Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufrechtes Stehen.
fällt, welchen die auf dem Boden aufstehenden Füsse umschliessen, und
die zwischen dem Rumpf und dem Boden liegenden Hüft-, Knie- und
Fussgelenke hinreichend gesteift sind, um ein Abgleiten der Gelenk-
flächen von einander zu verhüten. Diese letztere Bedingung kann in Er-
füllung gebracht werden entweder allein durch eine Wirkung der Mus-
keln, oder vorzugsweise durch eine Gegenwirkung zwischen Bandmas-
sen und der Schwere des Rumpfes; je nachdem das eine oder das an-
dere dieser Hülfsmittel in Anwendung gebracht ist, kann das Stehen
kürzere oder längere Zeit ertragen werden, mit andern Worten er-
scheint uns dasselbe ermüdend oder bequem. Da das erstere auf eine
ganz willkürliche und mannigfach veränderliche Weise hervorgebracht
werden kann, so verzichten wir auf seine Darstellung und fassen nur
das bequeme Stehen in das Auge. Die Mittheilungen, die hier dar-
über gegeben sind, folgen den Untersuchungen von H. Meyer.

1. Lage der Schwerpunkte des Rumpfes und des Gesammtkör-
pers. Schwerlinie. Von einer konstanten Lage des Schwerpunktes
am Rumpf kann natürlich keine Rede sein, da das Gewicht seiner ein-
zelnen Abtheilungen, wie namentlich das der Unterleibseingeweide
einem fortlaufenden Schwanken unterworfen ist, da ferner seine einzel-
nen Theile sich gegeneinander bewegen können, und insbesondere die
an seinen Enden angebrachten Fortsätze, die Arme und der Hals, sehr
verschiedene Stellungen einzunehmen vermögen. Die allgemeine An-
gabe über die Lage des Schwerpunktes müsste sich also auf die Gren-
zen beziehen, innerhalb deren sie wechseln kann. Diese sind uns
aber nicht bekannt; wir wissen nur aus einem von Ed. Weber un-
tersuchten Fall, dass der Schwerpunkt des Rumpfes, d. h. des mensch-
lichen Körpers mit Ausschluss der Beine, in der Höhe des Schwertfort-
satzes zu suchen ist, vorausgesetzt, dass die Arme am Leib herab-
hängen und die Wirbelsäule gestreckt ist. Die Lage des Schwerpunktes
unseres Gesammtkörpers (des Rumpfes und der Beine) ist aber begreif-
lich eine andere als die des Rumpfschwerpunktes. Nach einer Beobach-
tung von Ed. Weber fällt die letztere in das Promontorium. Diese
Lagen der Schwerpunkte des Rumpfes sowohl als des Gesammtkör-
pers setzen wir in dem Folgenden als gültig voraus.

Die Beobachtung eines ruhig stehenden Menschen lässt nun er-
kennen, dass eine senkrechte Linie, welche vom Schwerpunkt gegen
den Boden gezogen wird, in den Raum zwischen beide Füsse fällt.
Von dieser Senkrechten, der sog. Schwerlinie weichen nun aber die
Verbindungslinien der Drehpunkte und Achsen aller oben genannten
Gelenke merklich ab und namentlich verhalten sie sich nach Meyer
in der Weise wie sie Fig. 126 angibt. Dieselbe stellt die Profilprojek-
tion des menschlichen Körpers mit eingezeichneten Knochen dar; in
ihr bezeichnet R den Schwerpunkt des Rumpfes; seine Lage in dieser
Ansicht ist bestimmt durch die nicht unwahrscheinliche Annahme,

Aufrechtes Stehen.
fällt, welchen die auf dem Boden aufstehenden Füsse umschliessen, und
die zwischen dem Rumpf und dem Boden liegenden Hüft-, Knie- und
Fussgelenke hinreichend gesteift sind, um ein Abgleiten der Gelenk-
flächen von einander zu verhüten. Diese letztere Bedingung kann in Er-
füllung gebracht werden entweder allein durch eine Wirkung der Mus-
keln, oder vorzugsweise durch eine Gegenwirkung zwischen Bandmas-
sen und der Schwere des Rumpfes; je nachdem das eine oder das an-
dere dieser Hülfsmittel in Anwendung gebracht ist, kann das Stehen
kürzere oder längere Zeit ertragen werden, mit andern Worten er-
scheint uns dasselbe ermüdend oder bequem. Da das erstere auf eine
ganz willkürliche und mannigfach veränderliche Weise hervorgebracht
werden kann, so verzichten wir auf seine Darstellung und fassen nur
das bequeme Stehen in das Auge. Die Mittheilungen, die hier dar-
über gegeben sind, folgen den Untersuchungen von H. Meyer.

