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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Muskelsinn. Gleichgewichtsgefühl.
zum Theil abhängig von dem Zustande der Accommodationsmuskeln,
wie daraus erwiesen ist, dass genau dieselbe Netzhautfläche sehr
verschiedene Vorstellungen von ihrer Grösse erweckt, je nachdem
man das Auge auf einen fernen oder einen nahen Gegenstand einge-
stellt hat, wie aus dem instruktiven Versuche p. 251 hervorgeht. --
g) Wir beurtheilen die Entfernung eines Gegenstandes aus dem Grad
der Zusammenziehung und der Art der Verbindung, in welcher sich die
einzelnen Augenmuskeln befinden; wie daraus hervorgeht, dass wir
denselben Gegenstand, wenn auch seine absoluten Entfernung von
der Netzhaut nicht verändert wird, in sehr verschiedene Entfer-
nungen sehen können, je nachdem wir denselben mit mehr oder
weniger convergirenden Augen betrachten; H. Meyer. -- d) Die
Bewegung eines gesehenen Gegenstandes schätzen wir endlich aus
der Bewegung unserer Augen, der des Kopfes und Rumpfes, und der
gleichzeitigen Bewegung des Bildes über die Retina, wie unzweifel-
haft die Thatsache erweist, dass ein Gegenstand uns ruhend oder
bewegt erscheint, je nachdem sein Bild über die Retina geführt wird,
während einer selbstständigen Bewegung des Rumpfes, Kopfes oder
Auges, oder während Rumpf, Kopf und Auge ohne Hinzuthun der ihnen
zugehörigen Muskeln weitergeschoben werden. --

Gefühl des Gleichgewichtes, Schwindel. Aus dieser
stetigen Einwirkung der Muskeln auf das Hirn scheint auch das Be-
wusstsein des Gleichgewichtes hervorzugehen; es möchte wenigstens
schwer sein dieses eigenthümliche, unwillkürliche Bestreben anders
zu erläutern, in Folge dessen bei einer Verrückung des Schwer-
punktes unseres Rumpfes, jedesmal eine Bewegung zur neuen Unter-
stützung desselben unternommen wird. Henle.

Endlich wird durch das Bewusstsein von dem Grad der
Muskelspannung die Fähigkeit
bedingt, Gewichte ihrer
Grösse nach
zu schätzen. Dieses Vermögen ist von allen den
erwähnten dasjenige, welches einer genauen Untersuchung, und
zwar durch E. H. Weber unterworfen worden ist. Um die Schätzung
der Gewichte, wie sie aus dem Druck auf die Hautnerven geschieht
nicht einwirken zu lassen, liess er die Hand ein mit Gewichten
beschwertes Tuch fassen, so dass kein Druck von Seiten des Ge-
wichtes auf die Haut der Hand ausgeübt, sondern das Tuch nur durch
Reibung festgehalten wurde; in allen Fällen wurde das Tuch mög-
lichst fest zwischen die Hautflächen gedrückt, viel fester als nö-
thig, um dasselbe zu halten. Selbst ungeübte Personen konnten dann
noch aus zwei Gewichten, von denen das eine 78, das andere 80
Unzen betrug, das leichtere aussuchen.

b. Die Muskeln, gleichgiltig ob sie der Willkür unterworfen,
oder ihr nicht unterworfen sind, erzeugen unter bestimmten Umstän-
den und zwar meist entweder während des Bestehens (langdauernder
oder heftiger) Zusammenziehungen, oder auch im unmittelbaren Ge-

Muskelsinn. Gleichgewichtsgefühl.
zum Theil abhängig von dem Zustande der Accommodationsmuskeln,
wie daraus erwiesen ist, dass genau dieselbe Netzhautfläche sehr
verschiedene Vorstellungen von ihrer Grösse erweckt, je nachdem
man das Auge auf einen fernen oder einen nahen Gegenstand einge-
stellt hat, wie aus dem instruktiven Versuche p. 251 hervorgeht. —
γ) Wir beurtheilen die Entfernung eines Gegenstandes aus dem Grad
der Zusammenziehung und der Art der Verbindung, in welcher sich die
einzelnen Augenmuskeln befinden; wie daraus hervorgeht, dass wir
denselben Gegenstand, wenn auch seine absoluten Entfernung von
der Netzhaut nicht verändert wird, in sehr verschiedene Entfer-
nungen sehen können, je nachdem wir denselben mit mehr oder
weniger convergirenden Augen betrachten; H. Meyer. — δ) Die
Bewegung eines gesehenen Gegenstandes schätzen wir endlich aus
der Bewegung unserer Augen, der des Kopfes und Rumpfes, und der
gleichzeitigen Bewegung des Bildes über die Retina, wie unzweifel-
haft die Thatsache erweist, dass ein Gegenstand uns ruhend oder
bewegt erscheint, je nachdem sein Bild über die Retina geführt wird,
während einer selbstständigen Bewegung des Rumpfes, Kopfes oder
Auges, oder während Rumpf, Kopf und Auge ohne Hinzuthun der ihnen
zugehörigen Muskeln weitergeschoben werden. —

Gefühl des Gleichgewichtes, Schwindel. Aus dieser
stetigen Einwirkung der Muskeln auf das Hirn scheint auch das Be-
wusstsein des Gleichgewichtes hervorzugehen; es möchte wenigstens
schwer sein dieses eigenthümliche, unwillkürliche Bestreben anders
zu erläutern, in Folge dessen bei einer Verrückung des Schwer-
punktes unseres Rumpfes, jedesmal eine Bewegung zur neuen Unter-
stützung desselben unternommen wird. Henle.

