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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Stärke, Reinheit.
fallen jedesmal die tiefern, in das der Fistel die höhern Noten, und
nur wenige Töne, welche auf der Grenze zwischen Brust- und Fistel-
stimme gelegen sind, können nach Belieben in beiden Registern ange-
geben werden. Der Unterschied zwischen Fistel- und Brustklang ist
beim Weibe weniger ausgeprägt als beim Manne. --

c. Stärke der Stimme. Sie ist sehr verschieden, im Allgemeinen
aber bei Individuen mit kleinem Brustkasten und wenig geräumiger
Mundhöhle schwach. Ausserdem können jedesmal die tiefsten Töne,
die ein Individuum hervorzubringen vermag, nur schwach angegeben
werden, während die höchsten nur sehr laut ansprechen. Das all-
mälige Anschwellen eines Tones, sein Gang vom piano zum forte
oder umgekehrt, ist der menschlichen Stimme möglich, aber nur mit
Schwierigkeiten und nach einer besonderen Erziehung derselben.

d. Reinheit der Stimme. Man versteht hierunter bald die Reinheit
des Klangs, ihre Befreiung von schwirrenden Geräuschen und dann
auch wieder das Vermögen, den Ton von gewünschter Höhe zu tref-
fen. Im erstern Sinn wechselt sie bei demselben Individuum nach
der Lebensweise und dem Lebensalter beträchtlich; gewissen Lebens-
perioden ist sie vollkommen versagt; z. B. dem Greisen- und Säug-
lingsalter, der Zeit, in welcher vorzugsweise die Geschlechtsentwick-
lung stattfindet; nach starken Erhitzungen, während bestehender Ka-
tarrhe in der Rachenhöhle und in dem Kehlkopf, nach starken An-
strengungen der Stimme ist die Reinheit getrübt. Im zweiten Sinne
ist die Reinheit der Simme keine angeborne, sondern eine anerzogene
Eigenschaft, wie sogleich daraus erhellt, dass ein Individuum mit
mangelhaft ausgebildetem Gehör niemals eine reine, die Noten tref-
fende Stimme gewinnt, selbst wenn seine Stimmwerkzeuge sich auch
der höchsten Vollendung erfreuen.

2. Methoden, um die einzelnen Theile des Stimmapparates auf
ihre musikalischen Leistungen zu prüfen.

a. Nach dem bahnbrechenden Vorgange von Joh. Müller benutzt man zur Er-
mittlung des Antheils, den die einzelnen Gebilde an der Erzeugung der Stimme nehmen,
den todten ausgeschnittenen Kehlkopf. Zu diesem Zweck richtet man sich ihn auf ver-
schiedene Weise vor, je nachdem man nur den Kehlkopf für sich oder zugleich auch
die Mundwerkzeuge mit in den Kreis der Untersuchung ziehen will. -- Im ersten
Fall trennt man den Kehlkopf vom Zungenbein, dem Kehldeckel und der Speiseröhre
und schneidet ihn darauf auch von der Luftröhre ab, jedoch so, dass noch ein län-
geres Stück derselben mit ihm in Verbindung bleibt. Dann entfernt man auch vor-
sichtig die oberen Stimmbänder, so dass man bequem die oberen freien Flächen der
unteren Stimmbänder sehen und mit Bequemlichkeit einen belastenden Körper z. B.
einen Messerstiel auf sie führen kann. Bei dieser Operation muss aber die Schleim-
haut, welche die mm. arytenoidei transversi überzieht, vollkommen erhalten blei-
ben. Nachdem man den Kehlkopf sorgfältig gereinigt hat, bindet man das ihm an-
hängende Luftröhrenrudiment auf ein weites rechtwinklich gebogenes Glasrohr
und befestigt den ganzen Kehlkopf und zwar am besten dadurch, dass man die cor-
nua superiora der cartilag. thyreoidea in einen Halter klemmt, wie sie in physikali-
schen und chemischen Laboratorien gebräuchlich sind. Dann schlingt man jederseits

