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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Hebellängen der Muskelkräfte.
men wir nun beispielsweise an, es sei der Knochen so gestellt wor-
den, dass sein Hebelarm von C nach E gekommen, so wird
jetzt B E die Lage der Resultirenden und A E B der Ansatzwinkel
sein, welcher wie der Augenschein lehrt beträchtlich grösser gewor-
den, so dass unter Voraussetzung gleicher Werthe von R das Pro-
dukt R sin. B C D kleiner als R sin. A E B wird. -- Nun ändert sich
aber bei der Zusammenziehung des Muskels nicht allein die Verthei-
lung der Gesammtkraft zwischen den drückenden und bewegenden
Wirkungen, sondern auch wie wir wiederholt erwähnten, die Gesammt-
kraft selbst, in einer uns unbekannten Weise und öfter sogar die Lage
der Resultirenden im Muskel selbst, so dass die Anwendung der eben
gegebenen Grundsätze auf den einzelnen Fall sogleich unmöglich
wird, so wie man beabsichtigt die Wirkung des Muskels für mehr als
eine Stellung des Gliedes zu bestimmen.

Statt auf dem vorgezeichneten Wege, der das Problem in seiner ganzen Aus-
dehnung zu lösen verspricht, vorzuschreiten, hat man andere sogenannte empirische
Bestimmungsmethoden in Anwendung gebracht: 1. Um zu ermitteln, in welcher
Richtung ein Muskel ein Glied bewegen könne, bedient sich Ed. Weber der Mes-
sung der Abstände, in welchen sich die Muskelansätze befinden bei verschiedenen
Stellungen ihrer zugehörigen Knochen; offenbar wird der Muskel, da er durch seine
Verkürzung den Knochen bewegt, diejenige Stellung der letzten erzeugen können,
bei welcher die Muskelansätze aus einer grössern in eine geringere gegenseitige
Entfernung treten. Diese Bestimmungsweise erlaubt allerdings die bewegende Rich-
tung einer jeden einzelnen Faser eines Muskels zu bestimmen, sie sieht dagegen von
der drückenden ganz ab. -- 2. Man sucht die sämmtlichen Fasern der lebenden Mus-
keln, während sie sich noch in ihren normalen Verbindungen befinden, mittelst anhal-
tender elektrischer Schläge in gleichmässige Zusammenziehung zu versetzen;
Duchenne*). Diese Methode wird erst dann als allgemeines Hilfsmittel Beach-
tung verdienen, wenn man im Stande ist, es mit Sicherheit zu bewerkstelligen,
dass die elektrischen Ströme in gleicher Stärke auf sämmtliche Fasern eines Mus-
kels isolirt von allen benachbarten Muskeln einwirken.

Die anatomischen Lehrbücher geben mit Vernachlässigung der Grösse der Zug-
kraft unter Muskelwirkung nur Angaben über die Richtung der Kraft; aber auch diese
sind ganz unvollkommen, wie abgesehen von allem Uebrigen daraus hervorgeht,
dass man nicht bei allen im Gelenk möglichen Verstellungen den Zug des Muskels
bestimmt, sondern nur bei einigen willkürlich angenommenen. So können z. B. offen-
bar fast alle Beuger und Strecker der Anatomen auch Rotatoren sein, wenn vor Be-
ginn der Wirkung des Muskels der Knochen um seine Längsachse gedreht war etc.

4. Hebellängen, an welchen die bewegenden Muskelkräfte wir-
ken. Je nach der grössern oder geringeren Länge des Hebelarmes,
an welche sie angreift, hebt eine bewegende Kraft bestimmten Wer-
thes geringe Lasten mit grösserer oder grosse Lasten mit geringerer
Geschwindigkeit, so dass das aus Geschwindigkeit (g) und Masse (m)
hervorgehende Produkt = m g für sie in allen Fällen dasselbe bleibt.
Dass diese bekannteste aller pkysikalischen Regeln auch in der Combina-
tion der Skelethebel mit den Muskelkräften ihre volle Anwendung hat,

*) Duchenne in Valentin's Jahresbericht der Physiologie 1851. p. 150.