Endlich wird durch das Bewusstsein von dem Grad der
Muskelspannung die Fähigkeit
bedingt, Gewichte ihrer
Grösse nach
zu schätzen. Dieses Vermögen ist von allen den
erwähnten dasjenige, welches einer genauen Untersuchung, und
zwar durch E. H. Weber unterworfen worden ist. Um die Schätzung
der Gewichte, wie sie aus dem Druck auf die Hautnerven geschieht
nicht einwirken zu lassen, liess er die Hand ein mit Gewichten
beschwertes Tuch fassen, so dass kein Druck von Seiten des Ge-
wichtes auf die Haut der Hand ausgeübt, sondern das Tuch nur durch
Reibung festgehalten wurde; in allen Fällen wurde das Tuch mög-
lichst fest zwischen die Hautflächen gedrückt, viel fester als nö-
thig, um dasselbe zu halten. Selbst ungeübte Personen konnten dann
noch aus zwei Gewichten, von denen das eine 78, das andere 80
Unzen betrug, das leichtere aussuchen.

b. Die Muskeln, gleichgiltig ob sie der Willkür unterworfen,
oder ihr nicht unterworfen sind, erzeugen unter bestimmten Umstän-
den und zwar meist entweder während des Bestehens (langdauernder
oder heftiger) Zusammenziehungen, oder auch im unmittelbaren Ge-

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[360/0374] Muskelsinn. Gleichgewichtsgefühl. zum Theil abhängig von dem Zustande der Accommodationsmuskeln, wie daraus erwiesen ist, dass genau dieselbe Netzhautfläche sehr verschiedene Vorstellungen von ihrer Grösse erweckt, je nachdem man das Auge auf einen fernen oder einen nahen Gegenstand einge- stellt hat, wie aus dem instruktiven Versuche p. 251 hervorgeht. — γ) Wir beurtheilen die Entfernung eines Gegenstandes aus dem Grad der Zusammenziehung und der Art der Verbindung, in welcher sich die einzelnen Augenmuskeln befinden; wie daraus hervorgeht, dass wir denselben Gegenstand, wenn auch seine absoluten Entfernung von der Netzhaut nicht verändert wird, in sehr verschiedene Entfer- nungen sehen können, je nachdem wir denselben mit mehr oder weniger convergirenden Augen betrachten; H. Meyer. — δ) Die Bewegung eines gesehenen Gegenstandes schätzen wir endlich aus der Bewegung unserer Augen, der des Kopfes und Rumpfes, und der gleichzeitigen Bewegung des Bildes über die Retina, wie unzweifel- haft die Thatsache erweist, dass ein Gegenstand uns ruhend oder bewegt erscheint, je nachdem sein Bild über die Retina geführt wird, während einer selbstständigen Bewegung des Rumpfes, Kopfes oder Auges, oder während Rumpf, Kopf und Auge ohne Hinzuthun der ihnen zugehörigen Muskeln weitergeschoben werden. — Gefühl des Gleichgewichtes, Schwindel. Aus dieser stetigen Einwirkung der Muskeln auf das Hirn scheint auch das Be- wusstsein des Gleichgewichtes hervorzugehen; es möchte wenigstens schwer sein dieses eigenthümliche, unwillkürliche Bestreben anders zu erläutern, in Folge dessen bei einer Verrückung des Schwer- punktes unseres Rumpfes, jedesmal eine Bewegung zur neuen Unter- stützung desselben unternommen wird. Henle. Endlich wird durch das Bewusstsein von dem Grad der Muskelspannung die Fähigkeit bedingt, Gewichte ihrer Grösse nach zu schätzen. Dieses Vermögen ist von allen den erwähnten dasjenige, welches einer genauen Untersuchung, und zwar durch E. H. Weber unterworfen worden ist. Um die Schätzung der Gewichte, wie sie aus dem Druck auf die Hautnerven geschieht nicht einwirken zu lassen, liess er die Hand ein mit Gewichten beschwertes Tuch fassen, so dass kein Druck von Seiten des Ge- wichtes auf die Haut der Hand ausgeübt, sondern das Tuch nur durch Reibung festgehalten wurde; in allen Fällen wurde das Tuch mög- lichst fest zwischen die Hautflächen gedrückt, viel fester als nö- thig, um dasselbe zu halten. Selbst ungeübte Personen konnten dann noch aus zwei Gewichten, von denen das eine 78, das andere 80 Unzen betrug, das leichtere aussuchen. b. Die Muskeln, gleichgiltig ob sie der Willkür unterworfen, oder ihr nicht unterworfen sind, erzeugen unter bestimmten Umstän- den und zwar meist entweder während des Bestehens (langdauernder oder heftiger) Zusammenziehungen, oder auch im unmittelbaren Ge-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/374>, abgerufen am 25.11.2024.