1. Lage der Schwerpunkte des Rumpfes und des Gesammtkör-
pers. Schwerlinie. Von einer konstanten Lage des Schwerpunktes
am Rumpf kann natürlich keine Rede sein, da das Gewicht seiner ein-
zelnen Abtheilungen, wie namentlich das der Unterleibseingeweide
einem fortlaufenden Schwanken unterworfen ist, da ferner seine einzel-
nen Theile sich gegeneinander bewegen können, und insbesondere die
an seinen Enden angebrachten Fortsätze, die Arme und der Hals, sehr
verschiedene Stellungen einzunehmen vermögen. Die allgemeine An-
gabe über die Lage des Schwerpunktes müsste sich also auf die Gren-
zen beziehen, innerhalb deren sie wechseln kann. Diese sind uns
aber nicht bekannt; wir wissen nur aus einem von Ed. Weber un-
tersuchten Fall, dass der Schwerpunkt des Rumpfes, d. h. des mensch-
lichen Körpers mit Ausschluss der Beine, in der Höhe des Schwertfort-
satzes zu suchen ist, vorausgesetzt, dass die Arme am Leib herab-
hängen und die Wirbelsäule gestreckt ist. Die Lage des Schwerpunktes
unseres Gesammtkörpers (des Rumpfes und der Beine) ist aber begreif-
lich eine andere als die des Rumpfschwerpunktes. Nach einer Beobach-
tung von Ed. Weber fällt die letztere in das Promontorium. Diese
Lagen der Schwerpunkte des Rumpfes sowohl als des Gesammtkör-
pers setzen wir in dem Folgenden als gültig voraus.

