillarensystem
hinein, sondern es kommt zuweilen ein Ort gleichförmiger Spannung gar
nicht zu Stande. Die Theorie behauptet, es müsse das Hinausrücken
des Ortes von gleichmässiger Spannung geschehen, entweder wenn bei
gleichbleibenden Verhältnissen an der Herzmündung die Widerstände, die
sich dem Abfluss in die Capillaren und Venen entgegensetzen, vermehrt
werden, oder wenn bei gleich bleibenden Widerständen an letzterer Stelle
der Umfang und die Geschwindigkeit der Herzschläge in der Weise sich
ändern, dass in gleichen Zeiten mehr Flüssigkeit in die Aorta dringt.
In der That wird dieses von der Erfahrung bestätigt, insofern z. B. Ar-
terien plötzlich zu pulsiren beginnen, die es vorher nicht thaten, wenn
entweder ihre Abflussröhren verstopft sind (bei sog. Entzündungen), oder
wenn das Herz in grosser Aufregung sich bewegt. — Die Erscheinung,
dass irgendwo im Gefässrohr ein Ort gleichbleibender Spannung zum
Vorschein kommt, muss dagegen ganz ausbleiben, wenn die Herzschläge
so spärlich aufeinanderfolgen, dass es Zeiten giebt, in denen überhaupt
keine Bewegung im Gefässrohr mehr statt findet. Dieses tritt aber ge-
wöhnlich erst beim Absterben eines Thieres ein, weshalb auch dort noch
ein, wenn auch schwacher, Puls in den Capillaren beobachtet wird.

Die Curve (Fig. 45.) thut demnächst dar, dass die mittlere Span-
nung in den Arterien von der Aorta nach den Capillaren in Abnahme
begriffen sei. Diese Thatsache ist sogleich begreiflich, wenn man er-
wägt, dass die mittlere Spannung nichts anderes ist, als ein Ausdruck
für das Maass der spannenden Kräfte, welche in dem gerade betrachte-
ten Querschnitt von einer zur andern Zeit wirksam sind. Dass sie die-
ses aber bedeutet, geht aus der Definition der mittleren Kraft selbst
hervor. Denn sie wird gefunden, wenn man alle die verschiedenen Span-
nungen addirt, welche an einem Ort während einer bestimmten Summe
von Zeiteinheiten bestehen, und die hieraus gebildete Gesammtzahl dividirt

Ludwig, Physiologie. II. 7
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[97/0113] Die Abnahme der mittleren Spannung. dass wenn ein und dasselbe Flüssigkeitsquantum durch denselben Quer- schnitt strömt, es am Ende des Rohrs hierzu längere Zeit nöthig hat, als am Beginn desselben. Wendet man diese Betrachtung auf die arte- riellen Röhren an, so würde die eben vorgelegte Thatsache nichts ande- res sagen, als: es ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeit am Ende des Arteriensystems so verlangsamt, dass vom Beginn eines Herzschlags zum andern durch den viel grössern Gesammtquerschnitt gerade so viel strömt, als während der Dauer einer Herzzusammenziehung durch die Aortenmündung floss. Indem dieses geschieht, muss aber endlich eine Geschwindigkeit der in einen beliebigen Querschnitt einströmenden Flüs- sigkeit erreicht werden, welche gerade so gross ist, als die der ausströ- menden. — Der Ort im Gefässsystem, an welchem sich der Strom mit steigender und fallender Spannung umsetzt in einen solchen mit gleich- förmiger, hat nun erfahrungsgemäss keine feste Lage; er rückt unter Umständen nicht allein weiter hinaus, z. B. in das Capillarensystem hinein, sondern es kommt zuweilen ein Ort gleichförmiger Spannung gar nicht zu Stande. Die Theorie behauptet, es müsse das Hinausrücken des Ortes von gleichmässiger Spannung geschehen, entweder wenn bei gleichbleibenden Verhältnissen an der Herzmündung die Widerstände, die sich dem Abfluss in die Capillaren und Venen entgegensetzen, vermehrt werden, oder wenn bei gleich bleibenden Widerständen an letzterer Stelle der Umfang und die Geschwindigkeit der Herzschläge in der Weise sich ändern, dass in gleichen Zeiten mehr Flüssigkeit in die Aorta dringt. In der That wird dieses von der Erfahrung bestätigt, insofern z. B. Ar- terien plötzlich zu pulsiren beginnen, die es vorher nicht thaten, wenn entweder ihre Abflussröhren verstopft sind (bei sog. Entzündungen), oder wenn das Herz in grosser Aufregung sich bewegt. — Die Erscheinung, dass irgendwo im Gefässrohr ein Ort gleichbleibender Spannung zum Vorschein kommt, muss dagegen ganz ausbleiben, wenn die Herzschläge so spärlich aufeinanderfolgen, dass es Zeiten giebt, in denen überhaupt keine Bewegung im Gefässrohr mehr statt findet. Dieses tritt aber ge- wöhnlich erst beim Absterben eines Thieres ein, weshalb auch dort noch ein, wenn auch schwacher, Puls in den Capillaren beobachtet wird. Die Curve (Fig. 45.) thut demnächst dar, dass die mittlere Span- nung in den Arterien von der Aorta nach den Capillaren in Abnahme begriffen sei. Diese Thatsache ist sogleich begreiflich, wenn man er- wägt, dass die mittlere Spannung nichts anderes ist, als ein Ausdruck für das Maass der spannenden Kräfte, welche in dem gerade betrachte- ten Querschnitt von einer zur andern Zeit wirksam sind. Dass sie die- ses aber bedeutet, geht aus der Definition der mittleren Kraft selbst hervor. Denn sie wird gefunden, wenn man alle die verschiedenen Span- nungen addirt, welche an einem Ort während einer bestimmten Summe von Zeiteinheiten bestehen, und die hieraus gebildete Gesammtzahl dividirt Ludwig, Physiologie. II. 7

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/113>, abgerufen am 22.11.2024.