Hebellängen der Muskelkräfte.
men wir nun beispielsweise an, es sei der Knochen so gestellt wor-
den, dass sein Hebelarm von C nach E gekommen, so wird
jetzt B E die Lage der Resultirenden und A E B der Ansatzwinkel
sein, welcher wie der Augenschein lehrt beträchtlich grösser gewor-
den, so dass unter Voraussetzung gleicher Werthe von R das Pro-
dukt R sin. B C D kleiner als R sin. A E B wird. — Nun ändert sich
aber bei der Zusammenziehung des Muskels nicht allein die Verthei-
lung der Gesammtkraft zwischen den drückenden und bewegenden
Wirkungen, sondern auch wie wir wiederholt erwähnten, die Gesammt-
kraft selbst, in einer uns unbekannten Weise und öfter sogar die Lage
der Resultirenden im Muskel selbst, so dass die Anwendung der eben
gegebenen Grundsätze auf den einzelnen Fall sogleich unmöglich
wird, so wie man beabsichtigt die Wirkung des Muskels für mehr als
eine Stellung des Gliedes zu bestimmen.

Statt auf dem vorgezeichneten Wege, der das Problem in seiner ganzen Aus-
dehnung zu lösen verspricht, vorzuschreiten, hat man andere sogenannte empirische
Bestimmungsmethoden in Anwendung gebracht: 1. Um zu ermitteln, in welcher
Richtung ein Muskel ein Glied bewegen könne, bedient sich Ed. Weber der Mes-
sung der Abstände, in welchen sich die Muskelansätze befinden bei verschiedenen
Stellungen ihrer zugehörigen Knochen; offenbar wird der Muskel, da er durch seine
Verkürzung den Knochen bewegt, diejenige Stellung der letzten erzeugen können,
bei welcher die Muskelansätze aus einer grössern in eine geringere gegenseitige
Entfernung treten. Diese Bestimmungsweise erlaubt allerdings die bewegende Rich-
tung einer jeden einzelnen Faser eines Muskels zu bestimmen, sie sieht dagegen von
der drückenden ganz ab. — 2. Man sucht die sämmtlichen Fasern der lebenden Mus-
keln, während sie sich noch in ihren normalen Verbindungen befinden, mittelst anhal-
tender elektrischer Schläge in gleichmässige Zusammenziehung zu versetzen;
Duchenne*). Diese Methode wird erst dann als allgemeines Hilfsmittel Beach-
tung verdienen, wenn man im Stande ist, es mit Sicherheit zu bewerkstelligen,
dass die elektrischen Ströme in gleicher Stärke auf sämmtliche Fasern eines Mus-
kels isolirt von allen benachbarten Muskeln einwirken.

Die anatomischen Lehrbücher geben mit Vernachlässigung der Grösse der Zug-
kraft unter Muskelwirkung nur Angaben über die Richtung der Kraft; aber auch diese
sind ganz unvollkommen, wie abgesehen von allem Uebrigen daraus hervorgeht,
dass man nicht bei allen im Gelenk möglichen Verstellungen den Zug des Muskels
bestimmt, sondern nur bei einigen willkürlich angenommenen. So können z. B. offen-
bar fast alle Beuger und Strecker der Anatomen auch Rotatoren sein, wenn vor Be-
ginn der Wirkung des Muskels der Knochen um seine Längsachse gedreht war etc.

4. Hebellängen, an welchen die bewegenden Muskelkräfte wir-
ken. Je nach der grössern oder geringeren Länge des Hebelarmes,
an welche sie angreift, hebt eine bewegende Kraft bestimmten Wer-
thes geringe Lasten mit grösserer oder grosse Lasten mit geringerer
Geschwindigkeit, so dass das aus Geschwindigkeit (g) und Masse (m)
hervorgehende Produkt = m g für sie in allen Fällen dasselbe bleibt.
Dass diese bekannteste aller pkysikalischen Regeln auch in der Combina-
tion der Skelethebel mit den Muskelkräften ihre volle Anwendung hat,

