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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Unterschied der Längen beider Hebelarme.
[Abbildung]
[Abbildung] Fig. 125.
dern O M' übertreffe, während ein anderes Mal
beide Hebelarme O N und O N' von gleicher
Länge sind, und denken wir uns nun den He-
belarm O M' resp. O N, um den für beide glei-
chen Winkel M' O K reps. N' O L gedreht, so
wird der Muskel M' M indem er die Länge MK
angenommen sich nur sehr unbeträchtlich
ausgedehnt haben im Vergleich zu der Verlän-
gerung des Muskel N N' als das eine seiner
Enden N' in die Lage L überging. Hieraus
ergibt sich die Regel, dass alles andere gleich-
gesetzt ein Muskel bei derselben Winkeldre-
hung einen um so geringeren proportionalen
Längenzuwachs erhält, je grösser die Dif-
ferenz seiner beiden Hebellängen ist. -- Be-
deutungsvoll für die Verminderung des Wider-
standes ausgedehnter Muskeln ist es nun auch, dass die Sehne wenn
sie lang ist im Verhältniss zu der rothen Substanz eines Muskels
meist einen sehr geringen Querschnitt besitzt, so dass sie trotz der
geringen Dehnbarkeit ihrer Substanz dennoch leicht zu verlängern ist.

b. Die Muskelfasern sind nun aber auch um die Gelenke so ange-
gelegt, dass selbst bei dem Maximum ihrer möglichen Verkürzung
ihre ursprüngliche Länge um einen nicht all zu grossen Antheil ab-
nimmt, Joh. Müller *). Die nächste Folge, die sich mit Berücksich-
tigung bekannter Eigenthümlichkeiten der Muskelkräfte hieraus er-
gibt, besteht darin, dass dann das am Skelet angeheftete Muskelrohr
seinen Hebelarmen noch sehr beträchtliche Zug- und Druckkräfte mit-
theilen kann. Die besondern Umstände, durch welche diese Anord-
nung besteht liegen darin, dass: a. wie schon bemerkt ist, immer ein
sehr beträchtlicher Unterschied in der Länge der beiden zu je einem
Muskel gehörigen Hebelarme besteht; um zu zeigen wie durch diese
Einrichtung selbst bei einem Maximum der Beweglichkeit der propor-
tionale Werth der Verkürzung sehr gering werde, verweisen wir auf
Fig. 125. Nehmen wir an, es sei in ihr die Beweglichkeit der Hebel-
arme unbegrenzt, so dass z. B. der Winkel M O L bis zu Null abneh-
men d. h. die Punkte N und N' zur unmittelbaren Berührung kommen
könnten; würde sich nun der Muskel N N' um das Gelenk O so ange-
setzt haben, dass der Hebelarm O N gleiche Länge mit O L besässe, so
hätte die Länge des Muskels auf Null reduzirt werden müssen; setzt
sich dagegen, wie es in der That geschieht, der gleichlange Muskel
M' M an die ungleichen Hebelarme O K und O M an, so wird bei der
vorausgesetzten Drehung, wobei der Punkt M' auf P zu liegen kommt,
der Muskel noch die beträchtliche Länge M P = dem Unterschiede der

*) Lehrbuch II. Bd. p. 199. Anmerk.

Unterschied der Längen beider Hebelarme.
[Abbildung]
[Abbildung] Fig. 125.
dern O M′ übertreffe, während ein anderes Mal
beide Hebelarme O N und O N′ von gleicher
Länge sind, und denken wir uns nun den He-
belarm O M′ resp. O N, um den für beide glei-
chen Winkel M′ O K reps. N′ O L gedreht, so
wird der Muskel M′ M indem er die Länge MK
angenommen sich nur sehr unbeträchtlich
ausgedehnt haben im Vergleich zu der Verlän-
gerung des Muskel N N′ als das eine seiner
Enden N′ in die Lage L überging. Hieraus
ergibt sich die Regel, dass alles andere gleich-
gesetzt ein Muskel bei derselben Winkeldre-
hung einen um so geringeren proportionalen
Längenzuwachs erhält, je grösser die Dif-
ferenz seiner beiden Hebellängen ist. — Be-
deutungsvoll für die Verminderung des Wider-
standes ausgedehnter Muskeln ist es nun auch, dass die Sehne wenn
sie lang ist im Verhältniss zu der rothen Substanz eines Muskels
meist einen sehr geringen Querschnitt besitzt, so dass sie trotz der
geringen Dehnbarkeit ihrer Substanz dennoch leicht zu verlängern ist.