Stärke, Reinheit.
fallen jedesmal die tiefern, in das der Fistel die höhern Noten, und
nur wenige Töne, welche auf der Grenze zwischen Brust- und Fistel-
stimme gelegen sind, können nach Belieben in beiden Registern ange-
geben werden. Der Unterschied zwischen Fistel- und Brustklang ist
beim Weibe weniger ausgeprägt als beim Manne. —

c. Stärke der Stimme. Sie ist sehr verschieden, im Allgemeinen
aber bei Individuen mit kleinem Brustkasten und wenig geräumiger
Mundhöhle schwach. Ausserdem können jedesmal die tiefsten Töne,
die ein Individuum hervorzubringen vermag, nur schwach angegeben
werden, während die höchsten nur sehr laut ansprechen. Das all-
mälige Anschwellen eines Tones, sein Gang vom piano zum forte
oder umgekehrt, ist der menschlichen Stimme möglich, aber nur mit
Schwierigkeiten und nach einer besonderen Erziehung derselben.

d. Reinheit der Stimme. Man versteht hierunter bald die Reinheit
des Klangs, ihre Befreiung von schwirrenden Geräuschen und dann
auch wieder das Vermögen, den Ton von gewünschter Höhe zu tref-
fen. Im erstern Sinn wechselt sie bei demselben Individuum nach
der Lebensweise und dem Lebensalter beträchtlich; gewissen Lebens-
perioden ist sie vollkommen versagt; z. B. dem Greisen- und Säug-
lingsalter, der Zeit, in welcher vorzugsweise die Geschlechtsentwick-
lung stattfindet; nach starken Erhitzungen, während bestehender Ka-
tarrhe in der Rachenhöhle und in dem Kehlkopf, nach starken An-
strengungen der Stimme ist die Reinheit getrübt. Im zweiten Sinne
ist die Reinheit der Simme keine angeborne, sondern eine anerzogene
Eigenschaft, wie sogleich daraus erhellt, dass ein Individuum mit
mangelhaft ausgebildetem Gehör niemals eine reine, die Noten tref-
fende Stimme gewinnt, selbst wenn seine Stimmwerkzeuge sich auch
der höchsten Vollendung erfreuen.

2. Methoden, um die einzelnen Theile des Stimmapparates auf
ihre musikalischen Leistungen zu prüfen.

a. Nach dem bahnbrechenden Vorgange von Joh. Müller benutzt man zur Er-
mittlung des Antheils, den die einzelnen Gebilde an der Erzeugung der Stimme nehmen,
den todten ausgeschnittenen Kehlkopf. Zu diesem Zweck richtet man sich ihn auf ver-
schiedene Weise vor, je nachdem man nur den Kehlkopf für sich oder zugleich auch
die Mundwerkzeuge mit in den Kreis der Untersuchung ziehen will. — Im ersten
Fall trennt man den Kehlkopf vom Zungenbein, dem Kehldeckel und der Speiseröhre
und schneidet ihn darauf auch von der Luftröhre ab, jedoch so, dass noch ein län-
geres Stück derselben mit ihm in Verbindung bleibt. Dann entfernt man auch vor-
sichtig die oberen Stimmbänder, so dass man bequem die oberen freien Flächen der
unteren Stimmbänder sehen und mit Bequemlichkeit einen belastenden Körper z. B.
einen Messerstiel auf sie führen kann. Bei dieser Operation muss aber die Schleim-
haut, welche die mm. arytenoidei transversi überzieht, vollkommen erhalten blei-
ben. Nachdem man den Kehlkopf sorgfältig gereinigt hat, bindet man das ihm an-
hängende Luftröhrenrudiment auf ein weites rechtwinklich gebogenes Glasrohr
und befestigt den ganzen Kehlkopf und zwar am besten dadurch, dass man die cor-
nua superiora der cartilag. thyreoidea in einen Halter klemmt, wie sie in physikali-
schen und chemischen Laboratorien gebräuchlich sind. Dann schlingt man jederseits