Die Beobachtung eines ruhig stehenden Menschen lässt nun er-
kennen, dass eine senkrechte Linie, welche vom Schwerpunkt gegen
den Boden gezogen wird, in den Raum zwischen beide Füsse fällt.
Von dieser Senkrechten, der sog. Schwerlinie weichen nun aber die
Verbindungslinien der Drehpunkte und Achsen aller oben genannten
Gelenke merklich ab und namentlich verhalten sie sich nach Meyer
in der Weise wie sie Fig. 126 angibt. Dieselbe stellt die Profilprojek-
tion des menschlichen Körpers mit eingezeichneten Knochen dar; in
ihr bezeichnet R den Schwerpunkt des Rumpfes; seine Lage in dieser
Ansicht ist bestimmt durch die nicht unwahrscheinliche Annahme,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0419" n="405"/><fw place="top" type="header">Aufrechtes Stehen.</fw><lb/>
fällt, welchen die auf dem Boden aufstehenden Füsse umschliessen, und<lb/>
die zwischen dem Rumpf und dem Boden liegenden Hüft-, Knie- und<lb/>
Fussgelenke hinreichend gesteift sind, um ein Abgleiten der Gelenk-<lb/>
flächen von einander zu verhüten. Diese letztere Bedingung kann in Er-<lb/>
füllung gebracht werden entweder allein durch eine Wirkung der Mus-<lb/>
keln, oder vorzugsweise durch eine Gegenwirkung zwischen Bandmas-<lb/>
sen und der Schwere des Rumpfes; je nachdem das eine oder das an-<lb/>
dere dieser Hülfsmittel in Anwendung gebracht ist, kann das Stehen<lb/>
kürzere oder längere Zeit ertragen werden, mit andern Worten er-<lb/>
scheint uns dasselbe ermüdend oder bequem. Da das erstere auf eine<lb/>
ganz willkürliche und mannigfach veränderliche Weise hervorgebracht<lb/>
werden kann, so verzichten wir auf seine Darstellung und fassen nur<lb/>
das <hi rendition="#g">bequeme Stehen</hi> in das Auge. Die Mittheilungen, die hier dar-<lb/>
über gegeben sind, folgen den Untersuchungen von H. <hi rendition="#g">Meyer</hi>.</p><lb/>
            <p>1. Lage der Schwerpunkte des Rumpfes und des Gesammtkör-<lb/>
pers. Schwerlinie. Von einer konstanten Lage des Schwerpunktes<lb/>
am Rumpf kann natürlich keine Rede sein, da das Gewicht seiner ein-<lb/>
zelnen Abtheilungen, wie namentlich das der Unterleibseingeweide<lb/>
einem fortlaufenden Schwanken unterworfen ist, da ferner seine einzel-<lb/>
nen Theile sich gegeneinander bewegen können, und insbesondere die<lb/>
an seinen Enden angebrachten Fortsätze, die Arme und der Hals, sehr<lb/>
verschiedene Stellungen einzunehmen vermögen. Die allgemeine An-<lb/>
gabe über die Lage des Schwerpunktes müsste sich also auf die Gren-<lb/>
zen beziehen, innerhalb deren sie wechseln kann. Diese sind uns<lb/>
aber nicht bekannt; wir wissen nur aus einem von <hi rendition="#g">Ed. Weber</hi> un-<lb/>
tersuchten Fall, dass der Schwerpunkt des Rumpfes, d. h. des mensch-<lb/>
lichen Körpers mit Ausschluss der Beine, in der Höhe des Schwertfort-<lb/>
satzes zu suchen ist, vorausgesetzt, dass die Arme am Leib herab-<lb/>
hängen und die Wirbelsäule gestreckt ist. Die Lage des Schwerpunktes<lb/>
unseres Gesammtkörpers (des Rumpfes und der Beine) ist aber begreif-<lb/>
lich eine andere als die des Rumpfschwerpunktes. Nach einer Beobach-<lb/>
tung von <hi rendition="#g">Ed. Weber</hi> fällt die letztere in das Promontorium. Diese<lb/>
Lagen der Schwerpunkte des Rumpfes sowohl als des Gesammtkör-<lb/>
pers setzen wir in dem Folgenden als gültig voraus.</p><lb/>
            <p>Die Beobachtung eines ruhig stehenden Menschen lässt nun er-<lb/>
kennen, dass eine senkrechte Linie, welche vom Schwerpunkt gegen<lb/>
den Boden gezogen wird, in den Raum zwischen beide Füsse fällt.<lb/>
Von dieser Senkrechten, der sog. Schwerlinie weichen nun aber die<lb/>
Verbindungslinien der Drehpunkte und Achsen aller oben genannten<lb/>
Gelenke merklich ab und namentlich verhalten sie sich nach <hi rendition="#g">Meyer</hi><lb/>
in der Weise wie sie Fig. 126 angibt. Dieselbe stellt die Profilprojek-<lb/>
tion des menschlichen Körpers mit eingezeichneten Knochen dar; in<lb/>
ihr bezeichnet <hi rendition="#i">R</hi> den Schwerpunkt des Rumpfes; seine Lage in dieser<lb/>
Ansicht ist bestimmt durch die nicht unwahrscheinliche Annahme,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0419] Aufrechtes Stehen. fällt, welchen die auf dem Boden aufstehenden Füsse umschliessen, und die zwischen dem Rumpf und dem Boden liegenden Hüft-, Knie- und Fussgelenke hinreichend gesteift sind, um ein Abgleiten der Gelenk- flächen von einander zu verhüten. Diese letztere Bedingung kann in Er- füllung gebracht werden entweder allein durch eine Wirkung der Mus- keln, oder vorzugsweise durch eine Gegenwirkung zwischen Bandmas- sen und der Schwere des Rumpfes; je nachdem das eine oder das an- dere dieser Hülfsmittel in Anwendung gebracht ist, kann das Stehen kürzere oder längere Zeit ertragen werden, mit andern Worten er- scheint uns dasselbe ermüdend oder bequem. Da das erstere auf eine ganz willkürliche und mannigfach veränderliche Weise hervorgebracht werden kann, so verzichten wir auf seine Darstellung und fassen nur das bequeme Stehen in das Auge. Die Mittheilungen, die hier dar- über gegeben sind, folgen den Untersuchungen von H. Meyer. 1. Lage der Schwerpunkte des Rumpfes und des Gesammtkör- pers. Schwerlinie. Von einer konstanten Lage des Schwerpunktes am Rumpf kann natürlich keine Rede sein, da das Gewicht seiner ein- zelnen Abtheilungen, wie namentlich das der Unterleibseingeweide einem fortlaufenden Schwanken unterworfen ist, da ferner seine einzel- nen Theile sich gegeneinander bewegen können, und insbesondere die an seinen Enden angebrachten Fortsätze, die Arme und der Hals, sehr verschiedene Stellungen einzunehmen vermögen. Die allgemeine An- gabe über die Lage des Schwerpunktes müsste sich also auf die Gren- zen beziehen, innerhalb deren sie wechseln kann. Diese sind uns aber nicht bekannt; wir wissen nur aus einem von Ed. Weber un- tersuchten Fall, dass der Schwerpunkt des Rumpfes, d. h. des mensch- lichen Körpers mit Ausschluss der Beine, in der Höhe des Schwertfort- satzes zu suchen ist, vorausgesetzt, dass die Arme am Leib herab- hängen und die Wirbelsäule gestreckt ist. Die Lage des Schwerpunktes unseres Gesammtkörpers (des Rumpfes und der Beine) ist aber begreif- lich eine andere als die des Rumpfschwerpunktes. Nach einer Beobach- tung von Ed. Weber fällt die letztere in das Promontorium. Diese Lagen der Schwerpunkte des Rumpfes sowohl als des Gesammtkör- pers setzen wir in dem Folgenden als gültig voraus. Die Beobachtung eines ruhig stehenden Menschen lässt nun er- kennen, dass eine senkrechte Linie, welche vom Schwerpunkt gegen den Boden gezogen wird, in den Raum zwischen beide Füsse fällt. Von dieser Senkrechten, der sog. Schwerlinie weichen nun aber die Verbindungslinien der Drehpunkte und Achsen aller oben genannten Gelenke merklich ab und namentlich verhalten sie sich nach Meyer in der Weise wie sie Fig. 126 angibt. Dieselbe stellt die Profilprojek- tion des menschlichen Körpers mit eingezeichneten Knochen dar; in ihr bezeichnet R den Schwerpunkt des Rumpfes; seine Lage in dieser Ansicht ist bestimmt durch die nicht unwahrscheinliche Annahme,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/419
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/419>, abgerufen am 25.11.2024.