b. Die Muskelfasern sind nun aber auch um die Gelenke so ange-
gelegt, dass selbst bei dem Maximum ihrer möglichen Verkürzung
ihre ursprüngliche Länge um einen nicht all zu grossen Antheil ab-
nimmt, Joh. Müller *). Die nächste Folge, die sich mit Berücksich-
tigung bekannter Eigenthümlichkeiten der Muskelkräfte hieraus er-
gibt, besteht darin, dass dann das am Skelet angeheftete Muskelrohr
seinen Hebelarmen noch sehr beträchtliche Zug- und Druckkräfte mit-
theilen kann. Die besondern Umstände, durch welche diese Anord-
nung besteht liegen darin, dass: α. wie schon bemerkt ist, immer ein
sehr beträchtlicher Unterschied in der Länge der beiden zu je einem
Muskel gehörigen Hebelarme besteht; um zu zeigen wie durch diese
Einrichtung selbst bei einem Maximum der Beweglichkeit der propor-
tionale Werth der Verkürzung sehr gering werde, verweisen wir auf
Fig. 125. Nehmen wir an, es sei in ihr die Beweglichkeit der Hebel-
arme unbegrenzt, so dass z. B. der Winkel M O L bis zu Null abneh-
men d. h. die Punkte N und N′ zur unmittelbaren Berührung kommen
könnten; würde sich nun der Muskel N N′ um das Gelenk O so ange-
setzt haben, dass der Hebelarm O N gleiche Länge mit O L besässe, so
hätte die Länge des Muskels auf Null reduzirt werden müssen; setzt
sich dagegen, wie es in der That geschieht, der gleichlange Muskel
M′ M an die ungleichen Hebelarme O K und O M an, so wird bei der
vorausgesetzten Drehung, wobei der Punkt M′ auf P zu liegen kommt,
der Muskel noch die beträchtliche Länge M P = dem Unterschiede der

*) Lehrbuch II. Bd. p. 199. Anmerk.
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[396/0410] Unterschied der Längen beider Hebelarme. [Abbildung] [Abbildung Fig. 125.] dern O M′ übertreffe, während ein anderes Mal beide Hebelarme O N und O N′ von gleicher Länge sind, und denken wir uns nun den He- belarm O M′ resp. O N, um den für beide glei- chen Winkel M′ O K reps. N′ O L gedreht, so wird der Muskel M′ M indem er die Länge MK angenommen sich nur sehr unbeträchtlich ausgedehnt haben im Vergleich zu der Verlän- gerung des Muskel N N′ als das eine seiner Enden N′ in die Lage L überging. Hieraus ergibt sich die Regel, dass alles andere gleich- gesetzt ein Muskel bei derselben Winkeldre- hung einen um so geringeren proportionalen Längenzuwachs erhält, je grösser die Dif- ferenz seiner beiden Hebellängen ist. — Be- deutungsvoll für die Verminderung des Wider- standes ausgedehnter Muskeln ist es nun auch, dass die Sehne wenn sie lang ist im Verhältniss zu der rothen Substanz eines Muskels meist einen sehr geringen Querschnitt besitzt, so dass sie trotz der geringen Dehnbarkeit ihrer Substanz dennoch leicht zu verlängern ist. b. Die Muskelfasern sind nun aber auch um die Gelenke so ange- gelegt, dass selbst bei dem Maximum ihrer möglichen Verkürzung ihre ursprüngliche Länge um einen nicht all zu grossen Antheil ab- nimmt, Joh. Müller *). Die nächste Folge, die sich mit Berücksich- tigung bekannter Eigenthümlichkeiten der Muskelkräfte hieraus er- gibt, besteht darin, dass dann das am Skelet angeheftete Muskelrohr seinen Hebelarmen noch sehr beträchtliche Zug- und Druckkräfte mit- theilen kann. Die besondern Umstände, durch welche diese Anord- nung besteht liegen darin, dass: α. wie schon bemerkt ist, immer ein sehr beträchtlicher Unterschied in der Länge der beiden zu je einem Muskel gehörigen Hebelarme besteht; um zu zeigen wie durch diese Einrichtung selbst bei einem Maximum der Beweglichkeit der propor- tionale Werth der Verkürzung sehr gering werde, verweisen wir auf Fig. 125. Nehmen wir an, es sei in ihr die Beweglichkeit der Hebel- arme unbegrenzt, so dass z. B. der Winkel M O L bis zu Null abneh- men d. h. die Punkte N und N′ zur unmittelbaren Berührung kommen könnten; würde sich nun der Muskel N N′ um das Gelenk O so ange- setzt haben, dass der Hebelarm O N gleiche Länge mit O L besässe, so hätte die Länge des Muskels auf Null reduzirt werden müssen; setzt sich dagegen, wie es in der That geschieht, der gleichlange Muskel M′ M an die ungleichen Hebelarme O K und O M an, so wird bei der vorausgesetzten Drehung, wobei der Punkt M′ auf P zu liegen kommt, der Muskel noch die beträchtliche Länge M P = dem Unterschiede der *) Lehrbuch II. Bd. p. 199. Anmerk.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/410>, abgerufen am 22.11.2024.