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[415/0429] Stärke, Reinheit. fallen jedesmal die tiefern, in das der Fistel die höhern Noten, und nur wenige Töne, welche auf der Grenze zwischen Brust- und Fistel- stimme gelegen sind, können nach Belieben in beiden Registern ange- geben werden. Der Unterschied zwischen Fistel- und Brustklang ist beim Weibe weniger ausgeprägt als beim Manne. — c. Stärke der Stimme. Sie ist sehr verschieden, im Allgemeinen aber bei Individuen mit kleinem Brustkasten und wenig geräumiger Mundhöhle schwach. Ausserdem können jedesmal die tiefsten Töne, die ein Individuum hervorzubringen vermag, nur schwach angegeben werden, während die höchsten nur sehr laut ansprechen. Das all- mälige Anschwellen eines Tones, sein Gang vom piano zum forte oder umgekehrt, ist der menschlichen Stimme möglich, aber nur mit Schwierigkeiten und nach einer besonderen Erziehung derselben. d. Reinheit der Stimme. Man versteht hierunter bald die Reinheit des Klangs, ihre Befreiung von schwirrenden Geräuschen und dann auch wieder das Vermögen, den Ton von gewünschter Höhe zu tref- fen. Im erstern Sinn wechselt sie bei demselben Individuum nach der Lebensweise und dem Lebensalter beträchtlich; gewissen Lebens- perioden ist sie vollkommen versagt; z. B. dem Greisen- und Säug- lingsalter, der Zeit, in welcher vorzugsweise die Geschlechtsentwick- lung stattfindet; nach starken Erhitzungen, während bestehender Ka- tarrhe in der Rachenhöhle und in dem Kehlkopf, nach starken An- strengungen der Stimme ist die Reinheit getrübt. Im zweiten Sinne ist die Reinheit der Simme keine angeborne, sondern eine anerzogene Eigenschaft, wie sogleich daraus erhellt, dass ein Individuum mit mangelhaft ausgebildetem Gehör niemals eine reine, die Noten tref- fende Stimme gewinnt, selbst wenn seine Stimmwerkzeuge sich auch der höchsten Vollendung erfreuen. 2. Methoden, um die einzelnen Theile des Stimmapparates auf ihre musikalischen Leistungen zu prüfen. a. Nach dem bahnbrechenden Vorgange von Joh. Müller benutzt man zur Er- mittlung des Antheils, den die einzelnen Gebilde an der Erzeugung der Stimme nehmen, den todten ausgeschnittenen Kehlkopf. Zu diesem Zweck richtet man sich ihn auf ver- schiedene Weise vor, je nachdem man nur den Kehlkopf für sich oder zugleich auch die Mundwerkzeuge mit in den Kreis der Untersuchung ziehen will. — Im ersten Fall trennt man den Kehlkopf vom Zungenbein, dem Kehldeckel und der Speiseröhre und schneidet ihn darauf auch von der Luftröhre ab, jedoch so, dass noch ein län- geres Stück derselben mit ihm in Verbindung bleibt. Dann entfernt man auch vor- sichtig die oberen Stimmbänder, so dass man bequem die oberen freien Flächen der unteren Stimmbänder sehen und mit Bequemlichkeit einen belastenden Körper z. B. einen Messerstiel auf sie führen kann. Bei dieser Operation muss aber die Schleim- haut, welche die mm. arytenoidei transversi überzieht, vollkommen erhalten blei- ben. Nachdem man den Kehlkopf sorgfältig gereinigt hat, bindet man das ihm an- hängende Luftröhrenrudiment auf ein weites rechtwinklich gebogenes Glasrohr und befestigt den ganzen Kehlkopf und zwar am besten dadurch, dass man die cor- nua superiora der cartilag. thyreoidea in einen Halter klemmt, wie sie in physikali- schen und chemischen Laboratorien gebräuchlich sind. Dann schlingt man jederseits

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/429>, abgerufen am 22.11.2024.