*) Duchenne in Valentin’s Jahresbericht der Physiologie 1851. p. 150.
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[394/0408] Hebellängen der Muskelkräfte. men wir nun beispielsweise an, es sei der Knochen so gestellt wor- den, dass sein Hebelarm von C nach E gekommen, so wird jetzt B E die Lage der Resultirenden und A E B der Ansatzwinkel sein, welcher wie der Augenschein lehrt beträchtlich grösser gewor- den, so dass unter Voraussetzung gleicher Werthe von R das Pro- dukt R sin. B C D kleiner als R sin. A E B wird. — Nun ändert sich aber bei der Zusammenziehung des Muskels nicht allein die Verthei- lung der Gesammtkraft zwischen den drückenden und bewegenden Wirkungen, sondern auch wie wir wiederholt erwähnten, die Gesammt- kraft selbst, in einer uns unbekannten Weise und öfter sogar die Lage der Resultirenden im Muskel selbst, so dass die Anwendung der eben gegebenen Grundsätze auf den einzelnen Fall sogleich unmöglich wird, so wie man beabsichtigt die Wirkung des Muskels für mehr als eine Stellung des Gliedes zu bestimmen. Statt auf dem vorgezeichneten Wege, der das Problem in seiner ganzen Aus- dehnung zu lösen verspricht, vorzuschreiten, hat man andere sogenannte empirische Bestimmungsmethoden in Anwendung gebracht: 1. Um zu ermitteln, in welcher Richtung ein Muskel ein Glied bewegen könne, bedient sich Ed. Weber der Mes- sung der Abstände, in welchen sich die Muskelansätze befinden bei verschiedenen Stellungen ihrer zugehörigen Knochen; offenbar wird der Muskel, da er durch seine Verkürzung den Knochen bewegt, diejenige Stellung der letzten erzeugen können, bei welcher die Muskelansätze aus einer grössern in eine geringere gegenseitige Entfernung treten. Diese Bestimmungsweise erlaubt allerdings die bewegende Rich- tung einer jeden einzelnen Faser eines Muskels zu bestimmen, sie sieht dagegen von der drückenden ganz ab. — 2. Man sucht die sämmtlichen Fasern der lebenden Mus- keln, während sie sich noch in ihren normalen Verbindungen befinden, mittelst anhal- tender elektrischer Schläge in gleichmässige Zusammenziehung zu versetzen; Duchenne *). Diese Methode wird erst dann als allgemeines Hilfsmittel Beach- tung verdienen, wenn man im Stande ist, es mit Sicherheit zu bewerkstelligen, dass die elektrischen Ströme in gleicher Stärke auf sämmtliche Fasern eines Mus- kels isolirt von allen benachbarten Muskeln einwirken. Die anatomischen Lehrbücher geben mit Vernachlässigung der Grösse der Zug- kraft unter Muskelwirkung nur Angaben über die Richtung der Kraft; aber auch diese sind ganz unvollkommen, wie abgesehen von allem Uebrigen daraus hervorgeht, dass man nicht bei allen im Gelenk möglichen Verstellungen den Zug des Muskels bestimmt, sondern nur bei einigen willkürlich angenommenen. So können z. B. offen- bar fast alle Beuger und Strecker der Anatomen auch Rotatoren sein, wenn vor Be- ginn der Wirkung des Muskels der Knochen um seine Längsachse gedreht war etc. 4. Hebellängen, an welchen die bewegenden Muskelkräfte wir- ken. Je nach der grössern oder geringeren Länge des Hebelarmes, an welche sie angreift, hebt eine bewegende Kraft bestimmten Wer- thes geringe Lasten mit grösserer oder grosse Lasten mit geringerer Geschwindigkeit, so dass das aus Geschwindigkeit (g) und Masse (m) hervorgehende Produkt = m g für sie in allen Fällen dasselbe bleibt. Dass diese bekannteste aller pkysikalischen Regeln auch in der Combina- tion der Skelethebel mit den Muskelkräften ihre volle Anwendung hat, *) Duchenne in Valentin’s Jahresbericht der Physiologie 1851. p. 150.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/408>, abgerufen am 22.11.2024.